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Mythen haben Hochkonjunktur:

Während die einen hunderttausend schwarzbehelmte, wohltrainierte und im "schwarzen Block" militärisch organisierte Autonome durch Genua ziehen sahen, schwören andere alle Eide darauf, dass ein paar verkleidete PolizistInnen mit Unterstützung von dreißig italienischen FaschistInnen Genua platt gemacht haben.

TATblatt

Ein Bonmot zur Einleitung: Das blau-schwarze Brechmittel, das sich Regierung nennt, war erst wenige Tage im Amt, da versammelten sich RegierungsgegnerInnen ganz fürchterlich klandestin, um das zu führen, was sie "Strategiedebatte" nannten. Bereits nach wenigen Minuten fiel das Reizwort: Gewaltfreiheit. Das üblich Geleier setzte ein (nach dreizehn Jahren Dasein als autonome Zeitschrift dürfen wir das schreiben): "Gewalt böse - Gewaltfreiheit gut" versus "Gewalt legitim und verständlich - Gewaltfreiheit Ausrede" usw. usf. Ein junger Mann setzte sich mit einer Vehemenz für die Ausgrenzung von angeblich gewalttätigen DemonstrantInnen ein, dass es selbst einigen seiner MitstreiterInnen im Geiste etwas bange wurde. So war es halt...

Nach unvollendeter Debatte (die Regierung ist schließlich noch im Amt) flohen die DiskussionsteilnehmerInnen vor den Videorecorder, um sich Produktionen des neuen Genres Widerstands-Kurzfilme reinzuziehen. Und da passierte es: Ebenjener junge Mann, der gerade noch so aktiv für Gewaltfreiheit eingetreten war, präsentierte sich auf Video als in der Auseinandersetzung mit PolizistInnen gar nicht so gewaltfrei...

Der Schwarze Block im Kopf...

Die Erheiterung durchmischte und vereinte die zuvor so munter streitenden Parteien gewaltig (etwaige Reaktionen des Betroffenen sind leider nicht überliefert). Ohne es zu wissen, waren die Anwesenden auf des Pudels Kern gestoßen: den Kern (an dieser Stelle bitte eine ganz gruselige Stimme lesen) des schwaarrrzzzen Blockesssss....

Der Mythos des schwarzen Blockes verbreitet sich unablässig zumindest seit Beginn der Achtziger Jahre (zu Joschka Fischers Zeiten hatte es noch "Putztruppe" geheißen): Wo immer Demonstrationen in Gewalt ausarteten, war der schwarze Block anwesend gewesen. Interessanterweise konnte er stets dort nicht angetroffen werden, wo es zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war.

Aus diesen Fakten zu schließen, dass der "Schwarze Block" eine gewalttätige, organisierte Erscheinung ist, wäre jedoch voreilig .... und (sowohl für PolizistInnen als auch für potentielle DemonstrantInnen) dumm.

...und doch keine materielle Auto-Deformation der genueser Innenstadt

Es gibt da nämlich noch ein paar andere Fakten: noch nirgendwo in Europa oder den USA konnten jemals OrganisatorInnen des "schwarzen Blocks" dingfest gemacht werden. Noch nie gelang es, Ansätze einer strategischen Planung aufzudecken; noch nie gelang es, eine Organisationsstruktur zu entarnen. Der Grund: Es gibt weder OrganisatorInnen, strategische Planung noch Organisationsstruktur.

Eine Organisation ohne OrganisatorInnen, Planung und Organisationsstruktur ist keine Organisation, sondern inexistent (jetzt mal ehrlich: die KPÖ lebt uns seit Jahrzehnten vor, dass es selbst mit OrganisatorInnen, Planung und Organisationsstruktur möglich ist, keine Organisation zu sein). Genaugenommen gibt es keinen "schwarzen Block"...

Nun soll das bisher Geschriebene nicht neue physikalische Phänomena, etwa jenes der materiellen Auto-Deformation ganzer genueser Innenstadtviertel postulieren. Selbstverständlich sind es Menschen, die sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern oder Auslagenscheiben zerstören. Sie tun es aber nicht als "Schwarzer Block", nicht als geplante Aktion, nicht als Teil einer Organisation!

Der Bezug...

Die Demonstrationen gegen die geradezu vulgären Selbstinszenierungen der politischen und ökonomischen Eliten sind regelrechte Knotenpunkte der Kommunikation. Bezugsgruppen - dass sind sehr kleine, meist aus FreundInnenkreisen bestehende Gruppen, die sich in dieser Form im wesentlichen nur für ganz bestimmte Aktionen zusammenfinden und danach wieder zerfallen - bestimmen das Bild und das Geschehen. Sie sind organisatorisch nicht fassbar, weil nur für den jeweiligen Augenblick (oder vielleicht ein Wochenende) existent und verfügen über keinerlei klare Struktur. Als Gruppen verfügen sie auch nicht über Beziehungen, denn die haben ausschließlich die teilnehmenden Einzelpersonen jeweils für sich (bzw. als Gruppenmitglied auch für die Gruppe, aber eben nur so lange die Gruppe auch besteht). Polizeiliche Aktionen müssen ins Leere laufen. Jede Gruppe restrukturiert sich augenblicklich neu, und zwar nicht etwa deshalb, weil die Leute "so gut ausgebildet" oder etwa "so fanatisiert" wären, sondern weil "Sozialverhalten" das entscheidende Moment ist: Mit wem bewege ich mich in einer Stadt, die ich nicht kenne? Welche Menschen geben mir die Sicherheit, dass ich nicht allein gelassen werde, wenn etwas passiert?

