TATblatt


Gaudeamus igitur! Habemus comissionem...

"bin ich dafür, die Sache in die Länge zu ziehen"1

Die von Bundesregierung und Nationalrat eingesetzte HistorikerInnenkommission läuft Gefahr, angesichts personeller Unterbesetzung, finanzieller Unsicherheit, unklarer Aufgabenstellung und struktureller Mängel im Bestellungsverfahren zur typisch österreichischen Einrichtung zu verkommen: zur Kommission, eben ... Beschäftigungstherapie zwecks Sedierung.

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Der Vergleich macht uns sicher: In der Schweiz wird eine Kommission aus 30 HistorikerInnen sechs Jahre arbeiten können, um die direkte und indirekte Beteiligung Schweizer Banken, Industrieunternehmen und Behörden an NS-Verbrechen zu erforschen. In Österreich einigten sich Vertreter der Bundesregierung und die ersten zwei Präsidenten des Nationalrats auf die Einsetzung einer Kommission aus fünf HistorikerInnen unter Leitung eines Juristen. Diese soll binnen dreier Monate ein Arbeitsprogramm erarbeiten. Sonstige zeitliche Vorgaben fehlen ebenso wie klar formulierte Finanzierungszusagen.

Ein anderer Vergleich wird möglicherweise gar nicht mehr gezogen werden können: In der Schweiz bemühen sich empörte RechtspolitikerInnen, den Forschungsgegenstand der Kommission deutlich einzuschränken. Von Bedeutung, so die allgemeine Ansicht rechts der Sozialdemokratischen Partei, sei nur, was zur Abwehr von Klagen nötig sei: im Wesentlichen also nur die Frage der sogenannten "nachrichtenlosen Konten" (Konten, deren HalterInnen sich seit 1945 nicht mehr gemeldet haben). Eine Untersuchung etwa der schweizer Asylpolitik gehe weit über den Auftrag hinaus...

Österreichische Geister dürften sich am Forschungsgegenstand wohl kaum in die Haare geraten. Denn allein die Aufarbeitung der Schadenersatzansprüche von NS-Opfern ist mit der jetzt in den Brutkasten gelegten Kommission "nicht zu schaffen", wie Simon Wiesenthal einem bunten Montagsblatt gegenüber erwähnte. "Es wird drei, vier Kommissionen geben müssen, um die Sache endgültig aufzuarbeiten."

Ein aus sechs Personen bestehendes Forschungsteam wird also nur dann arbeitsfähig werden können, wenn es sich ein entsprechend kleines Arbeitsgebiet absteckt.
 

Mordwaffe Forschungsgegenstand: von der Masse erschlagen

Das der Kommission in spe im allerersten Überschwang per öffentlicher Äußerungen von PolitikerInnen und sonstigen sich berufen fühlenden Personen zugewiesene Arbeitsprogramm steht im krassen Gegensatz zu den personellen Möglichkeiten, die ihr geboten werden. Über Medien wurde den zukünftigen Mitgliedern bereits aufgetragen, den österreichischen Anteil an den NS-Verbrechen quasi ein für alle Mal 'auszuforschen', auf daß dann doch endlich eine Ruhe sei: Zwangsarbeit, der Raub jüdischen Eigentums; und in einem Aufwaschen gleich auch noch das, was im Gesetz euphemisch als "Rückstellung" bezeichnet wird. Ein ausformulierter Arbeitsauftrag fehlt jedoch bisher. Und in den bereits existierenden Papieren wiederum ist von Zwangsarbeit gar nicht die Rede.

