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Todesstrafe in den USA

Schneller, öfter, publikumswirksamer...

siehe auch:
-->Todesstrafe international und in den USA
-->Solidarität mit Mumia Abu-Jamal

Mehr als 3000 Menschen warten in US-amerikanischen Todeszellen auf die Hinrichtung. Eine neue Politik soll dem ein Ende machen: kürzere Verfahren, weniger Rechtsmittel, schnellere Exekution...

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Flint Gregory Hunt hatte zu Beginn der 80er Jahre im US-Bundesstaat Maryland unter Drogeneinfluß ein Geschäft überfallen und dabei eine Angestellte erschossen. Ein tragischer Fall von regionaler Bedeutung, möchte mensch meinen. Daß der Name Flint Gregory Hunt dennoch den Weg in die internationalen Medien fand, ist einer Art Jubiläum zu verdanken. Denn Hunt wurde vergangene Woche hingerichtet. Er war der 400. zum Tode Verurteilte, der in den USA seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 mittels elektrischem Stuhl, Giftspritze oder Gaskammer auf Gerichtsbeschluß vom Leben zum Tode befördert wurde.

Jubiläen dieser Art werden in nächster Zukunft öfter fallen, denn seit Beginn dieses Jahres läuft in den USA eine Hinrichtungswelle bisher ungekannten Ausmaßes: Insgesamt 41 Menschen wurden in der ersten Jahreshälfte 1997 hingerichtet; 24 von ihnen allein im US-Bundesstaat Texas.

Von der Hinrichtungswelle alarmiert haben die US-Anwaltskammer in Zusammenarbeit mit Zeitungen wie der New York Times und der Chikago Tribune einen Stopp aller Hinrichtungen gefordert. Ein Moratorium, so der gemeinsam publizierte Aufruf, soll dazu genutzt werden, die Bedingungen, unter denen Todesstrafen ausgesprochen werden zu überprüfen und die Auswirkungen der Todesstrafe zu bewerten.

Politkonsens Todesstrafe

Die gemeinsame Aktion der AnwältInnen und Zeitungen hat bisher keine politischen Reaktionen hervorgerufen: Die Todesstrafe ist in den USA en vogue. An die 75% der US-AmerikanerInnen, stellte ein Meinungsforschungsinstitut erst kürzlich fest, sind für die Todesstrafe. Das Thema ist damit ein gefundenes Fressen für alljene, die sich vor potentiellen WählerInnen profilieren wollen: "Aufgeschobene Gerechtigkeit ist aufgehobene Gerechtigkeit" meint Michael Bowers, Staatsanwalt in Mississippi, und verknüpft sein öffentlichkeitswirksames Statement mit der Forderung nach Einschränkung der Berufungsmöglichkeiten für Death-row-InsassInnen. "Die Verfahren dauern einfach zu lange" poltert auch Thomas Ridge, Gouverneur von Pennsylvania. Er verspricht sich von seiner Ankündigung, demnächst einen neuerlichen Hinrichtungstermin betreffend Mumia Abu-Jamal anzusetzen, anhaltende WählerInnensympathie. Auch George Bush jun., Gouverneur von Texas, muß ob seiner Härte keinen öffentlichen Zwist befürchten: Leere Zellen im Todestrakt kosten kein Geld. Die durchschnittlich acht Jahre, die ein Verurteilter in der death-row wartet, verursachen hingegen Kosten und Verwaltungsaufwand vergleichbar jenen zehn "normaler" Gefangener. Das Kostenargument kommt an bei den WählerInnen des angeblich eher liberalen Republikaners.

Und selbst Bill Clinton, vor fünf Jahren als Saxophon-spielendes Symbol eines liberaleren, weltoffenen Amerikas ins Amt gewählt, konnte sich der Werbewirksamkeit der Todesstrafe nicht entziehen: Seinen Intensivwahlkampf begann er 1992 mit der scheinbar nebenbei eingeworfenen Feststellung, gerade zwei Todesurteile gegengezeichnet und damit zur Vollstreckung freigegeben zu haben.

Fluchend mußte der republikanische Gegenkandidat George Bush sen. zur Kenntnis nehmen, daß eine Kampagne gegen den vermeintlichen Liberalen - in den USA geradezu ein Schimpfwort - ins Leere laufen würde. Auch ein kiffender Kriegsdienstverweigerer kann in den USA Präsident werden, solange er für die Todesstrafe eintritt(1).

