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"...endlich die Verdienste der Kriegsgeneration gewürdigt" 
Geschichtsrevisionismus macht Politik: Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz

Wer noch zu Jahresbeginn 2000 prophezeit hätte, in Österreich würden jemals Anerkennungsprämien an ehemalige Weltkriegsteilnehmer ausbezahlt werden, wäre wohl entweder ausgelacht oder als paranoid bezeichnet worden. Am 11.Oktober 2000 verkündeten Schüssel und Riess-Passer die "grundsätzliche Einigung" über eine Entschädigung für ehemalige Kriegsgefangene in Osteuropa. Am 18. Oktober legten sie einen konkreten Gesetzesentwurf vor, der mit 1. Jänner 2001 wirksam werden soll.
 

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Die Formulierung im Regierungsübereinkommen hatte schon internationales Aufsehen erregt: "Die Bundesregierung wird um sachgerechte Lösungen in den Fragen aller im Zuge des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit gezwungenen Personen, der österreichischen Kriegsgefangenen sowie der in der Folge der Benesch-Dekrete und Avnoj Bestimmungen nach Österreich vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung bemüht sein" (Koalitionsvereinbarung, Kapitel "Starke Demokratie", Punkt 12). Was da alles in einen Topf geschmissen wurde... Die Außenministerin hatte jedenfalls in den Tagen nach Regierungsantritt alle Hände voll zu tun, etwa die verstimmte Regierung in Prag zu besänftigen.
 
 

Das Gestern dämmert herauf...
 
 

Anfang Juli trat dann der frühere ÖVP-Bautensprecher und nunmehrige Obmann des Österreichischen Kameradschaftsbundes Keimel in einem profil-Interview mit der Forderung nach Entschädigung der ehemaligen Kriegsgefangenen an die Öffentlichkeit. Auch SS-Angehörige sollten seiner Ansicht nach entschädigt werden. Schließlich wäre die SS in den Nürnberger Prozessen nicht als verbrecherische Organisation klassifiziert worden(1). Der Keimel-Vorschlag fand zwar die Zustimmung des ÖVP-Klubobmanns Khol, so richtig ernst aber wollte ihn niemand nehmen.

Am 11. Oktober ließen Schüssel und Riess-Passer die Katze nach dem Ministerrat aus dem Sack: Das sogenannte "Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz" werde kommen. Die Regierung wolle "sehr differenziert" vorgehen. Dem Kreis der Empfänger sollten nur jene angehören, die sich nach dem Krieg nicht einer Entnazifizierung unterziehen mussten bzw. jene Österreicher in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, die rehabiliert wurden. Gedacht sei an ATS 300,- monatlich, zusätzlich zur bestehenden Pension, die für ehemalige Kriegsgefangene bisweilen sehr niedrig sei, da ihnen häufig Pensionsmonate fehlten.(2)
 
 

Regierung durchsucht legistische Altpapiersammlung
 
 

Der am 18. Oktober 2000 als Bestandteil des sogenannten Budgetbegleitgesetzes 2001 bekannt gewordene Inhalt des Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetzes ist jedoch alles andere als "sehr differenziert". Von der Entschädigung ausgeschlossen sein werden keinesfalls ehemalige Nazis oder Kriegsverbrecher. Wer aber in den letzten Jahren vielleicht bei einem Ladendiebstahl erwischt worden ist, kann das Zubrot in den Wind schreiben. Zur Umschiffung des Problems, dass es wohl einerseits nicht ganz so gut aussieht, wenn ehemalige Nazis für ihre Handlungen mit einer Prämie belohnt werden, andererseits offenbar gerade diese aus ideologischen Gründen nicht ausgeschlossen werden sollen, grub mensch im Sozialministerium das aus dem Jahr 1958 stammende "Gesetz über finanzielle Hilfeleistungen an Spätheimkehrer" aus und übernahm daraus ganze Absätze. 
 
 

Die Fiftys leben!
 
