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"Während er sich umdrehte und mit seiner Hand in Richtung der Nevada Test Site deutete, fragte einer der jungen Männer: 'Glaubst du wirklich, daß dies alles von Dauer sein kann?' Damit bezog er sich nicht auf das militärische Übungsgelände hinter uns, sondern auch auf all die anderen Denkmäler der weißen Eroberung und Plünderung des amerikanischen Westens: die Staudämme und Spielkasinos, die geklonten Vororte, Bombentestgelände, Hochsicherheitsgefängnisse, Themenparks, Giftmüllanlagen und Trailerparks."

 

Casino Zombies

Rezension: Mike Davies: Casino Zombies und andere Fabeln aus dem Neon-Westen der USA. Verlag Schwarze Risse - Rote Straße, 1999

 

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Um den Jahreswechsel herum sorgten die "Texas-Seven" für bange Blicke auf den texanischen Strafvollzug, nachdem den sieben "Schwerverbrechern" die gemeinsame Flucht aus einem Gefängnis in Texas geglückt war. Mehr als 160.000 Menschen sitzen allein in diesem Bundesstaat hinter Gittern, nachdem in den letzten zehn Jahren das Gefängnissystem unter der Federführung des nunmehrigen Präsidenten George W. Bush unter Aufwendung mehrerer Milliarden $ ausgebaut worden ist. Im benachbarten Bundesstaat Kalifornien gingen ungefähr zur gleichen Zeit die Lichter aus. Umstrukturierungen und Privatisierungen im Energieversorgungssystem des Staates sorgten plötzlich für dramatische Engpässe bei der Stromversorgung. Und seit der Wahl des neuen US-Präsidenten hat sich in Europa eine Kampagne gegen die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten formiert, während der Hardliner in dieser Frage seine ersten Amtstage dazu nützte, dem Projekt einer "National Missile Defense" einen kräftigen Schub zu verpassen.

Diese relativ wahllos herausgegriffenen Blitzlichter US-amerikanischer Wirklichkeit verweisen auf das Buch Casino Zombies von Mike Davies, das bereits vor zwei Jahren im Verlag Schwarze Risse - Rote Straße erschienen ist. In dieser Sammlung von Aufsätzen und Reportagen greift der Autor von City of Quartz eine breite Palette von Themen US-amerikanischer Politik auf, wie sie hierzulande - siehe oben - eben nur unter bestimmten Bedingungen Erwähnung finden. Die Streifzüge Mike Davies' aber sind nicht kurzfristigen Sensationsgelüsten oder den Irrwegen der großen Politik verpflichtet. Sie stellen vielmehr eindringliche Blicke hinter die Kulissen des American Way of Life dar, die in ihrer Bandbreite ein bestürzendes Bild von eben diesem zeichnen.

Davies beginnt mit einer Reportage über die Arbeitskämpfe des Hotel- und Casinopersonals in der Neonmetropole Las Vegas, und verbindet diese mit einer Nabelschau auf die rassistischen Dimensionen der US-amerikanischen Gesellschaft, ebenso wie er die tatsächlichen und programmierten ökologischen Katastrophen dieser Kunststadt in der Wüste skizziert.

Bei seinen Recherchen in und um die militärischen Testgebiete im Westen der USA stößt er auf durch Bombentests erzeugte Mondlandschaften und "Quallenbabies", die für die Folgen der nuklearen Tests in diesen Gebieten stehen. Dabei geht der Autor gerade für einen Soziologen mit Zahlenmaterial äußerst sparsam um, und er erspart seinen LeserInnen die oft sperrigen Ansätze wissenschaftlicher Untersuchungen. Seine Berichte stehen vielmehr für seine Kunst des Erzählens, die keine dieser fundierten Recherchen jemals trocken oder gar langweilig werden lässt. Er nimmt Partei für die Betroffenen ohne simpler Agiation zu verfallen, und bezieht Position ohne den Blick auf Zusammenhänge zu verlieren. Den verschiedensten sozialen Bewegungen bleibt er auf der Spur und lässt Opfer und AkteurInnen zu Wort kommen, wo ein Blick von außen nicht das gleiche leisten könnte.

Für Mike Davies-EinsteigerInnen bietet sich der Band durch seine in sich geschlossenen Aufsätze an, mit Davies Vertrauten bietet er neues zu so verschiedenen Themen wie Gewerkschaftsarbeit in den USA, der bevölkerungspolitischen Entwicklung und ihren rassistischen Konnotationen, dem "Ökozid in Marlboro County", dem Gefängnissystem Kaliforniens und Briefen eines Gefangenen aus der Isolationshaft.

Es sind beeindruckende Reportagen über das Leben in den Metropolen im Westen der USA und dem Ödland dazwischen, wobei die Grenzen nicht immer leicht zu ziehen sind.

Mike Davies
Casino Zombies
und andere Fabeln aus dem Neon-Westen der USA
Verlag Schwarze Risse - Rote Straße, 1999
269 Seiten, ca. öS 220.-

aus TATblatt Nr. +160 vom 22. 2. 2001

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