Akzeptanz-Konjunkturen

Die hohe Akzeptanz der Todesstrafe in den USA ist tatsächlich einmalig in der Welt. Gängige Erklärungsmuster reichen vom Bewußtseinsrelikt der SklavInnenhalter-Gesellschaft bis zur Verlängerung des "Wilden Westens", der Siedler- und Pioniergesellschaft in das 20. Jahrhundert. Die Problematik solcher Erklärungsansätze liegt in ihrem Determinismus: Als läge es den AmerikanerInnen quasi im Blut, aus Rache jenes der anderen zu fordern. Der Rückgriff auf die Pionierzeit und den Wilden Westen ist aber nicht Alleineigentum der Todesstrafen-GegnerInnen. In Umkehrung deterministischer Erklärungsmuster stellen BefürworterInnen die Todesstrafe als integralen Bestandteil des "American set of values" dar, also als so etwas wie Teil des kollektiven Volksbewußtseins..

Gerade das, aber, ist es - mal abgesehen davon, daß nur Menschen ein Bewußtsein haben und Kollektive es nur zwangsweise konstruieren können - nicht!

Kampagnen gegen die Todesstrafe haben in den USA große Tradition. Ihre Ursprünge reichen von der Empörung über das Vorgehen der britischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg über die Abolitionsbewegung zur Befreiung der SklavInnen bis in die Gegenwart (remember Sacco & Vanzetti?). Ende der Sechziger Jahre dieses Jahrhunderts hatte die BürgerInnenrechtsbewegung breites Bewußtsein gegen die Todesstrafe geschaffen. Als diese schließlich 1972 vom Obersten Gerichtshof der USA aus formalen Gründen ausgesetzt wurde, deklarierten sich 47% der AmerikanerInnen als Todesstrafen-GegnerInnen. Daran änderte auch die Wiederzulassung der Todesstrafe durch das selbe Gericht im Jahre 1976 nichts. Es dauerte noch Jahre, bis diese grundsätzliche Ermächtigung von den jeweiligen Gerichten und Bundesstaaten auch aufgegriffen wurde.

Die hohe Akzeptanz der Todesstrafe erklärt sich also weder aus genetischer Veranlagung noch aus Geschichtsromantik...

Hautfarbe und sozialer Status

Neun von zehn US-amerikanische Todesurteile treffen Menschen mit anderer als weißer Hautfarbe. Fast ausnahmslos alle werden in Verfahren gefällt, in denen sich die Beschuldigten nicht ausreichend verteidigen konnten: Das US-amerikanische Rechtssystem sieht RichterInnen als unparteiischen Beobachter zweier Streitparteien. Anders als im kontinentaleuropäischen Recht, in dem StaatsanwältInnen als vom Staat eingesetztes Organ zumindest theoretisch der "Wahrheitssuche" verpflichtet sind und folglich auch entlastende Fakten erheben und vorbringen müssen, sind die vom Volk gewählten US-StaatsanwältInnen eine reine AnklagerInnen. Die Beschaffung entlastender Fakten obliegt dem Beschuldigten bzw. seiner Verteidigung. Das Amt des Staatsanwaltes in den USA ist damit auch ein politisches, in dem sich AmtsträgerInnen profilieren können (und müssen), um wiedergewählt zu werden. Nicht selten (etwa im Fall des bereits zitierten Michael Bowers) dient das Amt als Sprungbrett in höhere politische Positionen. Demgegenüber stehen Anwälte, deren Möglichkeiten, Entlastungsmaterial vorzubringen, stark von den vorhandenen Geldmitteln abhängt. Schlecht entlohnte PflichtverteidigerInnen sind oftmals - freundlich formuliert - mit geringer Motivation bei der Sache. Das Zusammentreffen profilierungswilliger Staatsanwälte und "wenig motivierter" Pflichtverteidiger ist somit eine Standardsituation, in der Todesurteile gefällt werden.

Normensysteme mit Eigenleben

Jedes Normensystem schafft sich jenes Umfeld, in dem es den Grundsätzen seiner TrägerInnen nach funktionieren kann. In Österreich etwa wird die gesetzlich vorgesehene Objektivitätspflicht der Staatsanwaltschaft umgangen, in dem die Herbeischaffung der Verfahrensunterlagen strafprozeßordnungswidrig der Polizei überlassen wird. Diese sieht - psychologisch nicht ganz unverständlich - ihre Aufgabe nicht in erster Linie in der Präsentation entlastender Fakten.