Die Idee, staatlich eine Forschungsinitiative zur Aufarbeitung "in Österreich" begangener NS-Verbrechen zu installieren, droht also zwischen dem enormen Forschungsbedarf, der medial zugewiesenen "Enderledigungsorientierung" und den tatsächlichen Möglichkeiten einer Sechs-Personen-Kommission zerrieben zu werden: Einmal ganz abgesehen davon, daß historische Forschung immer nur im Zusammenhang mit der Zeit verstanden werden kann, IN der geforscht wird2 (und es daher gar kein "ein für alle Mal" geben kann), macht bereits ein Blick auf den aktuellen Forschungsstand bezüglich Zwangsarbeit deutlich, daß das Unternehmen "HistorikerInnenkommission" die geäußerten Wünsche niemals wird befriedigen können: Ulrich Herbert listete bereits 1991 in einem knappen Überblick über "Arbeit und Vernichtung"3 gleich drei Oberkategorien von Zwangsarbeit betroffener Menschen auf: Neben zivilen Gefangenen bzw. Kriegsgefangen, die im Rahmen des sog. "Ausländereinsatzes" in der deutschen Landwirtschaft und Industrie Zwangsarbeit leisten mußten (Sommer 1944: 7,8 Mio Menschen) ordnet Herbert auch die Gefangenen der Konzentrationslager oder JüdInnen und "ZigeunerInnen", die im Zuge des Eroberungskrieges unter Zugriff des Deutschen Reiches geraten sind, eigenen Gruppen zu. Jede dieser Gruppen teilt sich je nach Nationalität, Zeitpunkt des "Einsatzes" oder Art der Zwangsarbeit (etwa in Landwirtschaft, der Industrie oder der Verlegung sog. "kriegswichtiger Produktionen" unter die Erde,...) in unzählige Untergruppen. Diese Gruppenzuordnung wurde notwendig, weil jede dieser Untergruppen spezifischen Bedingungen der Zwangsarbeit ausgeliefert war, die nach spezifischer Forschungsarbeit verlangt.

Besonders deutlich sticht die Notwendigkeit spezifischer Forschungen zu den "Untergruppen" im Falle Österreichs hervor: Denn in Österreich wurden nicht nur viele Akten aus der NS-Zeit vernichtet, viele waren gleich gar nicht im Gebiet des heutigen Österreich (sondern im "Altreich" oder in den Herkunftsländern der ZwangsarbeiterInnen) angelegt worden. Österreichische HistorikerInnen können sich daher, anders als etwa ihre schweizer KollegInnen), ihre Arbeit nicht hauptsächlich auf im Land befindliche Unterlagen stützen: Ihre Arbeit besteht vor allem einmal darin, Unterlagen zu den einzelnen, von Zwangsarbeit betroffenen Menschengruppen, aus den Archiven in aller Welt zusammenzukratzen, um dann Rückschlüsse ziehen zu können. Es ist schwer vorstellbar, daß dies von wenigen Personen innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit bewerkstelligt werden könnte4.

Doch allein die Bearbeitung des Themenbereichs "Raubgut" würde eine derart kleine Kommission vor unlösbare Aufgaben stellen: Entgegen der Ansicht, daß die Kommission eine "moralische Aufgabe" zu erfüllen hätte, hat sich im Zusammenhang mit dem "Bilderstreit" um Werke im heutigen Besitz der Stiftung Leopold herausgestellt, daß die Aufarbeitung der Geschichte von jüdischen Besitztümern deren jetzigen EigentümerInnen dazu verleitet, sich in juristischen Spitzfindigkeiten zu ergehen: Genauere Forschungen (die vom Eigentümer nicht zum Zeitpunkt der Inbesitznahme, sondern eben erst 40 Jahre später durchgeführt wurden) ergaben nämlich, daß die Reihenfolge, in der die ehemaligen EigentümerInnen von den Nazis ermordet wurden (bzw. an den Lebensumständen zu Grunde gingen) eben minimal anders war, als bisher angenommen. Solcherart im nachhinein von den Morden der Nazis begünstigt, ließ sich ein juristisch aufrechterhaltbarer Besitzanspruch des jetzigen Eigentümers konstruieren.

Wenn nun schon zwei Bilder solch einen Aufwand produzieren (und unzählige HistorikerInnen, JournalistInnen und JuristInnen beschäftigen), wie sollen sechs Personen mit einer Handvoll ZuarbeiterInnen mit der unglaublichen Menge geraubter Gegenstände, Grundstücke und Wohnungen fertig werden.

Und dieses Problem potenziert sich, wenn auch die nicht oder nur mangelhaft erfolgte Rückstellung geraubten Eigentums in den Arbeitsauftrag miteinbezogen wird.
 

Bestellungsverfahren: Ergebnisse auf Bestellung?

