TATblatt    

The Battle of Seattle
Ein Jahr später

N30, 2000. An einigen Orten rund um den Globus kommt es zu Protesten gegen den globalen Kapitalismus. Gefeiert wird der "International Day of Solidarity Against Corporate Globalization". Am 1. Jahrestag des gescheiterten WTO-Treffens soll der "Erfolg" des Vorjahres gefeiert werden. Die Polizei beschwor schon im Vorfeld eine Wiederholung der Ereignisse des Vorjahres herbei. Und tat alles, um dies auch in die Tat umzusetzen. Am Abend des N30 kam es zu zahlreichen Verhaftungen.

TATblatt

Rund um den 30. November erinnerten zahlreiche Veranstaltungen, Diskussionen, Aktionen und Demonstrationen an die Ereignisse vor einem Jahr, als dazu aufgerufen wurde, das WTO-Treffen vollkommen zu behindern. Damals schafften mindestens 50.000 AktivistInnen dieses Ziel zu erreichen. Nebenbei wurden Ziele wie Nike Town, McDonald`s und das Luxushaus Nordstrom direkt attackiert, um auf ihre Rolle in der neoliberalen Politik hinzuweisen. Zur Auflösung der Demonstrationen wurden Tränengas, Gummigeschosse und Pfeffersprays eingesetzt. Es kam zu zahlreichen Knüppeleinsätzen und im Laufe der gesamten Proteste zu ca. 600 Festnahmen. Der Gouverneur verhängte für den zweiten bis vierten Tag des WTO-Gipfels den Ausnahmezustand. Der Gipfel selbst wurde abgebrochen.

Erfolgreiche Störungen

Nach dem Platzen des WTO-Treffens mussten die zahlreichen Delegierten aus allen Ländern der Welt unverrichteter Dinge nach Hause fahren. Seattle wird seither als einer der Höhepunkte des weltweiten Kampfes gegen Kapitalismus, Globalisierung und Institutionen wie Weltbank, IWF und WTO gesehen. Es kam im letzten Jahr zu zahlreichen Global Days of Action, auf denen weltweite Bündnisse gemeinsam demonstrierten. Darüber, ob der "Battle of Seattle" als Sieg gefeiert werden kann, wurde ebenso heftig diskutiert, wie die Frage nach der Abgrenzung zu rechten Positionen (siehe TATblatt Schwerpunktnummer global.action und TATblatt plus 129). Jedenfalls ist die bisher unwahrscheinliche Möglichkeit, ein Gipfeltreffen lahmzulegen, zur Realität geworden. Nicht mehr die Gipfeltreffen selbst werden von den Medien bevorzugt aufgegriffen, sondern der Widerstand dagegen. Einen Beitrag einer Gegenöffentlichkeit zur Berichterstattung in den bürgerlichen Medien liefert das mittlerweile weltweit agierende unabhängige Mediennetzwerk (Indipendent Media Center, IMC) (siehe www.indymedia.org). Nichtsdestotrotz betreiben IWF, Weltbank, WTO und die Regierungen die neoliberale Politik voran. Das neue Budget in Österreich ist Teil dieser Entwicklung, die von Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung und Sozialabbau gezeichnet ist. Während des IWF/WB-Treffens in Prag erntete Finanzminister Grasser (FPÖ) für seine unsozialen Maßnamen Lob durch Weltbankpräsidenten Horst Köhler.

Prag war nur eine Station unter vielen im antikapitalistischen Aktionskalender des letzten Jahres (im TATblatt wurde ausführlich berichtet).

Die Gedenkfeiern

Bedeutend weniger AktivistInnen als ein Jahr zuvor beteiligten sich am N30, 2000. Diesmal ging es nicht darum, ein Gipfeltreffen zu verhindern. Deshalb war auch die Lust bei den DemonstrantInnen nach direkten Konfrontationen mit der Polizei eher gering. Diese hatte jedoch schon im Vorhinein hartes Durchgreifen und Massenfestnahmen angekündigt (siehe TATblatt plus 154). Eine Neuauflage des "Battle of Seattle" wurde herbeibeschworen.