In den USA haben sich Gerichte die Möglichkeit verschafft, fehlerhafte oder fehlende Verteidigung als im Bereich des Angeklagten liegend und somit für das Verfahren unerheblich zu erklären. Im 1992 durchgeführten Verfahren gegen den wegen Mordes an einem Geschäftsbesitzer angeklagten George McFarland schlief der Pflichtverteidiger während des Beweisverfahrens ein. Ein Phänomen, daß so oft anzutreffen ist, daß es sogar schon einen eigenen Namen erhalten hat: Sleeping Lawyer Syndrom.

Zwar garantiert die US-Verfassung jedem Bürger und jeder Bürgerin einen Rechtsbeistand, doch steht nirgendwo, so der Richter im Verfahren, "daß dieser auch wach sein muß". George McFarland wurde zum Tod verurteilt, das Urteil vom Berufungsgericht bestätigt.

Wer und Wo?

Nicht unbedeutend für die Frage, ob ein Todesurteil gefällt wird oder nicht, ist auch der Ort der Verhandlung sowie die Zusammensetzung der Jury: In Houston, Los Angeles oder Philadelphia werden auffällig oft Todesurteile gefällt; in anderen Staaten wiederum wird die Todesstrafe generell nicht exekutiert. In dreizehn Bundesstaaten ist sie im Gesetz gar nicht vorgesehen(2). Viele Todesurteile werden schließlich aus offen rassistischen Motiven gefällt. In der Jury, die den schwarzen Journalisten und Ex-Black Panther Mumia Abu-Jamal zum Tode verurteilte, saß ein einziger Mensch mit anderer als weißer Hautfarbe.

Die Verhängung der Todesstrafe ist in den USA also nicht ein historisches oder anthropologisches Phänomen, sondern schlichte Folge der Positionierung derer, die Urteile beantragen bzw über sie zu entscheiden haben: des Rassismus und des Klassismus, der in allen Ländern und Gesellschaften der Welt zu finden ist.

Warum nur, warum...?

Die Ende der Sechziger erhobene vergleichsweise geringere Akzeptanz der Todesstrafe in den USA kann in ähnlichem Ausmaß - entsprechende Fragestellung vorausgesetzt - auch für kontinentaleuropäische Länder angenommen werden. An Stammtischen ist sie mit Sicherheit noch weit höher. Die Erklärung für die Tatsache, daß in den USA Todesurteile verhängt werden, liegt also vor allem im Bestehen der Möglichkeit, sie zu verhängen. Gäbe es sie in den USA nicht, würde sie nicht verhängt werden. Gäbe es sie in Westeuropa, so würde sie auch verhängt werden.

Die Frage, warum es sie in den USA als Möglichkeit im Gegensatz zu Europa gibt, ist einzig und allein mit unterschiedlicher Prioritätssetzung in der Entwicklung der Rechtssysteme zu erklären. Schließlich könnten auch unzählige Beispiele für US-amerikanische Rechtsnormen angeführt werden, die weit grundrechtsfreundlicher ausgerichtet sind als die selbe Materie betreffende Rechtsnormen in Westeuropa (etwa fremdenrechtliche Bestimmungen oder Bestimmungen zum Schutz von Minderheiten(3)). Die Todesstrafe wird dort als Möglichkeit der Durchsetzung rassistischer und klassistischer Positionen akzeptiert, wo sie vorhanden ist. Der Umkehrschluß, daß sie dort, wo sie nicht vorhanden ist, auch nicht akzeptiert würde, ist nicht belegbar (und außerdem wenig glaubwürdig).

Der große Oklahoma...

Die Renaisance der Todesstrafe in den USA beginnt nicht mit der Wiederzulassung der Todesstrafe 1976, sondern mit der Reagan-Revolution in den 80ern. Anstelle sozialpolitischer Versuche, den Ursachen der Verelendung und damit der steigenden Kriminalität entgegenzuwirken stützte sich der Reagankonservativismus aus ideologischen Gründen auf die Effektivierung der bereits vorhandenen Mittel: Harte Strafen, mehr Gefängnisse,.. und auch die Todesstrafe.

Wie aber erklärt sich der enorme Eifer, mit dem gerade jetzt in den USA Menschen vom Staat legal ermordet werden? Und wie konnte es gelingen, die Akzeptanz für diese große Zahl legaler Tötungen in weniger als dreißig Jahren so enorm (von 47% GegnerInnen im Jahr 1972 auf 75% BefürworterInnen heute) zu erhöhen?

