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Die "Plattform für Legalisierung - gegen Abschiebungen!" aus Wien fordert zum europaweiten Aktionstag:

- Bedingungslose Legalisierung alles Sans Papiers (Menschen ohne Papiere)
- Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit
- Umgehende Schließung aller Isolations- und Abschiebezentren
- Abschaffung des Abschiebesystems
- Gleiche Rechte unabhängig von StaatsbürgerInnenschaft
- Einführung eines tatsächlichen Rechts auf Asyl
- Beendigung von Ausbeutung und Neo-Skaverei und das Recht auf Arbeit bei gleichen Bedingungen und gleicher Bezahlung

Aktion in Wien:
Abschiebezug zum Westbahnhof.
Treffpunkt: Samstag, 31. Jänner 2004, 13.00 Uhr
Omofuma-Denkmal (MQ - Fuß der Mariahilfer Straße).
Kommt als Gefangene oder Uniformierte!
  Europaweite Proteste:
Für Legalisierung! Gegen Abschiebungen!


Am 31. Jänner 2004 findet ein europaweiter Aktionstag für Legalisierung aller "Sans Papiers" und für die Schließung aller Abschiebezentren statt. In Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, der Schweiz und Spanien sind Aktionen geplant, die vor allem auf Internierungslager bzw. Schubhäfen fokusieren. In Wien wird es dazu eine Performance auf der Mariahilfer Straße mit Beteiligung des FC Sans Papiers geben.

TATblatt.

Entstanden ist die Idee zum europaweiten Aktionstag am European Social Forum (ESF) in Paris im November 2003. Zahlreiche MigrantInnenorganisationen, die sich seit mehreren Jahren europaweit vernetzen, forderten dort vom ESF, am 31. Jänner 2004 einen europaweiten Aktionstag für die Regularisierung aller Menschen ohne Papiere und die Schließung aller Internierungslager für MigrantInnen zu organisieren. Des weiteren wurde die Organisation eines thematischen ESF zu Migration und Illegalisierung gefordert. Während der erste beider Vorschläge von verschiedenen Netzwerken, wie dem europaweiten noborder-Netzwerk, aufgegriffen wurde, ist uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt, ob es innerhalb des ESF Bestrebungen gibt, ein thematisches ESF zu organisieren.
Auffallend ist, dass die geplanten Aktionen vor allem von MigrantInnenorganisationen bzw. Initiativen getragen werden, die seit Jahren die Schließung von Lagern und Schubhäfn sowie eine Ende von Deportationen, sowie Papiere und Aufenthaltsrecht für alle fordern. In zahlreichen Konferenzen und direkten Aktionen wurde in den letzen Jahren auf verschiedenen Ebenen auf eine Änderung der europäischen Internierungs- und Deportationspolitik hingearbeitet. Im Zuge der ständigen Verschlechterungen für Menschen ohne Papiere oder rassistisch diskriminierte wurde immer klarer, dass die Harmonisierung der Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene ein europaweit vernetztes Agieren erfordert. Und gleichzeitig der Kampf auch auf lokaler Ebene verstärkt werden muss und das System von Abschottung, Internierung und Deportation mit direkten Aktionen zu unterlaufen ist. Sehr oft werden Flüchtlinge und MigrantInnen in ihren Kämpfen jedoch allein gelassen. So gibt es in Deutschland eine scharfe Kritik an der antirassistischen Szene rund um das - nur mehr marginal existierende - kein mensch ist illegal-Netzwerk, das vor allem auf medienwirksame Aktionen, oft eingebettet in einen kulturellen Rahmen zielt, anstatt sich an den alltäglichen Kämpfen der Flüchtlinge und MigrantInnen gegen - deren oft eigene - Ausgrenzung und Deportation zu beteiligen.
Der Rahmen des ESF wurde von MigrantInnenorganisationen u.a. deshalb als Plattform für die Thematisierung ihrer Inhalte gewählt, um innerhalb der sich neu formierenden sozialen Protestbewegungen, die sich zunehmend institutionalisieren, auf die spezielle Situation von Illegalisierten aufmerksam zu machen. Diese sind "nur der sichtbare Teil eines Eisberges des Prozesses der Prekarisierung, der alle anderen MigrantInnen und ArbeiterInnen mit einschließt."(1). Der Kampf der Illegalisierten steht zweifelsohne im Zentrum der politischen Konfrontation, wie dies von den UnterzeichnerInnen der "Gemeinsamen Erklärung zum ESF" festgestellt wird.

