tatblatt.net    

Marcus Omofuma - ein Opfer der österreichischen Abschiebepolitik

Am 4. März 2002 begann am Landesgericht Korneuburg bei Wien der Prozess gegen drei Fremdenpolizisten. Die Anklage lautet: "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge." Marcus Omofuma war am 1. Mai 1999 in ihrer Begleitung im Zuge einer gewaltsamen Abschiebung nach Nigeria gestorben. Für den Flug nach Sofia war er mit Klebeband um Körper und Mund gefesselt und geknebelt worden. In zwei internationalen medizinischen Gutachten wurde Tod durch Ersticken festgestellt - als Folge der Fesselung und Knebelung; ein umstrittenes österreichisches Gutachten spricht von möglichem Tod durch Herzerkrankung.

noracism.net; überarbeitet TATblatt

Opfer-Täter-Umkehr

Die ersten Verhandlungstage im voraussichtlich noch bis 15. April dauernden Prozess waren gekennzeichnet von Verantwortungsverweigerung, Opfer-Täter-Umkehr und Zynismus. Wenn von Marcus Omofuma gesprochen wurde, dann als tobende, aggressive, schreiende, sich wehrende Person, die "tierische Laute" von sich gab. Aus dem Opfer wurde ein Täter, die Täter zu armen, unwissenden, nur ihre Pflicht tuenden Opfern. Das Szenario schafft ein eigenes Bild: Wäre Marcus Omofuma ruhig gewesen, hätte er sich seinem Schicksal gefügt, sich abschieben lassen - ihm wäre nichts passiert. ZeugInnen sprechen im Prozess von der eigenen Befindlichkeit - der Anblick sei nicht schön gewesen, man hätte Omofuma nicht in die Augen geblickt, da er das als Provokation verstehen hätte können, man sei nicht informiert gewesen, Abschiebungen würden nicht gern gemacht. Trotzdem hatten sich die Fremdenpolizisten freiwillig dazu gemeldet. Die Sonderzahlungen für Polizeieinsätze im Ausland waren offenbar ein starker Anreiz.

Alle Verantwortlichen, so die Linie der Verteidigung, hätten von der Praxis des Mundverklebens gewusst, nur sei offiziell nie darüber geredet worden. Die Gespräche über die menschenverachtende Praxis fanden laut Aussagen der Angeklagten nur im "halbprivaten Rahmen" statt. Dort seien Erfahrungen ausgetauscht worden. Im Wachzimmer der Fremdenpolizei hing darüber hinaus über mehrere Jahre ein Bild eines "Verklebten". Sogar einer der drei beim Prozess als Zeugen geladenen ehemaligen Innenminister (alle von der SPÖ) hätte dieses Bild gesehen - und nicht beanstandet.

Zur Durchführung der Abschiebungen verwendeten die AbschiebebeamtInnen ein "Set" - bestehend aus Leukoplast, Klebebändern und Klettverschlussbändern. Und wer hat das "Set", das bei jeder Abschiebung "am Mann" ist - wie eine Dienstwaffe - nun besorgt? Kollegen hätten die Klebebänder privat aus eigener Tasche bezahlt, denn diese seien nicht im Budget inbegriffen. Auf die Idee, sich das Geld zurückerstatten zu lassen, sei keiner gekommen. Wer die "Sets" besorgt hätte, kann nicht mehr so genau gesagt werden - sie wurden von Abschiebung zu Abschiebung an andere Beamte weitergegeben. Anfang der 90er Jahre sei die Idee aufgekommen, Menschen bei Abschiebungen den Mund zu verkleben. In Berichte über Abschiebungen sei das aber nie aufgenommen worden, war es doch eine übliche, von allen BeamtInnen angewendete Praxis. So wie Essen und Trinken. Essen und Trinken sei bei abzuschiebenden Personen jedoch nicht vorgesehen. Die bekämen doch nie etwas, wie eine Stewardess der Balkan Air angab.

Der rechte Anwalt

Drei Tage vor Prozessbeginn wurde bekannt, dass der ehemalige Justizminister und derzeitige FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner die Verteidigung eines der drei angeklagten Beamten der Fremdenpolizei übernommen hat. Ein gelungener medialer Schachzug. Darüber hinaus ergibt sich daraus eine interessante Konstellation, die bis jetzt fast nicht beachtet wurde: Harald Ofner (ehemaliger Justizminister und derzeitiger FPÖ-Justizsprecher), Dietmar Böhmdorfer (Rechtsanwalt und Justizminister von der FPÖ) und Staatsanwalt Demler, der gegenüber Justizminister berichtspflichtig und weisungsgebunden ist.

Ofner stellte bereits in seinem Eingangsstatement den Sachverhalt so dar, als wäre Marcus Omofuma der aggressive Täter und die abschiebenden Beamten verängstigte Opfer gewesen. Des weiteren war es ihm nicht zu lächerlich, die Identität Marcus Omofumas in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus nutzte er die Verhandlung um festzustellen, dass der Staat handlungsunfähig sei, würden die Abschiebungen nicht mit entsprechenden Mitteln durchgeführt. Seine emotionalen Ausführungen scheinen vor allem auf Beeinflussung der SchöffInnen abzuzielen, die gemeinsam mit dem Richter über Schuld oder Unschuld der Fremdenpolizisten entscheiden werden.