Ende März dieses Jahres begann der Prozeß gegen Thimothy McVeigh, dem mutmaßlichen Haupttäter im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf ein Gebäude der Bundesregierung in Oklahoma City 1995, dem 168 Menschen zum Opfer fielen. Der McVeigh-Prozeß unterschied sich deutlich von Prozessen, in denen üblicherweise Todesstrafen verhängt werden: Thimothy McVeigh ist weiß, und er konnte (und kann weiterhin) auf ausreichende, von rechtsextremen Gruppen in aller Welt gesammelte Geldmittel für seine Verteidigung zurückgreifen. Er wurde von Starverteidigern betreut und hatte über diese jeden nur erdenklichen Zugang zu Akten, Beweismitteln, ZeugInnen etc...

Nur diese Unterschiede zu anderen Todesurteilen kann President Clinton gemeint haben, als er seiner ersten Reaktion auf die Verhängung der Todesstrafe gegen McVeigh schon wenige Minuten nach Verkündung der Juryentscheidung proklamierte, daß "die Entscheidung der Jury das Vertrauen der Menschen in die Justiz wiederhergestellt" habe: Timothy McVeighs Tod ist die Reinwaschung der US-Justiz und der Todesstrafe vom Vorwurf, ein rassistisches und soziales Kampfmittel zu sein.

Inszenierung: Mitgefühl, Weisungen, Kampagne

Bereits am Tag nach dem Anschlag von Oklahoma hatte Clinton in einem öffentlichen Statement sein Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer erklärt und damit die Forderung nach der Todesstrafe für die TäterInnen verknüpft. Eine Forderung, die an sich lediglich eine Meinungsäußerung darstellt, da das Strafrecht Angelegenheit der Bundesstaaten ist.

Um Clintons Forderung Ankündigungscharakter zu verleihen, mußte der McVeigh-Prozeß unter Bundeszuständigkeit durchgeführt werden. Also wurde dem Golfkriegs-Veteran und Militia-Angehörigen nicht wegen Mordes in 168 Fällen (Angelegenheit der Bundesstaaten), sondern wegen gewalttätigen Angriffs auf Bundesbehörden und Herbeiführung des Todes von 8 Bundesbeamten angeklagt.

Die derart hergestellte Bundeszuständigkeit verstetzte Clinton schließlich in die Situation, politische Weisungen an die Anklagevertretung erteilen zu können. Ihr wurde in der Folge aufgetragen, unter allen Umständen die Verhängung der Todestrafe zu verlangen und alles zu unternehmen, damit diese auch tatsächlich verhängt wird.

Auf Antrag der Anklage wurde die Frage nach der persönlichen Einstellung zur Todesstrafe in den Fragenkatalog zur Juryfindung aufgenommen. Wer sich (unter Wahrheitspflicht) als GegnerIn der Todesstrafe outete, konnte nicht Jury-Mitglied werden.

Das auf Todesstrafe ausgerichtete Engagement Clintons im Falle McVeighs verstärkte einen weiteren Faktor, der auch sonst bei der Verhängung der Todesstrafe eine große Rolle spielt: jenen der Medienberichterstattung.

Mit Kriminalität ist großes Geld zu machen; entsprechende Kriminalberichterstattung wirkt auflagensteigernd, die möglichst frühe und ausführliche Darstellung spezifischer Details ist Angelpunkt des Wettbewerbs.

Die Wettbewerbssituation greift gleich doppelt in Strafverfahren ein: Zum einen dehumanisiert sie die Angeklagten (bestialisch, blutrünstig,...), zum anderen macht sie völlig belanglose Details aus dem Leben der Angeklagten zu verfahrensrelevanten Angelegenheiten(4).

Droht die Todesstrafe, schafft die Dehumanisierung der TäterInnen jene Distanz, die Entscheidungen über Leben und Tod eines Menschen von einer Gewissens- zur reinen Verfahrensfrage relativiert; bilden die zu issues aufgeblasenen Details aus dem Vorleben der Angeklagten das Futter des Rassismus und des Unterschichtshasses.

Im McVeighverfahren zählte die Medienberichterstattung doppelt: Die Bombe von Oklahoma City erregte nicht, wie in anderen Fällen, lediglich das Interesse der regionalen Medien. Thimothy McVeigh war Thema jeder Zeitung, die in den USA erscheint. Das persönliche Engagement des höchsten Staatsrepräsentanten steigerte das Intersse an der Berichterstattung abermals.

