TATblatt


Innsbruck:

Konflikt um "Dornenkrone"

Die frisch renovierte Dornenkrone der Südtiroler Schützen soll am 27. September im Zentrum Innsbrucks dauerhaft aufgestellt werden. Die Krone droht zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextreme und Neonazis zu werden.

TATblatt, "Kein Tirol"

Jüngsten Pressemeldungen ist zu entnehmen, daß der Plan des Innsbrucker Bürgermeisters Herwig van Staa nun endlich aufgeht, die seit zwölf Jahren im Depot lagernde Dornenkrone an einem öffentlichen Platz in der Stadt aufzustellen. Nur durch eine Indiskretion im Stadtmagistrat wurde bekannt, was eigentlich so lange wie möglich nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte.

Stein des Anstosses ist eine Aludornenkrone, die zuletzt im Jahr 1984 bei einem offiziellen Schützengroßaufmarsch in Innsbruck zum Einsatz gekommen ist. Restauriert wurde sie kostenlos im Betrieb des Präsidenten der Tiroler Industriellenvereinigung, Arthur Thöni, der zu diesem selbstlosen Einsatz bemerkte: "Das war meine Pflicht für mein Vaterland".

Damals wie heute steht nicht der künstlerische Wert der Krone, sondern die eindeutig politisch besetzte Symbolik der Großplastik im Mittelpunkt: Nach Ansicht von Landeshauptmann Weingartner und Bürgermeister van Staa kommt das von VertreterInnen ihres politischen Lagers seit Jahrzehnten konservierte Leid über die in internationalen Verträgen, sowohl 1919, als auch 1946 geregelte Grenzziehung am Brenner den Qualen der Christusfigur unter der Dornenkrone gleich. Van Staa: "Die Brennergrenze, dazu stehe ich, ist eine Unrechtsgrenze!". Auch der VP-Klubobmann Khol will es sich nicht nehmen lassen bei der Aufstellung der Dornenkrone dabei zu sein, für ihn ist dieser Tag ein "Festtag des Tiroler Volkes".

Wird mit dieser Indienstnahme religiöser Symbole seit Jahrzehnten ein vordergründiger, politischer Zweck verfolgt - die an der Christusfigur angelehnte Opferrolle soll sowohl die Kriegsschuldfrage, die 1919 eine der Grundlagen der Grenzverschiebung war, als auch die unverhohlenen Sympathien der deutschsprechenden Minderheit in Norditalien mit dem Naziregime zwischen 1939 und 1945, die 1946 zur neuerlichen Bestätigung der Grenzziehung führte, vergessen machen -, so offenbarten die bisher diskutierten Aufstellungsorte für die Dornenkrone das Geschichtsbild der handelnden Personen. Der Bürgermeister befand als durchaus geeignete Standorte: Erstens die Herrengasse, wo die Gestapo ihren Sitz und ihre Folterzellen eingerichtet hatte - bis heute sucht man vergebens auf einen Hinweis auf dieses lokale Machtzentrum des Nationalsozialismus -; und zweitens den Landhausplatz, wo die Dornenkrone in unmittelbarer Nachbarschaft zum bereits aufgestellten Denkmal für die Opfer des Innsbrucker Pogroms vom 10. November 1938 stehen würde. Nunmehr steht die Grünfläche gegenüber der Hofburg als Aufstellungsort fest, der bereits als Dollfuß- und später dann als Hitlerplatz Geschichte schrieb, und wo 1946 6.000 InnsbruckerInnen für die Einheit Tirols demonstrierten; 1994 tummelten sich ebendort die studentischen Männerbündler zum "Gesamttiroler Freiheitskommers" unter dem Motto "Von Kufstein bis Salurn - Ein Tirol".

52 Jahre lang hat es gebraucht, bis endlich, in relativ zentraler Lage in Innsbruck, zwei Denkmäler in Erinnerung an die NS-Opfer aufgestellt worden sind. Offensichtlich war dies nur möglich, weil sich im Gegenzug die reaktionär-revanchistischen Kräfte ihr eigenes Denkmal genehmigt haben. Versehen werden soll die patriotische Dornenkrone mit einer Gedenktafel, auf der laut van Staa "stehen muß, daß sie all jenen gewidmet ist, die für ihre Tiroler Heimat gelitten haben oder gestorben sind". An welche Tiroler Patrioten van Staa denkt (die Kämpfer von 1809, die Teilnehmer der Weltkriege, die Südtirolbumser?), präzisiert er offensichtlich nur in ausgewählten Kreisen. Fest steht, daß mit den Kämpfern für die Tiroler Heimat nicht die am 10. November 1938 ermordeten vier Innsbrucker Jüdinnen/Juden, nicht die behinderten Menschen, die zwischen 1938 und 1945 nach Hall in Tirol für den Weitertransport in die Tötungsanstalt Hartheim überstellt wurden, nicht die tausenden ZwangsarbeiterInnen, die in Innsbruck, Schwaz, Jenbach, und an anderen Orten geschunden, ausgebeutet und ermordet wurden, nicht die zahlreichen SüdtirolerInnen, die den Dienst in der Wehrmacht verweigerten, nicht die zahlreichen Gefangenen in der Herrengasse, die von der Gestapo gefoltert und getötet wurden, gemeint sind.

Der Plan, die Erinnerung an den Nationalsozialismus in Tirol im Zeichen der Dornenkrone zu bewerkstelligen, fügt sich ein in die lange Tradition des Gedenkens im Täterland Österreich: Erinnern als die höchste Form des Vergessens.


aus: TATblatt Nr. +83 (,16/97) vom 25. September 1997
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