Zusätzliche Schwierigkeiten wurden den zukünftigen Kommissionsmitgliedern auch mit dem Reglement ihrer Bestellung in den Weg gelegt. Denn trotz der Tatsache, daß in dem von PolitikerInnen und Medien in den Raum gestellten Themenbereich in Österreich außerordentlich wenig geforscht wurde (oder werden konnte)5, kann festgestellt werden: Es gibt mehr als drei österreichische HistorikerInnen, die sich bei der Erforschung der Zwangsarbeit, der "Arisierung" und der Nichtwiedergutmachung Kompetenz aneignen konnten; nicht jedoch mehr als drei Kommissionsplätze: Startplatz vier und fünf sind nämlich an den Leiter des Staatsarchivs (der jahrelang für die Versperrung der nun zu erforschenden Unterlagen verantwortlich war) sowie an eineN internationaleN ExpertIn vergeben. Platz sechs geht an VfGH-Präsidenten Jabloner, verbunden mit der gefährlichen Drohung, daß dieser die Objektivität der Kommission garantieren solle (Heinrich Neisser, 2. NR-Präsident; ÖVP). Die drei österreichischen ForscherInnen zugänglichen Startplätze werden über ein sehr kompliziert gehaltenes Vorschlagssystem vergeben werden, bei denen sich etwa die Zeitgeschichte-Institute aller österreichischen Unis auf einen Vierervorschlag einigen müssen (ohne Garantie, daß er Berücksichtigung findet, versteht sich). Ein Zweiervorschlag wiederum kommt von den Instituten für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, ein weiterer vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Und seitens der ÖVP in den Bestellungsprozeß hineinreklamiert wurde das in Graz beheimatete Boltzmanninstitut für Kriegsfolgenforschung, das von seinem Forschungsansatz her mit einer völlig anderen Materie beschäftigt ist. Institutsvorstand Stefan Karner jedoch hat sich unter anderem mit wenig fundierter Kritik an der sog. Wehrmachtsausstellung und seinem Eintreten für ein österreichisches Kriegerdenkmal in Stalingrad einen Namen gemacht.

Das Grundproblem der Kommission wird aber auch beim Bestellungsmodus für den "ausländischen Experten" deutlich: Mal ganz abgesehen davon, daß eine der Stellen, die bis Ende Oktober Vorschläge legen soll, bisher erst aus den Medien von ihrem Glück erfahren hat, legt Simon Wiesenthal einen Dreiervorschlag vor, bei dem jede Auswahl einem Verlust gleichkommt. Es handelt sich hierbei um drei Historiker, die sich allesamt in verschiedenen Bereichen der Erforschung von NS-Verbrechen und ihrer Folgen ("Frühphase" mit "Arisierung"; jüdische Opfer im KZ; "Rückstellung") einen Namen gemacht haben. Mit der Auswahl eines Experten ist bereits eine Thematik festgelegt, die beiden anderen Themenbereiche ausgegrenzt. Auf diese Weise ist sinnvolles Arbeiten wohl kaum möglich.

Bleibt der Schluß: Das Vorhaben HistorikerInnenkommission ist eine Augenauswischerei. Daß dennoch HistorikerInnen in ihr mitarbeiten, ist jedoch keine Mitarbeit an weiterer Vertuschung. Sie müssen schließlich von der Überlegung ausgehen, daß andernfalls gar keine Mittel zur Erforschung von NS-Verbrechen unter die Leute gebracht würden...
 

Fußnoten:

1) Das Zitat stammt vom ehemaligen SPÖ-Innenminister Helmer und bezieht sich auf jüdische Vermögensansprüche im Jahr 1946. Erstaunlicherweise ist der Satz verbunden mit einer Analyse, der die Mär von Österreich als erstem Opfer der Nazis vom Tisch fegt: Helmer stellt fest, daß "die lieben Mitbürger" sehr wohl wissentlich und in hohem Ausmaß an Verbrechen gegen JüdInnen beteiligt gewesen waren. Siehe dazu: Robert Knight, "...bin ich dafür, die Sache in die Länge zu ziehen", Wien 1985 [zurück]

2) Historische Forschung ist unvorstellbar als "objektive Wissenschaft". Forschungsergebnisse können sich einzig am gesellschaftlichen Bewußtseinsstand orientieren (etwa auch in der scientific community). [zurück]

3) Herbert Ulrich. Arbeit und Vernichtung, in: Herbert Ulrich (Hg.) Europa und der "Reichseinsatz". Essen 1991. [zurück]

4) Es ist eigentlich schon kaum vorstellbar, daß es einer Kommission binnen dreier Monate gelingen kann, ein Arbeitsprogramm zu einem derart umfassenden Thema zu erstellen. [zurück]

5) ein diesbezügliches Forschungsprojekt wurde vom ehemaligen Wissenschaftsminister Busek noch vor wenigen Jahren mit dem Hinweis abgelehnt, daß dieses Thema ohnehin gut erforscht sei und den "Durchschnittsösterreicher" wenig interessiere. [zurück]
 


aus: TATblatt nr. +104 (16/98) vom 22. oktober 1998 
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