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Rezension

"...alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen."

Wiener Pfarrer und die Juden in der Zwischenkriegszeit

"Allein die Tatsache, dass es nach Jesus noch JüdInnen gibt", analysierte der Autor, "stellt den angeblich einzig wahren Glauben, das Christentum, in Frage. Entweder ist also die Grundannahme der einzig seligmachenden Wahrheit des christlichen Glaubens falsch, oder aber JüdInnen, die es ja seit Jesus angeblich besser wissen müssten, sind besonders böse und verstockte, also bekämpfenswerte Menschen. Innerhalb des christlichen Denksystems ist dieser Widerspruch nicht auflösbar." Mehr hat er nicht gebraucht: Aufruhr im Publikum, das sich zur Präsentation des Buches "...alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen." in den Räumlichkeiten der Pfarre St. Stephan eingefunden hat. Diskussionsleiter Hubert Feichtelbauer beginnt, die Fassung zu verlieren: "Woher haben Sie das?" und "Warum haben Sie in ihrem Buch nicht erwähnt, dass spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil das nicht mehr stimmt?" Die Veranstaltung wird beendet, ehe die Stimmung vollends kippt: Alles werden sich die Christen nämlich nicht gefallen lassen...!

R.P.

Die Analyse antisemitischer Stereotypen in Wiener Pfarrblättern zwischen 1924 und 1941 ist die Arbeit zweier HistorikerInnen (und damit erübrigt sich die Frage nach der fehlenden Erwähnung des Zweiten Vatikanums; es fand erst in den 60ern statt und führte - dem Aushängeschild fortschrittlicher ChristInnen in Österreich Hubert Feichtelbauer zum Trotz - nicht zur Eliminierung der Judenmission aus dem Zielkatalog der katholischen Kirche). Kurz das Ergebnis: von den 25 vollständig erhaltenen Pfarrblättern aus diesen Jahren kam lediglich ein einziges ohne antisemitische Stereotypen aus. Es überrascht daher nicht, dass die bei der Präsentation anwesenden KatholikInnen das 150-Seiten Büchlein als Anklage empfanden.

Stimmung statt rechtfertigende "Erklärung"

Überraschen wird hingegen vielleicht, dass auch "Linke" ihre Probleme mit der Herangehensweise der AutorInnen haben werden: Fern jeden Ansatzes ökonomistischer "Erklärungen" des Antisemitismus zeichnen Scholz und Heinisch ein Stimmungsbild der vom Katholizismus geprägten österreichischen Gesellschaft, in dem sie sich auf die Suche nach antisemitischen Stereotypen begeben; und fündig werden: "Wir verlangen, dass kein Jude mehr die Universität betritt und kein Jude mehr dort lehren darf. Die Juden dürfen in keine Spitäler aufgenommen werden. Weg auch mit den Synagogen und jüdischen Häusern, denn diesen Boden haben unsere Väter urbar gemacht. Von jetzt an führen wir gegen die Juden einen Vernichtungskrieg..."
Diese Aussage, die gelernte ÖsterreicherInnen unabhängig der politischen Orientierung "ung´schauter" in das Frühjahr 1938 reklamieren würden, stammt aus dem Jahr 1899 und vom Moraltheologen Dr. Josef Schleicher. Sie gibt eine Stimmung wieder, die das gesellschaftliche Leben Österreichs geprägt hat, und der auch seitens "fortschrittlicher" Gruppierungen nur wenig entgegengesetzt wurde. Die Intensität des Antisemitismus in der Kirche, aber auch in der Christlich Sozialen Partei, überrascht. Ignaz Seipel, als Bundeskanzler und Prälat quasi Fleisch gewordene österreichische "Mentalität", kommentierte das Parteiprogramm der Christlich-Sozialen von 1927: "Die christlichsoziale Partei hat sich in ihrem Parteiprogramm vom heurigen Neujahrstag neuerlich als antisemitisch bekannt. (...) Es wird als unklug hingestellt, dass die Christlichsozialen noch einmal den sogenannten Judenpunkt in ihrem Programm erwähnten. Es mag unklug gewesen sein, aber ehrlich war es." Und noch ein 1932 vorgelegtes Programm erinnerte daran, dass Antisemitismus "seit den Uranfängen der Bewegung ein Stück christlichsozialen Wesens" und "kein bloßes Agitationsmittel" gewesen sei.

Pfarrblätter als Ausdruck katholischen Alleinvertretungsanspruches

Die Rolle der Pfarrblätter in der katholisch geprägten österreichischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit unterscheidet sich deutlich von jener der Gegenwart: In den dreißiger Jahren existierten in Wien mindestens 41 Pfarrblätter, die entgeltlich mit Auflagen bis zu 14000 Exemplaren erschienen. Für die Jahre des Austrofaschismus errechneten die AutorInnen eine Gesamtauflage von 180 000 Exemplaren im Monat, die - nachdem sie bezahlt werden mussten - wohl auch gelesen wurden. Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Publikationen ergibt sich aus den Vergleichszahlen etwa der christlichsozialen Tageszeitung "Reichspost", die zwar täglich, aber immerhin nur 40 000 Exemplare über die Buddel brachte. In dieser Position mussten sich die Pfarrblätter nicht allein auf die Verlautbarung des Gottesdienstplans oder der Zeiten der Jungscharstunden beschränken. Sie konnten gesellschaftspolitische Positionen vertreten und verbreiten und waren damit Ausdruck des Bestrebens, auf jede gesellschaftliche Frage eine Antwort des politischen Katholizismus zu bieten. Sie waren es, die den im hohen Klerus entwickelten katholischen Gesellschaftsentwurf an die Basis vermittelten, also die theologische Theorie zu einer unmittelbar anwendbaren praktischen Anleitung für den Alltag übersetzten. Und nicht zufällig stellen die AutorInnen fest, dass gerade jene Zeitungsbereiche mit konkretem Diesseitigkeitsbezug, also etwa Inseratenteile, Lokalberichte oder Veranstaltungskalender, besonders oft mit antisemitischen Inhalten versehen sind.