 

 

Der Prozess im Überblick:

4.3. 9:15: Verlesung der Anklageschrift und Vernehmung der Angeklagten ....

6.3. 9:15: Vernehmung von zwei uniformierten Beamten sowie eines Bediensteten der Balkan Air, die am Flughafen Schwechat dabei waren ....

7.3. 9:15: Vernehmung der Crew der Balkan Air und des Piloten ....

11.3. 9:15: Vernehmung einiger Passagiere und des Arztes, der in Sophia den Tod des Marcus Omofuma festgestellt hat

13.3. Vernehmung der Vorgesetzten in der Fremdenpolizei und des ehemaligen Innenministers Löschnak

14.3.: Vernehmung des ehemaligen Innenministers Einem

18.3.: Vernehmung des ehemaligen Innenministers Schlögl

8.4.: Vernehmung zweier Passagierinnen aus den Niederlanden

10.4.: Vernehmung des ersten medizinischen Sachverständigen

11.4.: Vernehmung des zweiten medizinischen Sachverständigen

15.4. Vernehmung des dritten medizinischen Sachverständigen und Urteilsfällung.

Ort: Der Prozess findet im Schwurgerichtssaal des Landesgericht Korneuburg (Hauptplatz 1) statt. Korneuburg liegt ca. 15km nördlich von Wien an der A22. Via Bahn ist es mit Zügen der S3 erreichbar, die im Halbstundentakt fahren;

Der Prozess ist öffentlich, Plätze sind genug vorhanden - kommt zum Prozess, schaut euch das an!

Das Gutachten von Prof Brinkmann ist zu finden unter >>>www.8ung.at/gutachten

Infos und laufende Prozessberichterstattung auf >>>www.no-racism.net/racismkills

 

 

 

 

 

 

KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN KASTEN

Abschiebungen als alltägliches Geschäft

In der Befragung der Crew-Mitglieder des Balkan-Air Fluges wurde deutlich, dass Abschiebungen für Fluglinien und FlugbegleiterInnen zum alltäglichen Geschäft gehören. Wenn Kritik an der Abschiebepraxis geübt wird, dann nur in Bezug auf Befindlichkeiten von Fluggästen und Bordpersonal. Die Fluglinien müssen dort angegriffen werden, wo es ihnen am meisten weh tut: an der finanziellen Basis.

Knebelungen (Verklebungen) und Fesselungen standen zumindest bis Mai 1999 in Österreich auf der Tagesordnung. Und dies, obwohl es ein rechtskräftiges Urteil des UVS aus dem Jahr 1996 gibt, in dem das Verkleben der Atemwege ausdrücklich verboten wird. Heute stellt sich die Frage: Wie wird jetzt vorgegangen? Welche Maßnahmen werden, insbesondere bei so genannten "Problemabschiebungen" per Charterflugzeug des Internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) angewandt? Dort gibt es keine ZeugInnen, der sogenannte Menschenrechtsbeirat, der zur Behebung von "Missständen" bzw. "Störungen" bei Abschiebungen gegründet wurde, wird in den Abschiebevorgang involviert.

Überprüft wird bloß die Durchführung auf "Menschenrechtskonformität", die Praxis selbst wird nicht in Frage gestellt. Trotz aller Verniedlichung durch einen hie und da zugezogenen "Menschenrechtsbeirat" bleibt doch festzuhalten, dass Abschiebungen unter Zwang niemals menschenrechtskonform verlaufen können, sondern stets einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Menschenrechte darstellen: Nur um eine Person außer Landes zu schaffen, wird die persönliche Freiheit geraubt, wird massiv körperlich bedroht, wird gequält und auch getötet. Schubhaft und Abschiebungen sind im Lichte der Menschenrechte unhaltbar. Im Prozess, bei dem es unter anderem um die Klärung der Todesursache von Marcus Omofuma geht, wird dies deutlich, wenn es lediglich um die Klärung geht, warum die Verklebung nicht rechtzeitig abgenommen wurde.

Die beschuldigten Beamten wussten vom Inhalt des ablehnenden Asylbescheides und ihnen musste klar sein, warum sich Marcus Omofuma wehrte. Der Widerstand kann daher insgesamt als Überlebenskampf gesehen werden. Daraus und aus den Schilderungen der Beteiligten an Abschiebungen - sowohl der Angeklagten, als auch der Flughafenpolizisten und der Crew der Balkan Air - wird ersichtlich, dass das Verkleben bewusst durchgeführt wurde und keineswegs einen Einzelfall darstellte.

Jedenfalls wird der weitere Verlauf des Prozesses zeigen, wie weit die staatliche Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik gerechtfertigt wird und welche Maßnahmen als akzeptabel erachtet werden. Ein Freispruch für die drei Fremdenpolizisten würde nicht nur das Inkaufnehmen von Toten bei Abschiebungen rechtfertigen. Der Prozess wird aufzeigen, welche Praktiken staatlicher Organe von der Mehrheitsbevölkerung gebilligt werden.

aus TATblatt Nr. +183 vom 14. März 2002

 
>>TATblatt-Homepage >>Printausgabenindex 2002

©TATblatt, 2002
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)