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Organisierung in Bezugsgruppen

Der folgende Text beschreibt das Bezugsgruppensystem, wie es bei den Aktionen während der WTO-Tagung in Seattle angewandt wurde. Der Text stammt aus den USA und wurde von der Redaktion dieser Broschüre ins deutsche übersetzt.
 

"Bezugsgruppen sind ein arbeitsfähiges Konzept, aus denen kreative und autonome Aktionen entstehen können, entweder spontan oder vorgeplant."
 

Was ist eine Bezugsgruppe?
 

Eine Bezugsgruppe ("affinity group") ist eine Gruppe von Menschen, die sich kennen, die die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen wissen, die sich gegenseitig unterstützen und die gemeinsam politisch arbeiten wollen. Die meisten von uns haben Erfahrungen in Gruppenzusammenhängen, ob in der Kindheit oder auch in organisierter Form wie einer Sportgruppe. Wie auch immer, politische Bezugsgruppen unterscheiden sich von anderen Gruppenzusammenhängen (Hierarchie, Vertrauen, Verantwortung füreinander usw.).

Das Konzept von Bezugsgruppen hat eine lange Geschichte. Es entstand während des Spanischen Bürgerkrieges als eine organisierte Struktur und wurde in den letzten 30 Jahren mit einigem Erfolg weiterentwickelt, in feministischen, Anti-Atom, Umwelt oder sozialen Bewegungen. Das erste Mal wurde dieses Konzept 1969 in der BRD während der Aktion gegen ein Atomkraftwerk an der Ruhr angewandt. In den USA wurde es 1971 während der Aktionen gegen das Seabrook Atomkraftwerk erstmals versucht (damals wurden 10.000 Menschen verhaftet). Später verwendete die Anti-Atombewegung in den USA dieses Konzept noch mehrmals in den siebziger und achtziger Jahren. Das Bezugsgruppensystem hat sich gerade in Zeiten großer Polizeirepression als wirksam erwiesen. Die Beispiele der Protestaktionen in Seattle und Washington haben wieder gezeigt, wie erfolgreich dieses System sein kann.

Es ist nicht notwendig die Bezeichnung Bezugsgruppe zu verwenden. Namen wie Blockadeteams, Aktionsgruppen, Zellen oder Aktionskollektive beschreiben alle das gleiche Konzept. Das beste ist, in der jeweiligen Situation den passendsten Namen zu finden. Darüberhinaus kann jede Bezugsgruppe für sich eine eigene Bezeichnung wählen. Es haben sich schon Gruppen nach dem Lokal benannt, wo sie sich das erste Mal getroffen hatten. Andere Namen beziehen sich auf die politische Aktion, die durchgeführt werden soll ("AlkoholikerInnen gegen die Bombe", "Schreiende Bäume" u.ä.).
 

Mit wem formiere ich eine Bezugsgruppe?
 

Die einfachste Antwort auf diese Frage ist: mit Leuten, die du kennst und die eine ähnliche Einstellung zu einer Sache haben, zu der du arbeiten willst. Das können Leute sein, die du von der Universität oder vom Arbeitsplatz kennst, mit denen du Abends weggehst oder mit denen du zusammenwohnst. Der wichtige Punkt dabei ist, daß du eine Beziehung zu den Leuten hast, die über das politische Anliegen hinausgeht und daß du diesen Leuten vertraust (und sie dir).

Ein wichtiger Anfangspunkt um eine Bezugsgruppe zu gründen ist, sich einmal klarzuwerden, welche Standpunkte jede/r Einzelne in der Frage eures speziellen Engagements hat. Das kann passieren, indem ihr nach einem gemütlichen gemeinsamen Essen über die Sache diskutiert oder auch indem ihr gemeinsam an einem Aktionstraining teilnehmt.

Ihr solltet alle eine gemeinsame Vorstellung entwickeln, was ihr euch von der jeweiligen Kampagne erwartet, wie eure Arbeit aussehen soll und welche Unterstützung von außerhalb ihr benötigen werdet und auch welche Unterstützung für Andere ihr anbieten könnt. Es hilft sehr, wenn ihr euch über einige wichtige Punkte geeinigt habt: wie aktiv ihr sein wollt, wie gewaltfrei, wie weit ihr bereit seid, eine Festnahme zu riskieren oder was eure allgemeine politische Perspektive ist, falls ihr die Gruppe wieder verlassen möchtet (auch in so einem Fall könnt ihr weiter zusammen in eurem Job arbeiten, Musik machen oder zusammen wohnen).
 

Organisation
 

Innerhalb einer Bezugsgruppe gibt es viele verschiedene Aufgaben, die ihr übernehmen könnt. Abhängig von der konkreten Aktion und der Funktion der Bezugsgruppe könnt ihr z.B. eine Person bestimmen, die als Medienkontaktperson auftritt oder eine andere Person kann gewählt werden, die in dringenden Situationen schnelle Entscheidungen treffen soll. Es gibt noch ein weites Feld von Aufgaben, die verteilt werden können: eine DemosanitäterIn, eine SprecherIn für Treffen mit anderen Bezugsgruppen, eine BeobachterIn für das rechtskonforme Verhalten der Behörden, eine Person, die Festnahmen überwacht, usw.

In manchen Aktionen kann es nützlich sein, wenn ihr in Absprache mit anderen Bezugsgruppen eine spezielle Aufgabe für die Gesamtaktion übernehmt. Bei manchen Aktionen kann es nützlich sein, wenn ganze Bezugsgruppen Aufgaben übernehmen: als PolizeibeobachterInnen, als Gruppe, die "StörerInnen" entfernt, als rechtliche BeobachterInnen, als Kochgruppe, als Kommunikationsgruppe, als SanitäterInnen, als Straßentheatergruppe oder als Blockadegruppe. Mit einer solchen Funktion kann jede Bezugsgruppe die anderen unterstützen. In so einem Fall formen viele verschiedene Bezugsgruppen ein unabhängiges Netzwerk, welches viel mehr erreichen kann, als eine große Masse von individuellen AktivistInnen.

In der Aktionsform einer Demonstration sind neben den Bezugsgruppen auf der Straße diejenigen Menschen genauso wichtig, die das Demonstrieren erst ermöglichen. Jene Menschen, die als UnterstützerInnen (oftmals unbedankt im Hintergrund) die Haustiere der Bezugsgruppenmitglieder versorgen, oder Pflanzen gießen, sich um die Kinder kümmern, in Notfällen die Arbeitsstelle anrufen oder die Miete weiterzahlen, während AktivistInnen in Haft sind. Ohne diese UnterstützerInnen könnten viele nicht aktiv werden und viel riskieren. Die emotionalle Unterstützung sollte auch nicht unterschätzt werden. Viele AktivistInnen fühlen sich erst dadurch stark genug, größere Risiken einzugehen. Unterstützungsgruppen können auch indirekt Aktionen unterstützen, in dem sie Aufgaben in den Bereichen Medienarbeit, Flugblätter verteilen, Geld aufstellen oder logistische Unterstützung (wie Lebensmittel besorgen oder Schlafplätze bereitstellen) übernehmen. Bezugsgruppen auf der Straße und Unterstützungsgruppen sollten immer wieder die Rollen wechseln, damit es ein klares Verständnis über die Wichtigkeit jeder Aufgabe für das Gelingen einer Aktion gibt.

Am Ende einer Aktion solltet ihr euch erholen, Spaß haben und weiterarbeiten, um einen Höchstwert an konstruktiver, sozialer Veränderung zu erlangen.
 


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