TATblatt



Ist Wandern wirklich des Müllers Lust?
Eine kommentierte Tour durch die Migrationsforschung
 

"Für jedes komplizierte Problem", weiß Umberto Eco, "gibt es auch eine einfache Lösung." Wozu sich also die Mühe mühsamer Forschungsarbeit zur Entwicklung komplexer Lösungsstrategien für die im Zusammenhang mit Migration auftretenden Probleme antun?
"Es ist die falsche..."

TATblatt

Das Innenministerium plant eine "Aufklärungskampagne": Angesichts der hohen Zahl in den letzten Wochen an der österreichischen Grenze aufgegriffener Flüchtlinge, die ohne die gesetzlich vorgesehenen Papiere und Formalitäten einzureisen versucht hatten, wird das Ministerium in Zusammenarbeit mit den Landesbehörden im Herbst die rumänische Bevölkerung davon in Kenntnis setzen, dass "Rumänen keine Chance auf Asylgewährung in Österreich haben"(1).

Eine ähnliche "Aufklärungskampagne" war bereits 1992 mit geringem Erfolg durchgeführt worden.

Die Wiederholung einer bereits als wenig zielführend erkannten Maßnahme verdeutlicht nur zu gut das Problem der Bürokratie: Ihr fehlt die einfache Kenntnis und, daraus resultierend, jedes Verständnis für Ursache und Bedeutung von Migration.

Und nicht nur ihr: "Politikwissenschaftliche Studien über regionale und globale Flüchtlingsprobleme orientieren sich noch immer stark an den institutionellen und instrumentellen Aspekten einer 'Lösung' des Übels, vernachlässigen jedoch eine systematische interdisziplinäre Verknüpfung von Ursachen und Folgen von Fluchtbewegungen", schrieb Flüchtlingsforscher Michael Blume im Jahr 1988.

Wenn sich inzwischen etwas verändert hat, so hat es Österreich - und vor allem die politischen EntscheidungsträgerInnen - nur marginal tangiert.

Im Europäischen Jahr gegen Rassismus hierzulande vergebene Forschungmittel wanderten ausschließlich in Projekte, die sich im weitesten Sinne mit dem Hier beschäftigen: Wie rassistischen Strömungen entgegenwirken? Was tun in den Schulen und Jugendzentren? Wie Konflikten vorbeugen?

Auch Grundlagenforschung, etwa zur Konstruktion des Anderen, beschäftigt sich mit dem "Anderen", das wir sehen.

Migrationsforschung findet in Österreich in Form von Zahlenaddiererei statt: Die bekanntesten "Migrationsforscher" (kein -Innen) sind Gelehrte der Demographie bzw. Geographie.

Und die Zahlen haben's in sich: Es ist das Dilemma der österreichischen Demographen, dass sie sich gegen die FPÖ-Interpretationen ihrer Arbeit kaum zur Wehr setzen können...

In den USA hingegen, wo Migration geradezu ein gesellschaftliches Prinzip darstellt, hat sich im Bereich der dazugehörigen Forschung im letzten Jahrzehnt einiges getan. Das Erfolgsrezept: Der forschende Blick streift immer weiter weg von den Zielländern hin zu den Menschen und zur Vorgeschichte und den Grundlagen der Migrationsentscheidungen.

Den Blick in die Weite verhindern hierzulande bekanntlich die hohen Berge...!
 

Menschheitsthema Migration
 

Migration erscheint als "modernes" Problem: Erst moderne Kommunikations- und Verkehrsmittel haben es möglich gemacht, sich in relativ kurzer Zeit über tausende von Kilometern hinweg von einem Ort der Bedrohung in ein Land zu begeben, das politische, soziale, zumindest aber körperliche Sicherheit verspricht(2).

