TATblatt


 
Wege nach Ravensbrück
Erinnerungen von österreichischen Überlebenden des Frauen-Konzentrationslagers
 

Die Ausstellung "Wege nach Ravensbrück" erzählt vom Leben österreichischer Frauen, die eines gemeinsam haben: sie waren Gefangene im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück.

Medienaussendung der Ausstellungsgestalterinnen
Die Ausstellung ist aber keine konventionelle "KZ-Ausstellung". Zum ersten Mal wird dem Leben der Frauen bis zu ihrer Verhaftung, ihrem Überleben in Ravensbrück und dem Weiterleben nach 1945 dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Frauen sollen nicht nur die Gräuel der nationalsozialistischen Konzentrationslager bezeugen (Stichwort "Zeitzeuginnen"), sie sollen nicht nur historische Forschung ergänzen, sondern mit ihrem gesamten Leben, das durch das KZ einen drastischen Riss erfuhr, im Mittelpunkt stehen.

"Wege nach Ravensbrück" erinnert an diese Frauen, an die Ermordeten und Überlebenden, deren Geschichte in der Vergangenheit allzu oft in Vergessenheit geriet.

Tausende österreichische Frauen wurden von den Nationalsozialisten nach Ravensbrück verschleppt. Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrors in Europa und der Befreiung der letzten Überlebenden aus den deutschen Konzentrationslagern ist diese Ausstellung elf österreichischen Frauen gewidmet, die aus den unterschiedlichsten Gründen von den NationalsozialistInnen verfolgt wurden und in Ravensbrück inhaftiert waren.

Mehr als 40 Überlebende erzählten im Rahmen des Forschungsprojektes "Lebenserinnerungen. Eine Dokumentation über die inhaftierten Österreicherinnen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück" über ihr Leben. Die Ausstellung "Wege nach Ravensbrück" zeigt das Leben von elf dieser Frauen. Sie wurden von den NationalsozialistInnen aus unterschiedlichen Gründen verfolgt und gequält, zwei von ihnen überlebten den deutschen Vernichtungsapparat nicht. An deren Leben und Sterben erinnern die Überlebenden in ihren Erzählungen.

Anhand von persönlichen Dokumenten und Fotos, aber auch durch Ton- und Videosequenzen, in denen die Frauen selbst zu Wort kommen, werden Lebensgeschichten nachgezeichnet, die fast das ganze 20. Jahrhundert umspannen.

Die Ausstellung lässt die Lebensgeschichten weder erst mit der Verfolgung beginnen noch mit der Befreiung aus dem Konzentrationslager enden. Sie erzählen uns von ihrer Jugend in der von politischen und ökonomischen Krisen geprägten Zwischenkriegszeit, von Verfolgung und KZ-Haft, der Befreiung und ihrem Weiterleben in der Zweiten Republik, ein Weiterleben, das für einige erneute Ausgrenzungen und Diskriminierungen brachte.

Der männliche Mainstream in der zeitgeschichtlichen Wissenschaft und Forschung ließ die Geschichte österreichischer Frauen im KZ Ravensbrück nahezu verschwinden. Zur üblichen Vergesslichkeit des kollektiven österreichischen Gedächtnisses in Bezug auf den Nationalsozialismus kommt die besondere Vergesslichkeit und Ignoranz gegenüber Frauen in der Geschichte hinzu. Politisch wiederum stand in der Zweiten Republik die These vom "Opfer Österreich" im Vordergrund, daneben gingen die Erfahrungen der wirklichen Opfer unter. Die Ausstellung "Wege nach Ravensbrück" übt Kritik an dieser Politik, indem das Weiterleben der Frauen nach 1945 beleuchtet wird.

"Wege nach Ravensbrück" will jenen Aspekt österreichischer Frauengeschichte vermitteln, der ihrem Vor- und Weiterleben ebenso großen Platz einräumt wie jenem Teil ihrer Lebensgeschichten, der ihr Leben drastisch veränderte: das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück.