 

Diese kurz "Spätheimkehrergesetz" genannten Bestimmungen sahen - unzulässig verkürzt zusammengefasst - Unterstützungszahlungen für Kriegsgefangene vor, die nach 1. Mai 1949 nach Österreich zurückgekehrt waren. Ihnen gleich standen Menschen, die etwa außerhalb Österreichs (z.B. in Konzentrationslagern) festgehalten sowie Menschen, die vor Austrofaschismus oder Nationalsozialismus geflohen und nach ihrer Freilassung aus politischen oder militärischen Gründen inhaftiert worden waren. All diese Personen erhielten eine Hilfszahlung in der Höhe von ATS 300,- für jedes nach dem 1. Mai 1949 erlittene Gefangenschaftsmonat (das waren etwa 10-15% eines durchschnittlichen Monatslohns des Jahres 1958). Das Spätheimkehrergesetz war ein sehr "österreichisches" Gesetz Es war offensichtlich Ziel der AutorInnen gewesen, möglichst viele verschiedene Betroffenengruppen zu bedienen: Eben nicht allein Kriegsgefangene, sondern auch Menschen, die im befreiten Österreich mit der sowjetischen Besatzungsmacht in Konflikt gerieten und in der Folge in der Sowjetunion interniert waren; oder auch ehemalige SchutzbündlerInnen, die in der Sowjetunion Asyl gefunden hatten und Opfer der Stalin´schen Paranoia geworden waren, ... Es richtete sich zumindest theoretisch an alle SpätheimkehrerInnen (in der Praxis aber hatten die Westmächte ihre letzten Kriegsgefangenen im Juni 1948 entlassen). 
 
 

"Sensibilität und kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit"?
 
 

Die im Gesetz vorgesehenen "Ausschließungsgründe", etwa ein Verhalten, dass "mit den Gedanken und Zielen eines freien, demokratischen Österreich unvereinbar war", wurden daher auch sehr schwammig gehalten. Und auch der Verweis auf noch nicht tilgbare Verurteilungen als Ausschlußgrung (und auch nur, wenn die Straftat "auf einen solchen Mangel an sittlichen Hemmungen hinweist, der den Antragsteller einer Leistung nach diesem Gesetz unwürdig erscheinen lässt") hat keinen Nazi davon abgehalten, seine Unterstützungszahlung zu erhalten: Verurteilungen und Maßregelungen nach dem Verbotsgesetz waren bereits 1957 für aufgehoben und getilgt erklärt worden. Tatsächlich ausgeschlossen blieben lediglich Personen, die nach ihrer Rückkehr gegen das NS-Gesetz verstoßen hätten. Es gelang uns trotz intensivster Recherche nicht, auch nur einen einzigen Ausschlußfall zu finden (was allerdings nicht heißen soll, dass es überhaupt keine gegeben hätte).

Das Spätheimkehrergesetz 1958 war ein Resultat jener Einstellung gewesen, ohne der die politische Führung der Fünfziger Jahre meinte, keinen Staat machen zu können: Alle sind arm dran gewesen. Augen zu und durch.

Eine Position, die durchaus etwas für sich hatte: Es ist eben schwer, einen Staat zu machen, der von einer Mehrheit nicht als legitimes Gebilde angesehen, als Folge einer militärischen Niederlage betrachtet wird. Umso interessanter ist es, wenn eine Regierung über vierzig Jahre später sich dieses Ausflusses "österreichischen Denkens" der Fünfziger erinnert und ihne wieder an die Oberfläche holt (Eine Regierung, im Übrigen, die sich im Koalitionsübereinkommen zur "Fortsetzung des Kurses der Sensibilität und der kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit" verpflichtet hat).

Doch die Regierung nicht einfach übernommen. Sie hat auch an entscheidenden Stellen geschnitten: Nicht in die neue Entschädigungsregelung miteinbezogen sind jene Menschen, die vor Nationalsozialismus oder Austrofaschismus geflohen waren und nach Kriegsende in sowjetische Gefangenschaft gerieten...
 
 

Versöhnungsfonds und Kriegsgefangene: spiegelgleich?
 