Zur Forderung nach Legalisierung.

Spätestens seit den medienwirksamen Besetzungen Sans Papiers in Frankreich ist der Kampf von Flüchtlingen und MigrantInnen für gleiche Rechte ein Thema innerhalb der antirassistischen Bewegungen in Europa geworden. Die Bewegung der papierlosen Menschen in Frankreich, die "Sans Papiers" haben dabei den Satz "Wir sind hier, weil ihr dort seid" geprägt. Es soll darauf hingewiesen werden, dass gerade durch die Politik Europas und anderer wirtschaftlicher Supermächte Migrationsgründe international forciert werden. Aufgrund der restriktiven Einreisebestimmungen ist es jedoch vielen Leuten nicht (mehr) möglich, auf legalem Weg nach Schengen-Europa zu gelangen. Oft ist das Stellen eines Asylantrages die einzige Möglichkeit - zumindest vorübergehend - eine legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Die Novelle des Asylgesetzes von 1997 in Österreich zielte jedenfalls darauf hin, hier einen weiteren Riegel vorzuschieben. Argumentiert wird mit "asylfremden Motiven" und Wirtschaftsflüchtlingen, die angeblich eine Gefahr für die Sicherheit und den Frieden in Österreich bzw. Europa darstellen. Gleichzeitig profitiert die Wirtschaft von den zahlreichen billigen und oft illegalisierten und somit rechtlosen Arbeitskräften. Deshalb verwundert es auch nicht, dass in der gemeinsamen "Erklärung zum ESF" unterstrichen wird, "welch besondere Rolle die Illegalisierten innehaben im Prozess der Neuordnung der Arbeitssphäre durch die allgemeine Prekarisierung."
Kanak Attak argumentiert in diesem Zusammenhang, dass der Status der Papierlosigkeit strukturell alle hier lebenden Menschen ohne entsprechenden Pass betrifft. Die meisten der illegalisierten MigrantInnen kommen nicht rechtlos in ein Land, sondern werden durch die Maschinerie des Migrationsregimes entrechtet - sind in der wahrsten Bedeutung des Begriffs illegalisiert worden. Etwa durch Scheidungen von ihren EhepartnerInnen, durch den Verlust des oft unterschiedlichen Aufenthaltsstatus, durch Vorstrafen, durch illegalisierte Beschäftigung oder die Verletzung von im Fremdengesetz festgeschriebenen rassistischen Sonderregelungen.(2)

Das FrauenLesben-Bündnis "Papiere für alle"(3) legt im Rahmen der bundesdeutschen Kampagne "Recht auf Legalisierung" den Schwerpunkt auf die Forderung nach Rechten, statt nach Papieren. Denn auch AsylwerberInnen haben kein Recht auf freie Arztwahl, keine Bewegungsfreiheit, kein Recht zu Arbeiten, etc. Auch gültige Aufenthaltspapiere bieten keinen Schutz vor rassistischen Kontrollen. Gerade deshalb ist es notwendig sich mit einer breit angelegten Offensive für Legalisierung einzusetzen, die neben der Verbesserung der Lebensverhältnisse immer auch den Kampf gegen die Kriminalisierung von Migration und die ökonomische Ausbeutung von MigrantInnen thematisiert. Eine punktuelle Regularisierung(4) kann langfristig nichts ändern. Wir fordern daher mindestens eine Gleichstellung aller hier Lebenden in allen Bereichen. Dass so dies auch unabhängig vom Aufenthaltstatus geschehen kann, zeigt ein Gesetzesentwurf der letzten sozialistischen Regierung in Spanien, der vorsah, elementare soziale und politische Rechte(5) zu garantieren. Durch den Regierungswechsel trat dieses Gesetz nie in Kraft.
Durch Illegalisierung werden Parallelwelten geschaffen, in denen Arbeit und Wohnung organisiert werden müssen, fernab von den üblichen gesellschaftlichen Vereinbarungen. So beteiligen sich ArbeitgeberInnen und VermieterInnen zum Teil recht gerne an der "Illegalität", denn sie wissen um den Status der Rechtlosigkeit ihrer MieterInnen und ArbeitnehmerInnen. Nicht wenige profitieren davon und so entstehen z.B. horrende Mieten, Dumpinglöhne und Lohnraub. Das Wissen und Ausnutzen der Situation existiert in allen gesellschaftlichen Bereichen. In der Illegalisierung greifen Mechanismen der Ausbeutung und Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Von staatlicher Seite wird der gesetzliche Rahmen bereitgestellt, in dem Kapitalismus in seiner Reinform funktionieren kann. Ohne soziale Rechte und Gewerkschaften, auf die mensch sich stützen kann. Deshalb ist für das FrauenLesben-Bündnis "Papiere für alle" der Aspekt des Öffentlichmachens der Lebenssituation in der Illegalität wichtig und zunehmend Bestandteil ihrer Politik.