Ravensbrück war unter den nationalsozialistischen Lagern das einzige für Frauen bestimmte Konzentrationslager. Nördlich von Berlin war es 1938 in unmittelbarer Nähe zu dem beliebten Luftkurort Fürstenberg/Havel errichtet worden. Von Mai 1939 bis April 1945 wurden 132.000 Frauen aus 40 Nationen wegen ihrer politischen Überzeugung, Religion, Herkunft oder Lebensweise von den Nationalsozialisten in das Frauen-Konzentrationslager und seine Nebenlager verschleppt. Dort waren die Frauen der Willkür und dem Vernichtungswillen der SS ausgeliefert. Zehntausende wurden in Ravensbrück ermordet.

1947 gründeten Überlebende des Frauen-Konzentrationslagers die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück. In den bereits 52 Jahren ihres Bestehens wirkten viele dieser Frauen unermüdlich als Zeitzeuginnen an Schulen und in der Öffentlichkeit, um über die Verbrechen des Nationalsozialismus, wie sie sie am eigenen Leib erleben mußten, aufzuklären. Bis heute ist ihr Engagement ungebrochen.

Sie wissen, wohin jene als "Normalität" bezeichneten Kontinuitäten führen können, die Rassismus, Antisemitismus und rechtsextreme Strömungen in Österreich weiterbestehen lassen. Auch aus diesem Grund initiierte die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück die Ausstellung "Wege nach Ravensbrück" und die Ausstellung will anhand der dargestellten Lebenserinnerungen nicht nur historisches Wissen aus erster Hand vermitteln, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Landes, sowie der Folgen dieser Vergangenheit auf die Gegenwart bewirken. Vor allem aber will "Wege nach Ravensbrück" die ermordeten und überlebenden Frauen von Ravensbrück dem Vergessen entreißen.

10. bis 23. November 1999

Aula des Neuen Universitätscampus der Universität Wien (Altes AKH) Spitalgasse 2-4, Hof 1, 1090 Wien

Öffnungszeiten:
Montag, Mittwoch — Freitag 10-17 Uhr
Dienstag 10-15 Uhr
Samstag und Sonntag 10-18 Uhr

freier Eintritt
 

Eröffnung: 10. November 1999, 18 Uhr 
mit: Friederike Sinclair (Vorsitzende der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück),
Irma Trksak (Sekretärin der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück),
BM Dr. Caspar Einem und
BM Dr. Barbara Prammer, 

Ab Jänner 2000 wird die Ausstellung durch Österreich wandern. Vorraussichtliche Veranstaltungsorte sind Innsbruck, Graz, Linz, Salzburg, Steyr und Oberwart.
 



 

DIE ÖSTERREICHISCHE LAGERGEMEINSCHAFT RAVENSBRÜCK
 

1947 gründeten österreichische Frauen, die das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hatten, die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück.

In den folgenden Jahren stand bei ihren Tätigkeiten neben der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung vor allem ihr politisches und gesellschaftliches Engagement in der wiederaufzubauenden Zweiten Republik im Vordergrund. Um nie wieder Nationalsozialismus und Faschismus wieder aufkommen zu lassen, besuchten sie als Zeitzeuginnen österreichische Schulen und Universitäten, hielten die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach und engagierten sich unermüdlich gegen Faschismus, Krieg, Gewalt, Antisemitismus und Rassismus.

Gemeinsam mit anderen Organisationen und Gruppen wurden einige Projekte verwirklicht, darunter auch drei Ausstellungen.

Erste Projekte

Zu Beginn der 80er Jahre sammelten Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori die Erinnerungen österreichischer Frauen an ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus und ihre Verfolgung und Inhaftierung in deutschen Konzentrationslagern.

Diese Interviews wurden in den Büchern Der Himmel ist blau. Kann sein — Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945 und Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ — Österreichische Frauen erzählen sowie der Film Küchengespräche mit Rebellinnen veröffentlicht. Erstmals standen österreichische Frauen als widerständige und aktive Subjekte im Kampf gegen die NationalsozialistInnen im Vordergrund.

Einige der Frauen, deren Erinnerungen in diesen beiden Bänden veröffentlicht wurden, sind Überlebende des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück.

Das jüngste Projektnetzwerk

Seit 1995 bemühte sich die Lagergemeinschaft Ravensbrück mit Erfolg, junge Frauen für ihre Tätigkeiten zu interessieren, die als "Erbinnen" ihre Anliegen auch in Zukunft weiterverfolgen würden.

