TATblatt


Meine erste Angelobung

Historische Gelegenheiten bieten sich in der Regel nur einmal, und der Tag der Angelobung ist ein solcher. Die gesamte internationale Presse und Kamerateams sind anwesend, Polizei in Massen als Jediritter ausgerüstet. Es ist klar, daß wenn heute nichts passiert, dann bleibt der Widerstand gegen FPÖVP als Kampagne aus dem Ausland stehen.

Deshalb ist ein Einkauf auf dem Naschmarkt "Tomaten, bitte nur weiche" angesagt. Eine Großpackung Schweizerkracher gehören zur Ausrüstung, wie auch Lärminstrumente und weiteres rundliches Gemüse. Schließlich soll die Sache feierlich begangen werden, es ist meine erste Angelobung.

Beim Eintreffen zwischen zehn und halb elf Uhr sind noch nicht so viele Leute da, die Stimmung knistert aber angenehm. Viele Leute haben verdächtig pralle Rucksäcke mit, überall tuschelt es "Ich war noch beim Billa".

Als die Menge rasch zunimmt, hebt sich die Stimmung phänomenal. Hier wird offensichtlich der Haß von vielen Jahren abgeladen werden - auf den allgegenwärtigen Antisemitismus, AusländerInnenfeindlichkeit, ewige bürokratische Schikanen, endlose Demütigungen durch eine allgegenwärtige Obrigkeit, was auch immer sonst.

Als nach elf das Gepfeife und Gejohle wirklich laut wird, ist es Zeit, auch etwas zur Stimmung beizutragen. Es fliegen schon die ersten Knallkörper, Tomaten und Eier.

Die massiven Absperrungen der Polizei haben dafür gesorgt, daß sich alle DemonstrantInnen nur an einer relativ schmalen Stelle in Sichtweite des Ballhausplatzes versammeln können. Und dann wird es eine Stunde lang richtig lustig. Begeistert stürzen die wartenden ausländischen Kamerateams herbei. Während weiter Vitamine und Farbbeutel in Richtung Präsidentschaftsgebäude fliegen, obwohl die Absperrung eigentlich zu weit davon entfernt ist, bringen Kracher, die auf die Polizisten geworfen werden und ständig direkt neben ihnen explodieren, Beschimpfungen und Rangeleien die schwer bewaffnete Polizei so weit in Fahrt, daß einige auszucken und mit Kleingefechten über die Absperrung beginnen. Besonders böse reagieren sie, als einige versuchen, ihnen die Schilder zu entreißen. Irgendwelche brav aussehenden Leute fragen plötzlich, ob ich auch was zum Werfen habe, und so werden Gemüse und Kracher geteilt. Bei jedem Gerangel an der Absperrung bekommt die Polizei einen Hagel von Eiern, Krachern und Farbe auch aus weit hinten stehenden Reihen ab. Ganz vorne kämpfen seriös aussehende Durchschnittsangestellte mit Autonomen Seite an Seite. Von neben mir Stehenden wird erzählt, daß gerade eben eine alte Frau mit ihrer Handtasche auf die Polizeischilder eingedroschen hat, worauf die Polizisten vollkommen perplex waren.

Nach spätestens einer halben Stunde ist offensichtlich, daß die neue Regierung diesen Tag abschreiben kann. Einmal sieht es sogar so aus, als ob die vorderste Kette von Polizisten zu einem Ausbruch in die Demonstration ansetzt, aber dann beruhigen sie sich wieder. Es ist sonnenklar, daß es jetzt keine Prügelorgie geben soll, aber die Szenen an den Absperrungsgittern reichen auch so, das Programm von FPÖVP bildlich darzustellen.

Nach ein Uhr dauert es noch eine Weile, bis allen klar wird, daß hier jetzt alles vorüber ist. Daraufhin beginnen Demonstrationsgruppen auf der Suche nach neuen Abenteuern durch die Gegend zu ziehen. Doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Welche Lehren können wir aus dem ziehen? Vielleicht diese, daß es in einem Machtvakuum - zu dieser Zeit verabschiedete sich Schlögl und der neue Innenminister hatte noch keine Funktion - zu unerwarteten Gefühlsausbrüchen kommt, die auf schwache Gegenwehr treffen. Haß bringt alles das fertig, was mit tausend Argumenten nicht erreicht werden kann. Bezüglich Taktik sind Wurfgeschoße niedriger Intensität ein mehr als notwendiges Mittel, TeilnehmerInnen einer Demo aus der Passivität zu reißen. Tomaten und ähnliches heben moralisch sinnvolle Bedenken wegen Verletzungsmöglichkeiten auf, ermöglichen aber die eigene Aggression produktiv auszuleben. Infernalischer Lärm muß einfach sein.

Das alles zum richtigen Zeitpunkt angewendet schlägt einen militärisch unüberwindlichen Gegner. Durch die Auseinandersetzungen am Ballhausplatz, die unbedingt politisch notwendig waren, zeigte die Regierung mit diesem Großaufgebot an vorbeugender Repression ihre Schwäche. Daß die Polizei dann auch noch hinprügelte, während sich die Regierungsmitglieder aus Angst vor Wurfgeschossen nicht einmal über den Platz gehen trauten, verstärkte diesen Eindruck. Ein Nebeneffekt davon ist, daß sich die Polizei, die alles statt den Schüsseln abbekam, dadurch schwer demoralisiert wurde. Einzelne PolizistInnen beklagten sich am Rande der nachfolgenden Demos, daß sie verheizt würden und daß sie niemand fragen würde, ob sie überhaupt diese Regierung verteidigen wollen.

Alles in allem kann ich von meiner ersten Angelobung berichten, daß es ein gelungenes Fest war. Vielleicht komme ich bei der nächsten Regierung wieder, aber ob es dann auch so lustig wird, das bezweifle ich schon jetzt.
 

Im Nachhinein erfahre ich, daß die britische BBC, CNN und weitere Fernsehstationen eine ganze Stunde Live auf Sendung waren. BBC teilte den Bildschirm. Während auf der einen Hälfte die Zeremonie beim Bundespräsidenten zu sehen war, zeigte die andere Hälfte die Demo davor. Während Schüssel "Ich gelobe" flötete, spielte die BBC den Demonstrationslärm so darüber, daß Schüssel praktisch nicht zu verstehen war.

Para Deiser


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aus: TATblatt nr. +132  (3/2000) vom 10. februar 2000
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