...und seine Folgen

Es erscheint geradezu paradox: Aber das, was die Bezugsgruppen als Organisationsform des Augenblicks so interessant und bedeutend macht, ist das, was ein Polizeiapparat nie unter Kontrolle bekommen kann: realer sozialer und persönlicher Zusammenhalt (mit Name und Gesicht).

Und damit zurück zum Anfang: Zu unserem überzeugten Anhänger der Gewaltfreiheit, dessen fehlende Erfahrung mit Web-Cams dazu geführt hat, dass er steinewerfender Weise verewigt wurde. Der junge Mann scheint schlichtweg das unterschätzt zu haben, was in Konfliktsituationen an Ohnmacht, Hilflosigkeit und schlussendlich an Aggression zum Ausbruch kommt. Die Demonstration gegen den Opernball liefert den Beweis Jahr für Jahr aufs neue: Nur Vollidioten können ernsthaft annehmen, dass organisierte Gruppen von hundert und mehr Leuten bewusst auf PolizistInnen losgehen. Der eigentliche Anlass eines polizeilichen Eingreifens ist egal (die Fensterscheibe jener Bank, die bei der diesjährigen Opernballdemonstration als erste von ein paar Leuten mit Steinen zerschlagen wurde, wird selbst im offiziellen Polizeibericht nicht erwähnt). Entscheidend in dieser Situation ist einzig das subjektive Erleben jener Personen, die vom polizeilichen Eingreifen betroffen sind. Sie erleben die Ohnmacht, die Wut und die Aggression, die sie - völlig unbewusst - zum Teil des "schwarzen Blocks" werden lässt. Zu jenen, die aus Wut darüber, dass er/sie selbst oder einE FreundIn eine mit dem Knüppel drüber gekriegt hat, an Widerstandsformen teilnehmen, die sie sonst vielleicht sogar ablehnen. Sie werfen vielleicht aktiv mit Steinen, sie gehen möglicherweise auf PolizistInnen los, die zuvor andere DemonstrantInnen verprügelt haben, oder sie helfen einfach anderen DemonstrantInnen, in dem sie ihnen "he, in der Gasse steht die Polizei" zurufen. Sie sind ab diesem Augenblick Teil des "schwarzen Blocks"...

Der gewollte Tote...

In Genua lag - nach den Erfahrungen mit großflächigen Ausnahmezuständen in Seattle und Prag und dem Schusswaffeneinsatz gegen Menschen von Göteborg - die nächste Eskalationsstufe geradezu in der Luft: Tote. Wer nach Genua fuhr, sei es als Politiker, als PolizistIn oder als DemonstrantIn (als JournalistIn sowieso), fuhr im Bewusstsein, dass die nächste Stufe nur mehr der tödliche Schusswaffeneinsatz sein konnte. Es war eine Entscheidung der Berlusconi-Regierung und der Polizeiführung, dieser Eskalation nicht im Vorfeld zu begegnen. Die Tatsache, dass Sperrzonen Objekte der Begierde sind und dass Massen von Kiberern regelmäßig ausrasten, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Die Entscheidung der Regierung, genau diesen Weg in einer militarisierten Form weiterzugehen, war die Entscheidung für den Tod von DemonstrantInnen. Der "schwarze Block" hingegen, ist - bestenfalls - ein psychologisches Phänomen....

...und die Liebe zur Verschwörungstheorie.

Ein bisweilen recht schlagkräftiges psychologisches Phänomen jedoch: Es waren Menschen, DemonstrantInnen, Angehörige von Bezugsgruppen, die in Genua Banken oder McDonalds-Fillialen zerstört haben. Es waren auch Menschen, DemonstrantInnen, Angehörige von Bezugsgruppen, die sich Schlachten mit der Polizei geliefert haben.

Ein Faktum, dass seitens der DemonstrantInnen nicht besonders gern gehört wird: Da ist es schon sympathischer, wenn sich die italienische Polizei ein paar Neofaschisten besorgt und verkleidete PolizistInnen ans Werk gehen. In Italien - die militärputsch-vorbereitende Loge P2 ist ebenso in Erinnerung wie etwa die Gerüchte um die CIA-Lenkung der Aldo Moro-Entführung oder das Bombenattentat auf den Bahnhof von Bologna - ist schließlich alles möglich. Und tatsächlich gibt es Berichte von bundesdeutschen Autonomen, die am Samstag die Heimreise antraten, weil sie es nicht packten, wie DemonstrantInnen von schwarzgekleideten attackiert wurden, wie Autos angezündet und Wohnungen geplündert wurden.

Doch selbst hundert Agent Provocateurs und NeofaschistInnen können nicht die massenhafte Militanz von mehreren tausend Menschen über drei Tage hinweg erklären. Es wird daher wohl davon auszugehen sein: Gewalt ist Teil dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

Der nächste Schritt...

...der Eskalation ist bereits angedacht: Statt die politische Entscheidungsfindung zu demokratisieren bereiten sich die G8 nach dem Krieg in der Stadt auf die offene Feldschlacht in Kanada vor. In die Rocky Mountains, so wird gehofft, werden sich die angeblichen GlobalisierungsgegnerInnen nicht verirren. Und wenn doch, na dann...

Eins war schon vor Genua klar: Die acht Herren mit der demokratischen Legitimation eines Schmiergeldnehmers, eines Völkermörders, eines Mafiosi-Freunds und eines Wahlverlierers haben der Welt den Krieg erklärt. Nach Genua gesellt sich eine weitere Klarheit hinzu: ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Welt hat diese Kriegserklärung angenommen. Das ist nicht besonders schön und angenehm, aber es ist eine Tatsache...

aus TATblatt Nr. +171 (rapiditè Sonderausgabe nr. 08/01) vom 3.August 2001

 
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