Aus dieser generationenübergreifenden Zusammenarbeit entwickelte sich ein Projektnetzwerk. Neben der Würdigung der überlebenden und ermordeten Frauen macht sich dieses Netzwerk zur Aufgabe, die dunkelsten Seiten unserer Vergangenheit als Erbe zu betrachten, mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muss, weil die Erinnerungen und Mahnungen auch im nächsten Jahrtausend nicht verstummen dürfen.

Ein Teil dieses Netzwerkes ist die wissenschaftliche Sammlung von Lebensgeschichten österreichischer Frauen, die Ravensbrück überlebten. Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr führten im Rahmen des Forschungsprojektes Lebenserinnerungen. Eine Dokumentation über die inhaftierten Österreicherinnen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück biografische Interviews mit heute noch lebenden "Ravensbrückerinnen".

Viele dieser Frauen erzählten ihre Geschichten zum ersten Mal, für alle war es schwer und schmerzlich, sich erneut in die Zeit im Konzentrationslager zurückzuversetzen. Die meisten von ihnen waren mit diesen Erinnerungen lange Zeit allein gelassen worden, verschwanden im Mythos vom "ersten Opfer Österreich", gingen im gnadenlosen Vorwärtsschreiten des Wiederaufbaus unter oder fanden in der Zweiten Republik kontinuierliche Diskriminierungen vor, die sie verstummen ließen.

Die wahrscheinlich wichtigste Intention dieses Projektes ist es darum, eine der letzten Chancen zu nutzen, diese unwiederbringlichen Erinnerungen zu bewahren.

Diese lebensgeschichtlichen Interviews wurden zudem auf Video aufgezeichnet und werden von der Video-Projektgruppe — dem zweiten Teil des Netzwerkes — zu einem Videoarchiv zusammengestellt.

Um die Ergebnisse des Forschungsprojektes auch der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eines der größten Anliegen der Lagergemeinschaft zu erfüllen, nämlich die Aufklärung der jungen Generation über die österreichische faschistische Vergangenheit und die Verbrechen des Nationalsozialismus, initiierten die Frauen der Lagergemeinschaft das Ausstellungsprojekt.

Die Ausstellung "Wege nach Ravensbrück"

Die Idee der Lagergemeinschaft für eine Ausstellung wurde von einer Gruppe junger Frauen realisiert, die ein Konzept entwarfen, das die lebensgeschichtlichen Interviews der noch lebenden Österreicherinnen als Ausgangspunkt hatte, um österreichische Vergangenheit und Gegenwart anhand individueller Biografien zu vermitteln.

Elf Frauenleben werden in "Wege nach Ravensbrück" dargestellt. Diese elf Frauen wurden von den NationalsozialistInnen aus verschiedenen Gründen verfolgt und gequält, zwei von ihnen überlebten den deutschen Vernichtungsapparat nicht. An deren Leben und Sterben erinnern die Überlebenden in ihren Erzählungen.

Die Ausstellung zeigt das Leben von neun überlebenden Frauen: einer Romni, einer Kärntner Slowenin, einer Frau aus dem Leobener Widerstand, einer Sintezza, einer Zeugin Jehovas, einer Wiener Kommunistin, einer Frau jüdischer Herkunft, einer Lesbe sowie einer Frau, die aufgrund ihrer Liebesbeziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter nach Ravensbrück verschleppt wurde.

Anhand von persönlichen Dokumenten und Fotos, aber auch durch Audio- und Videosequenzen, in denen diese Frauen ihre Geschichte selbst erzählen und wir ihnen zuhören können, werden ihre Lebensgeschichten nachgezeichnet und so jener Teil österreichischer Frauengeschichte hervorgehoben, der meist vergessen wurde.

Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück ist die unauslöschliche Gemeinsamkeit in den Lebensgeschichten dieser Frauen, die für sie alle Teil des Weiterlebens und der schmerzlichen Erinnerungen ist.