Das Resultat: Der McVeigh-Prozeß wurde zur US-weiten Kampagne für die Todesstrafe. Nur der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß eingangs angeführte Studie, die eine Todesstrafen-Akzeptanz von 75% erhoben hat, am Höhepunkt der McVeigh-Aufregung erstellt wurde: zwischen Schuldspruch und Urteilsverkündung. Die Studie gibt daher bestenfalls darüber Auskunft, daß 75% der Befragten unter dem Eindruck des Anschlags und der Schuld McVeighs spontan seinen Tod für angemessen hielten.

In einer vergleichbaren Studie hatten sich 1991 in New York mehr als die Hälfte der Befragten für die Todesstrafe ausgesprochen. Zusätzlich zu ihrer Präferenz bei Gegenüberstellung von Todesstrafe und lebenslänglicher Haft befragt entschieden sich jedoch 73% für die Haft. Auch hier gilt wieder: Vielen käme wohl kaum der Gedanke, die Todesstrafe zu fordern, wenn sich diese ihnen nicht als realistische, weil im Gesetz vorgesehene, Möglichkeit präsentierte.

Schnell und kostengünstig

Der solcherart hergestellte "öffentliche Konsens" über die Todesstrafe in den USA bietet nun die Möglichkeit, die Diskussion auf anderer Ebene fortzuführen: Nicht mehr das "Ob" ist angesagt, sondern das "Wie".

Wie etwa geht die Gesellschaft mit jenen 3000 death-row-InsassInnen um, die im Durchschnitt acht, in Einzelfällen aber auch schon 15 Jahre und mehr unter ständiger Todesdrohung in Todeszellen dahinvegetieren?

Verfahrensbeschleunigung und Kostensenkung sind die Kernpunkte der Debatte: Je schneller einE VerurteilteR hingerichtet wird, desto weniger kostet er den Staat, desto weniger Aufwand verursacht er/sie Gerichten und Verwaltung. Je weniger Rechtsmittel zur Verfügung stehen, desto schneller kommt die Hinrichtung...

Der Staat Texas hat bereits reagiert: Berufungsgericht und Oberster Gerichtshof müssen unter äußerst enger Fristensetzung gleichzeitig angerufen werden statt, wie bisher, nacheinander. Die Möglichkeiten, neu vorgebrachte Beweismittel zuzulassen und das Verfahren wieder aufzunehmen wurden erheblich reduziert. Fristenablauf ist definitiver Ausschließungsgrund für eine Wiederaufnahme.

PolitikerInnen anderer Bundesstaaten nehmen sich an Texas ein Beispiel: Ähnliche Bestimmungen werden in gut der Hälfte aller Staaten diskutiert. Sollten sie tatsächlich überall umgesetzt werden, drohen massenhafte Exekutionen zum Regelfall zu werden. Das Tempo könnte durchaus noch gesteigert werden: In den USA werden wöchentlich 2 Personen zum Tode verurteilt. Zuzuglich des "Rückstaus" von 3000 Menschen bei angenommer "Aufarbeitungsfrist" von zehn Jahren ergibt das mehr als eine Exekution täglich. Das müßte von einer gut organisierten und motivierten Justiz doch zu schaffen sein...


Fußnoten:

1) Die Anti-Liberalen-Kampagne der Republikaner stellte nach dem Auscheiden der Todesstrafe als Wahlkampthema Clintons Europaaufenthalt während des Vietnamkriegs und sein Eingeständnis, einmal gekifft zu haben ("aber keinen Lungenzug") in den Mittelpunkt der Argumentation. (-->zurück)

2) Das Strafrecht ist grundsätzlich Sache der Bundesstaaten. Der Bundesregierung stehen, außer in von der Sache her den Gesamtstaat betreffenden Angelegenheiten (Hochverrat, Angriff auf Bundesbeamte, Jagd auf den Weißen Seekopfadler etc.), nur ergänzende Strafrechtsbestimmungen zur Verfügung. (-->zurück)

3) Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das hier Geschriebene zielt allein auf die Existenz rechtlicher Bestimmungen und ausdrücklich nicht auf ihre reale Umsetzung ab. Beispielsweise wurde erst vergangene Woche die Erschießung eines 16-jährigen Kurden durch einen deutschen Polizisten von einem Gericht für nicht rechtswidrig erklärt, obwohl die Todesstrafe in Deutschland bereits vor Jahrzehnten abgeschafft worden ist. (-->zurück)