Den Höhepunkt der Feiern bildeten, wie im Vorjahr, die Demonstrationen am 30. November. Mindestens 5.000 Leute waren gekommen. Zwei Demonstrationszüge trafen sich, alles verlief ohne Zwischenfälle, bis...

Am Abend, als kaum noch Leute zum Shoppen unterwegs, die meisten ArbeiterInnen von der Arbeit zu Hause waren und die Fernsehteams und JournalistInnen bereits ihre Beiträge bearbeiteten, schlug die Polizei zu. Cops auf Fahrrad und zu Pferd versuchten die AktivistInnen vor sich herzutreiben und einzukesseln. Eine Taktik der Polizei war, verstärkt Provokateure und ZivilpolizistInnen in die Demonstrationen einzuschleusen, um eskalierende Situationen zu erzeugen, die das Vorgehen rechtfertigen sollten. Gleichzeitig griffen PolizistInnen in Zivil gezielt Leute aus den Demonstrationen. Das Vorgehen der Polizei erinnerte an die Ereignisse vom Vorjahr. Neu war, dass gezielt "legal observer" (speziell gekennzeichnete unabhängige RechtsbeobachterInnen), die sich selbst nicht als aktiver Teil der Demo sehen, sondern eben nur beobachten, verhaftet wurden. Diese dürften durch das Aufdecken von zahlreichen Übergriffen durch die Polizei Argwohn gefallen sein. Unter den mindestens 140 Verhafteten befanden sich zehn "legal observer", aber auch JournalistInnen und Gewerkschaftsbosse. Nach den Verhaftungen wurden die "legal observer" von den anderen Gefangenen getrennt. Berichten zufolge sollen im Gefängnis Kameras und Tonbandgeräte "verschwunden" sein, mit denen das Vorgehen der Polizei dokumentiert wurde. In der Folge bildeten sich zahlreiche Proteste, um die Freilassung der Gefangenen zu fordern.

Ausblick

Der globale Widerstand gegen Kapitalismus vernetzt sich immer besser, einige Gipfeltreffen konnten im vergangenen Jahr erfolgreich gestört (z.B. Prag, Melbourne) oder verhindert (Seattle) werden. Das besondere an dieser Bewegung ist, dass sie vor allem von Basisbewegungen in Asien, Afrika und Südamerika getragen wird. In den vergangen Jahren kam es vor allem in Indien zu Demonstrationen mit mehreren Hunderttausend TeilnehmerInnen. Kürzlich fand in Bangalore (Indien) eine Konferenz der Landlosen, Landfrauen, Bauern und Bäuerinnen statt, bei der in einer gemeinsamen Resolution auf die Situation hingewiesen und die Einhaltung grundlegender (Menschen)Rechte gefordert wurden.

Die Maßnahmen, die von Exekutive und Politik dagegen getroffen werden, sind ein Versuch, diese Bewegungen zu kriminalisieren. Nicht deshalb erscheint es wichtig, sich mit dem in Prag verfassten Aufruf zu Aktionen gegen die Kriminalisierung unserer Bewegungen auseinander zu setzen. Ihr findet diesen Aufruf im Internet unter: www.no-racism.net/s26

Da immer wieder kritisiert wird, dass durch die Berichterstattung über Repression auf Inhalte und Ziele vergessen wird, wollen wir hier auf die TATblatt-Schwerpunktnummer global.action verweisen, in der wir uns intensiv mit den Auswirkungen von Globalisierung, praktischen Konzepten der Organisierung dagegen und der Rolle multinationaler Konzerne auseinandersetzten. Diese Nummer kann um ATS 40,- (incl. Porto innerhalb Österreichs) bestellt werden.

aus: TATblatt +156/157 S. 14
 
>> TATblatt-Inhaltsverzeichnis | >> Widerstandschronologie (Wien) | >> weitere aktuelle Meldungen

©TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe undBelegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)