Keine Exkulpation der AntisemitInnen

Ein besonderes Verdienst der Untersuchung ist es, sich von auch im "linken" Sprachgebrauch üblichen Reduktionen zu verabschieden: Die AutorInnen unterscheiden nicht mehr zwischen angeblich unterschiedlichen Ausprägungen des Antisemitismus wie etwa "wirtschaftlichem Antisemitismus" oder "Rassenantisemitismus", sondern weisen unmittelbar nach, dass wirtschaftsbezogene Stereotypen, religiöse oder auf angebliche "rassische" Unterschiede abstellende Stereotypen Hand in Hand gehen. Sie wählen daher bewusst die etwas umständlichen Bezeichnungen "wirtschaftlich" bzw. "rassisch argumentierender Antisemitismus" und rauben damit dankenswerter Weise jedem Ansatz, dem Antisemitismus eine quasi faktische Basierung zuzugestehen, den Boden.
Dank der Aufnahme bereits existierender Arbeiten zum Thema Katholizismus und Antisemitismus gelingt es den AutorInnen, neben der Definition von Begrifflichkeiten und deren Illustration an konkreten (extrem erschütternden) Textbeispielen auch eine Geschichte des Antisemitismus zu zeichnen und dabei etwa zu vergegenwärtigen, dass antisemitische Pogrome über die Jahrhunderte hinweg ihre Häufung in den Monaten März und April fanden (in der Fastenzeit). Bis 1830 - so komplettieren sie das Bild - wurde in der Osternachtsfeier am Wiener Stephansplatz ein Puppe verbrannt, die "den Juden" symbolisierte. Noch in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts führte das Wiener Diozösanblatt quasi als Regieanweisung für die Karfreitagsliturgie aus: "Es folgen dann die sogenannten großen Fürbitten, ergreifende Gebete für das Heil aller Menschen, auch der Abtrünnigen, Irrgläubigen, Juden und Heiden. Bei jedem Gebet beugt der Priester das Knie, nur beim Gebet für die Juden unterbleibt die Kniebeuge, weil sie an diesem Tage durch die Kniebeuge den Heiland verhöhnten." Wohl nicht zufällig häufen sich, wie die AutorInnen nachweisen, auch antisemitische Beiträge in Pfarrblättern gerade in diesen Monaten.

Für Nazis gemachtes Bett

Nur am Rande bearbeiten die AutorInnen den Nationalsozialismus. Und das ist auch nicht weiter notwendig: Es gelingt Ihnen nicht nur der Nachweis, dass sich die Nationalsozialistische Herrschaft in Österreich in das bereits gemachte Bett des Antisemitismus legen konnte, sondern auch, dass selbst Nazi-GegnerInnen noch Anerkennung für den Antisemitismus der Nazis finden konnten. Die 1939 im Untergrund als Organisation des österreichischen Widerstands gegründete katholische Jugendgruppe "Österreichische Front" hielt fast wie selbstverständlich in ihrem Programm fest: "Wir sind naturgemäß Gegner des Bolschewismus, des Nationalsozialismus und lehnen das Judentum mit seinen Gesetzen und Elementen ab". Unnotwendig ist in diesem Zusammenhang die stärkere Ausseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch deshalb, weil sich der katholische Antisemitismus auch nach 1945 nicht zu verstecken gedachte. Leopold Kunschak, prominenter Vertreter der christlichsozialen ArbeiterInnenbewegung, Abgeordneter seit 1920, Mitbegründer der ÖVP und für diese auch zwischen 1945 und 1953 Nationalratspräsident rühmte sich noch 1946 (also bereits als Nationalratspräsident) in einer Wahlrede, "immer Antisemit gewesen" zu sein; und es auch noch immer zu sein. Und die österreichische Bischofskonferenz, deren wichtigster Vertreter den "Anschluss" 1938 mit "Heil Hitler begrüßt hatte, wusste am 21. September 1945 nichts besseres zu tun, als in einem Bischofswort zu formulieren: "Keine Gemeinschaft hat in diesen Jahren mehr Opfer an Hab und Gut, an Freiheit und Gesundheit, an Blut und Leben bringen müssen als die Kirche Christi."
Das Buch "...alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen." (das Zitat entstammt übrigens dem Donaustädter Pfarrblatt) ist Ergebnis einer umfassenden Aufarbeitung sowohl der Inhalte der Pfarrblätter als auch bereits existierender Arbeiten zum Thema. Die erzählerische Stärke der AutorInnen nimmt LeserInnen jede Angst vor dem wissenschaftlichen Charakter der Arbeit: Ein Krimi kann kaum aufregender sein, ein Horrorfilm kaum stärkere Emotionen (in diesem Fall: Entsetzen) wecken.
Ergänzt wird die Arbeit durch eine ausführliche Bibliographie, eine detaillierte Statistik der Rechercheergebnisse und eine Methodik-Beschreibung.
 
 

Nina Scholz/Heiko Heinisch
"...alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen."
Wiener Pfarrer und die Juden in der Zwischenkriegszeit
Czerninverlag, Wien 2001
156 Seiten ATS 248,-
ISBN 3-7076-0120-X
>>>www.czernin-verlag.com
 

aus TATblatt Nr. +163 vom 13. April 2001
 
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