Aus der Erfahrung und der Analyse der Regularisierungs- bzw. Legalisierungskampagnen in verschiedenen EU-Ländern hat sich gezeigt, dass diese meist von Seiten der jeweiligen Regierung von der Absicht geleitet waren, die Einwanderung zu kanalisieren, die Proteste zu beruhigen und Erkenntnisse über Strukturen der Selbstorganisierung zu erhalten. Der Erhalt gültiger Papiere war abhängig von Stichtagsregelungen und Arbeitsnachweisen, die erbracht werden mussten. Diese Kampagnen wurden in fast allen Ländern von Protesten und Kämpfen begleitet, und verschafften einigen zumindest zeitweise einen gültigen Aufenthalt.

Zur Abschaffung von Schubhaft und Zwangsinternierung.

Schubhaft ist eine Haft, die ausschließlich "Fremden" zuteil werden kann. Ihr Zweck ist es, ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes und die Abschiebung sicherzustellen. Sie wird in der Regel in eigenen Abteilungen von Polizeigefangenenhäusern (PGH) vollzogen. Schubhaft stellt keine Strafhaft oder eine richterlich verordnete Haft dar, sondern wird lediglich von der Verwaltungsbehörde ausgesprochen und durchgesetzt. Die Schubhaft wird über das Fremdengesetz (FrG) geregelt und sollte grundsätzlich so kurz wie möglich dauern, längstens aber zwei Monate. Bei Ausnahmefällen kann sie jedoch auf bis zu sechs Monate ausgedehnt werden. In der überwiegenden Zahl der Inschubhaftnahmen wird die im Gesetz genannte Ausnahme jedoch zur Regel.(6)
Für Menschen, die nicht über österreichische Papiere verfügen - d.h. für Menschen die nicht in die Konstruktion der/s "echten ÖsterreicherIn" passen - stellt die Schubhaft eine ständige Bedrohung dar. Durch staatliche Gesetze und den rassistischen Konsens in der Mehrheitsbevölkerung sind MigrantInnen z.B. dazu gezwungen, unmenschliche und extrem ausbeuterische Arbeits- oder Wohnverhältnisse einzugehen und in diesen zu bleiben. Der Verlust eines Arbeitsplatzes kann dazu führen, dass Schubhaft verhängt wird. Für jene Frauen, die über Familienzusammenführung und den "Schutz der Ehe" einen Aufenthaltsstatus erhalten, bedeutet dies eine völlige Abhängigkeit von einem Mann. Lässt frau sich scheiden, kann das zu Schubhaft und Ausweisung führen.
Das neuen Asylgesetz, das mit 1. Mai 2004 in Kraft treten soll, sieht darüber hinaus die Einrichtung von Erstaufnahmestellen (EAST) vor, in denen alle AsylwerberInnen falls sie sich nicht selbst dorthin begeben, zwangsweise vorgeführt werden. Ein unerlaubtes Verlassen der EAST kann zur Verhängung von Schubhaft führen.(7)

Zu den Protesten in Österreich.