"Wege nach Ravensbrück" schenkt dem Leben der Frauen bis zu ihrer Verhaftung wie auch ihrem Weiterleben nach 1945 ebensoviel Aufmerksamkeit wie ihren erlittenen Qualen in Ravensbrück.

Ihre verschiedenen Wege nach Ravensbrück beginnen mit der Kindheit, zeigen ihre Jugend sowie die Verfolgung durch die NationalsozialistInnen.

Die Wege der neun Frauen führten sie nach ihrer KZ-Haft in ein Österreich zurück, das mit Verdrängung und Verleugnung den idealen Boden für die Kontinuität von Diskriminierungen schuf. Denn die österreichische Nachkriegsgesellschaft, die sich kollektiv als Opfer des deutschen Faschismus betrachtete, hatte keinen Platz für die wahren Opfer des Nationalsozialismus, sofern sie nicht dem Mythos Österreichs als "erstes Opfer" dienlich waren. Der politische Widerstand der Kärntner SlowenInnen, KommunistInnen und SozialistInnen wurde noch als Beweis für das "andere Österreich" mit Blick auf den Staatsvertrag in das öffentliche Mahnen und Gedenken aufgenommen. Andere Opfergruppen blieben ungenannt und sie müssen bis heute erleben wie jene Weltanschauungen weiter existieren, die schon in die nationalsozialistische Ideologie integriert waren und aufgrund derer unzählige Menschen verfolgt und ermordet wurden: Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Homophobie.

Am Beispiel der neun österreichischen Frauenbiografien dokumentiert "Wege nach Ravensbrück" alltägliche und strukturelle diskriminierende Kontinuitäten aus dem Blickwinkel der einzelnen Lebensumstände.

Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück

Für die Zeit von Mai 1939 bis April 1945 stand dieser Name für die "Hölle der Frauen" im nationalsozialistischen Deutschland, denn Ravensbrück war für diesen Zeitraum das einzige für Frauen bestimmte Konzentrationslager. In seiner sechsjährigen Existenz wurden - in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem nördlich von Berlin gelegenen Luftkurort Fürstenberg/Havel - insgesamt 132.000 Frauen aus über 40 Nationen in das Frauenkonzentrationslager und seine Nebenlager deportiert, darunter tausende Österreicherinnen. Von Anfang an war das Frauen-KZ auch als SS-Wirtschaftsunternehmen konzipiert. Ab Mitte 1942 wurden die Häftlinge zunehmend in der Rüstungsproduktion zwangsbeschäftigt. In Aufbau und Verwaltung unterschied sich Ravensbrück nicht von anderen nationalsozialistischen Lagern, abgesehen von der Bewachung der weiblichen Häftlinge im inneren Bereich durch Aufseherinnen, die zwar nicht Mitglieder der SS waren, aber doch zum "weiblichen SS-Gefolge" zählten.

Mit ihren Müttern waren auch Kinder nach Ravensbrück verschleppt worden. Von der SS als "arbeitsfähig" eingestuft, wurden sie ebenso zur Zwangsarbeit herangezogen. Für den Zeitraum von September 1944 bis April 1945 weisen Aufzeichnungen zudem 527 Geburten auf. Die meisten der Neugeborenen starben aufgrund der Zustände im Lager in den ersten Wochen oder wurden vom medizinischen SS-Personal ermordet. Medizinische Versuche und Sterilisationen wurden von den SS-ÄrztInnen ebenso durchgeführt.

Hygiene und Ernährung waren von Anfang an unzureichend und wurden von der SS planmäßig verschlechtert.

1942 wurde auch Ravensbrück Teil des systematischen Mordes an Jüdinnen, Roma- und Sinti-Frauen, als "Schwarze Transporte" zu Vernichtungsstätten außerhalb des Lagers gingen, u.a. in die Gaskammern von Hartheim/Linz. Im Lager starben die Frauen aufgrund der katastrophalen Zustände, wurden mit Giftinjektionen getötet, erschossen oder in der seit Jänner 1945 in Betrieb stehenden Ravensbrücker Gaskammer ermordet.

Am 30. April wurden die letzten noch lebenden Häftlinge des Frauen-Konzentrationslagers von der Roten Armee befreit.


aus: TATblatt nr. +126 (18/1999) vom 4. november 1999
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