4) Erinnert sei etwa an die Veröffentlichung eines Photos in einer österreichischen Tageszeitung von geringem Format, auf dem die Hauptangeklagte im sogenannten Lainz-Verfahren auf dem Schoß eines Arztes sitzend abgebildet war. Mit der Sache selbst hatte es zwar überhaupt nichts zu tun, aber es prägte das Bild der Hauptangeklagten in der Öffentlichkeit als "Schweinchen, das alles macht"; und es erhöhte die Verkaufszahlen der veröffentlichenden Zeitung. (-->zurück)


Anmerkungen:


Todesstrafe international und in den USA

Die USA sind das einzige "westliche" Industrieland der Welt, in dem die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen und auch tatsächlich exekutiert wird. Bereits 92 (von 193) Staaten haben sie abgeschafft, 53 weitere verzichten auf ihre Anwendung. In 16 Staaten ist sie nur für Kriegsverbrechen und Hochverrat vorgesehen. In 21 Ländern mit Todesstrafe wurde sie in den letzten zehn Jahren nicht exekutiert.

Diese Solo-Stellung in der Welt wird jedoch von US-amerikanischen PolitikerInnen nicht als Argument gegen die Todesstrafe akzeptiert. Politische Rechtsaußen wie etwa der republikanische Senator Jesse Helms betrachten die Todesstrafe vielmehr als Zeichen der politischen Eigenständigkeit der USA, die sich weder von der UNO noch von ihren europäischen Verbündeten oder irgendwelchen internationalen Organisationen dreinreden läßt.

Die USA befindet sich mit ihrer Position in der guten Gesellschaft von Staaten wie dem Iran, Nordkorea, Syrien, China oder Libyen, deren Regierungen gerade von US-Regierung immer wieder als terroristisch bezeichnet werden.

Als die Todesstrafe in den USA 1972 kurzfristig als verfassungswidrig eingestuft wurde, geschah dies aus formalen Gründen: Zu unterschiedlich waren die Grundsätze, nach denen in den einzelnen Staaten Todesurteile verhängt wurden. Bis 1976 einigten sich die betroffenen Staaten auf gemeinsame Richtlinien: Beschränkung auf Mord; Verhängung nur bei besonderer Uneinsichtigkeit der TäterInnen,...

Im Klartext heißt das, daß Angeklagte, die in Mordfällen kein Geständnis ablegen, unabhängig von Alter oder Zurechnungsfähigkeit zum Tode verurteilt werden können. Die Todesdrohung dient daher auch als Erpressung: Es mag besser sein, etwas, was mensch nicht gemacht hat, zuzugeben, als hingerichtet zu werden.


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Solidarität mit Mumia Abu-Jamal!

Der schwarze Journalist und ehemalige Black Panther Mumia Abu-Jamal wurde 1982 in Philadelphia wegen angeblichen Polizistenmordes zum Tode verurteilt. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die TatzeugInnen vom FBI unter verschiedenen Androhungen gezwungen wurden, vor Gericht falsch auszusagen. Nachdem sich nun einige der früheren ZeugInnen bereit erklärt haben, über die Umstände ihrer ZeugInnenaussage im Prozeß vor Gericht auszusagen, entschloß sich Mumia's Verteidigung zu einem Wiederaufnahmeverfahren.

Aufgrund des Verhaltens des Richters bei der Prüfung des Antrags, unter anderem ließ er eine Zeugin im Gerichtssaal festnehmen, befürchtet die Verteidigung jedoch eine Ablehnung ihres Antrags auf Wiederaufnahme bzw. Neudurchführung des Verfahrens. Für diesen Fall hat der Gouverneur von Pennsylvania die Ansetzung eines Hinrichtungstermins angekündigt.

Mumia Abu-Jamal, seit nunmehr 16 Jahren unschuldig im Gefängnis, bedarf dringend internationaler Unterstützung. Nach Einschätzung seiner Verteidigung sind die Behörden Pennsylvanias bemüht, Mumia's Hinrichtung in einer Form durchzuführen, die international akzeptiert würde. Internationales Interesse kann diesen Plan durchkreuzen.

Eine internationale Kampagne hatte bereits 1995 zur Aussetzung eines bereits festgesetzten Hinrichtungstermins geführt.


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aus: TATblatt Nr. plus 80/81 (13/14/97) vom 10. Juli 1997
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