In Wien haben sich einige wenige Leute zusammengefunden, um auf Anregung des europaweiten noborder-Netzwerkes ebenfalls Aktionen am 31. Jänner durchzuführen. In dieser Plattform ist ein relativ breit gestreutes Spektrum vertreten. Erste Diskussionen drehten sich vor allem darum, was an diesem Aktionstag gemacht werden soll. So gab es den Vorschlag einer Lärm-Demonstration zu den Wieder Schubhäfn, aber auch die Idee von theatralischen Aktionen zur Aufklärung der Mehrheitsbevölkerung. Hier sollte sich jedenfalls die Frage stellen, an wen sich der Protest richtet. Während z.B. in Großbritannien und Spanien ganz klar Schubhaftgefängnisse bzw. Detention-Centers (Internierungslager) im Mittelpunkt der Proteste liegen, mit der klaren Forderung nach deren Schließung, entschied sich die "Plattform für Legalisierung - gegen Abschiebungen!" für eine symbolische Aktion auf der Wiener Mariahilfer Straße. Im Rahmen eines Abschiebezuges, der vom Omofuma-Denkmal beim Museumsquartier (MQ) zum Westbahnhof führt, soll das Einkaufspublikum darauf aufmerksam gemacht werden, dass in Österreich Abschiebungen Alltag sind. Des weiteren soll die ÖBB kritisiert werden, mit deren Zügen zahlreiche Deportationen vor allem in den Osten Europas durchgeführt werden.

Zeitgleich mit dem Aktionstag wird das Vorbereitungsplenum zum ASF in Linz tagen. Es wird sich sicher auch dort bzw. spätestens am nächsten ASF vom 3. bis 6. Juni 2004 in Linz zeigen, ob das plötzlich aufkeimende Interesse an antirassistischen Aktionen nur der Werbung und Selbstinszenierung dient, oder ob innerhalb der nationalen wie internationalen Sozialforen eine andere Politik möglich ist, die das System der Abschottung, Internierung und Deportation grundsätzlich in Frage stellt.


Anmerkungen:
(1) aus der "Gemeinsamen Erklärung zum ESF" in Paris, zu finden unter www.basicrights.de/munich
(2) vgl: Kanak Attak: Ein kurzes Wieso-Weshalb-Warum / Legalisierungskampagne, www.rechtauflegalisierung.de
(3) die folgenden Ausführungen zur Legalisierungen sind deren Statement zur Kampagne "Recht auf Legalisierung" entnommen, siehe www.rechtauflegalisierung.de
(4) Regularisierung meint die einmalige Vergabe von Bleiberechten an diejenige Gruppe von "Illegalisierten", die sich in irgendeiner Form als nützlich für die Gesellschaft erweisen. In vielen EU-Ländern war eine solche staatliche Initiative an den Nachweis von bestehenden Arbeitsverhältnissen gekoppelt. Der legale Status kann bei Arbeitsverlust nach einer bestimmten Frist wieder entzogen werden.
(5) Unabhängig vom Status sollten folgende Rechte gewährt werden: Garantie des lokalen Wahlrechtes für alle volljährigen AusländerInnen, Garantie des Rechtes auf Bildung für alle unter 18-jährigen, einschließlich des Rechtes auf Universitätsbesuch und den Bezug staatlicher Stipendien, Anspruch auf soziale Fürsorge und die Grundleistungen der Sozialversicherung, Garantie politischer Rechte, wie Streikrecht, Demonstrationsrecht und Vereinigungsfreiheit, Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts, Garantie eingeschränkter medizinischer Versorgung für "Sin Papeles", Garantie vollständiger medizinischer Versorgung für Illegalisierte unter 18 Jahren und Schwangere.
(6) für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit Schubhaft siehe: Im Namen der Menschenrechte: Schubhaft und Sozialdienst, in TATblatt +198, April 2003; sowie den Artikel "Schubhaft abschaffen!" auf www.no-racism.net
(7) siehe: Asylgesetznovelle 2003: asylfremde Motive und effiziente Deportationen, in TATblatt +204, November 2003

Weitere Informationen und Links auf:
http://www.no-racism.net
     

aus TATblatt Nr. +206, Jänner 2004.

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