 

Das Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz ist die Umsetzung genau jener geschichtsrevisionistischen Tendenz, Opfer und TäterInnen des Nationalsozialismus in einen Topf zu schmeißen, die im Regierungsübereinkommen zwar angekündigt worden ist, von den RezipientInnen aber nicht ernst genommen wurde. Besondere Brisanz erhält es nun aber in Zusammenhang mit der Umsetzung des sogenannten "Versöhnungsfonds" für die Opfer der Zwangsarbeit in NS-Deutschland. "Die Regierung (habe) für den heutigen Beschluss bewusst bis zum Abschluss der Frage der Entschädigungszahlungen für ehemalige NS-Zwangsarbeiter gewartet", erklärte Schüssel am 11. Oktober 2000. Tatsache ist jedoch, dass der Versöhnungsfonds bis 1. Jänner 2001 auch unter besten Voraussetzungen praktisch keine Wirksamkeit entfalten kann. Die Auszahlung von Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiterin ist von der Stellung eines Antrags abhängig. Viele der Betroffenen wissen aber oft gar nicht, wo genau sie wie lange Zwangsarbeit leisten mussten. Diesbezügliche Unterlagen haben oftmals den Krieg nicht überdauert oder standen über Jahrzehnten nur österreichischen Dienststellen zur Verfügung. Den Anspruchsberechtigten steht also unter Umständen noch ein weiter Weg bevor, ehe sie ein Geld in der Hand halten können. Wie schön, das Österreich zumindest der Täterseite mit einer recht unbürokratischen Lösung das Leben leichter macht.
 
 

Fußnoten:

(1) Was übrigens falsch ist. Die SS wurde insgesamt als verbrecherische Organisation klassifiziert. Es bestand keine Notwendigkeit einer Differenzierung. Diese blieb den heimischen Ewiggestrigen vorbehalten.
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(2) Es gibt viele Formen "erwerbsbiographischer Brüche": Schwangerschaft, Kindererziehung, Krankheit, Unfall, Krankenpflege; Das bevorzugte Abstellen auf Entschädigung einer ganz bestimmten Form erwerbbiographischer Brüche ist eine politische Entscheidung.
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"...positives Signal den Heimkehrern geben"

ÖVP und FPÖ zum Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz
 
 

Bundeskanzler Schüssel betrachtet die Entschädigung in einer Presseaussendung vom 11. Oktober 2000 als "moralische Verpflichtung": "Wir wollen ein positives Signal den Heimkehrern geben". Nach dem Ministerrat vom 11. Oktober 2000 meinte er gegenüber der APA, dass "die Regierung für den heutigen Beschluss bewusst bis zum Abschluss der Frage der Entschädigungszahlungen für ehemalige NS-Zwangsarbeiter gewartet" habe. Die Gesetzesvorlage sei eine im Vergleich mit dem Versöhnungsfonds "spiegelgleiche Lösung". Dem Kreis der Empfänger sollten nur jene angehören, die nach dem Krieg sich nicht einer Entnazifizierung unterziehen mussten bzw. jene Österreicher in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, die rehabiliert wurden.
 
 

Nach Ansicht der Vizekanzlerin Riess Passer ist die Entschädigung eine Würdigung der Verdienste der Kriegsgeneration: "Mit der Entschädigung für ehemalige Kriegsgefangene wird einer langjähriger Forderung des Kameradschaftsbundes, der Heimkehrerverbände und der FPÖ nun Rechnung getragen. Im Interesse der Gerechtigkeit war diese Maßnahme längst überfällig. Damit werden endlich auch die Verdienste der Kriegsgeneration gewürdigt." Außerdem fehlten "ehemaligen Kriegsgefangen häufig Pensionsmonate"

Für Sozialministerin Sickl geht "ein lang gehegter Wunsch, den österreichischen Kriegsgefangenen, die - besonders in Russland und anderen osteuropäischen Ländern - unentgeltlich gearbeitet haben, mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen" in Erfüllung.

Der Freiheitlich Abgeordnete Bösch hält das Entschädigungsgesetz für einen Beitrag zur "obkjektiven Geschichtsbetrachtung" und spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "anderen Seite": "Gerade im Lichte der allgemeinen Aufarbeitung der oftmals tragischen Ereignisse in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und danach habe die Bundesregierung mit viel Fingerspitzengefühl agiert. Man habe nicht nur in der Frage der Entschädigungszahlungen von NS-Zwangsarbeitern eine akzeptable Lösung gefunden, sondern im Sinne einer objektiven Geschichtsbetrachtung auch die andere Seite nicht vergessen."
 
 
 


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