Eine allzu enge, von westeuropäischer Warte aus gesehene Sicht: Nur schwer gelingt es uns, im Geschichtsunterricht als "Mongolen-" oder "Türkensturm"(3) bezeichnete Bevölkerungsbewegungen des Mittelalters oder der Neuzeit als "Migration" zu begreifen. Und selbst (west-)europäische Wanderungsbewegungen früherer Jahrhunderte können wir nur schwer deglorifizieren und mit Migration aus sozialen oder politischen Gründen in Zusammenhang bringen: Von den unmenschlichen Strukturen, in denen die Wanderjahre der Gesellenzeit vor sich gingen, berichtet uns im Lied "Hänschen klein" gerade noch die kryptische Zeile "sieben Jahr, trüb und klar"; der Zusammenhang zwischen der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Spaniens und den Entdeckungsfahrten des Christopher Columbus(4) blieb selbst im Jubiläumsjahr 1992 ausgespart; der "Mayflower Compact" von 1620 gilt uns als die amerikanische Gründungsurkunde schlechthin. Die sozialen und religiösen Konflikte, deren Folge er war, verblassen hingegen in unserem Geschichtsverständnis(5).

Allzu einfach wäre es nun, diese kurze Auflistung von Beispielen tausende Kilometer übergreifender Migration fortzusetzen (etwa am Beispiel der Besiedelung Polynesiens, der Canaren u.v.a.m.) und damit zu schließen, dass es Migration eben immer schon gegeben habe.
 

Migration in Mythen
 

Migration ist aber nicht bloß ein Phänomen, das die Menschheit bisher durch ihre Geschichte begleitet hat; es scheint sie geradezu verfolgt zu haben...!

Anders wäre es wohl nicht zu erklären, dass kaum eine Thematik einen derartig langen roten Faden durch Mythologie, überlieferte Geschichte und tradierte Rechtsgrundsätze einer Unzahl von Kulturen zieht wie die der Migration: Erzwungene Migration steht am Anfang der biblischen Geschichte der Menschheit, ist das Thema der Odysee, der Ödipus-Saga(6) und der Geschichte vom Turmbau zu Babel(7). Migration und die daraus resultierenden Probleme sind das Thema des biblischen "Exodus" und der religiösen Geschichte Mohammeds...(8)

In der Verbindung der historischen Erkenntnis, dass Migration eben stattfindet und der aus der Mythologie ableitbaren Feststellung, dass sie die Migrierenden vor oftmals unlösbar erscheinende Probleme stellt (Odysee), soziale Abwertung und Tod zur Folge haben kann (Genesis, Ödipus) und psychisch isoliert (Turmbau zu Babel) ergibt sich das Problem für das Wiener Innenministerium: Wenn Migration stattfindet, immer stattgefunden hat, obwohl sie mit Problemen verbunden ist, mit sozialer Abwertung, mit Todesgefahr und selbst dann, wenn sie psychische Isolation zur Folge hat, dann genügt keine Aufklärungskampagne, um sie zu verhindern. Und es ist das zweifelhafte Verdienst der Republik Österreich, bewiesen zu haben, dass selbst ein massiver Militäreinsatz nicht in der Lage ist, Migration zu unterbinden...
 

Migration als individuelle Entscheidung
 

In den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts beschäftigte sich der Demograph und Kartograph Ernest George Ravenstein von der britischen Royal Statistical Society mit dem Phänomen der Binnenwanderung. Insbesondere zwei Faktoren hatten sein Interesse erweckt:

* Die Tatsache, dass sich die städtische Bevölkerung des United Kingdom zwischen 1750 und 1850 vervierfacht hatte (von 15% im Jahr 1750 auf 60% im Jahr 1850); und

* die Reduktion der irischen Bevölkerung nach dem Katastrophenjahr von 1846. Ausgelöst von mehrjährigen Missernten(9) verließen binnen zwanzig Jahren 5/16 der irischen Bevölkerung ihre Heimat. In den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts lebten zwei Drittel aller in Irland geborenen Menschen nicht in Irland.
 
 

Ravenstein untersuchte die Motive der MigrantInnen, die Entfernungen, die sie zwischen sich und ihren Geburtsort legten, die daraus resultierenden Bevölkerungsumverteilungen zwischen Regionen sowie die Unterschiedlichkeiten im Wanderungsverhalten von Frauen und Männern. Aus seinen Untersuchungsergebnissen leitet Ravenstein zunächst fünf Migrationstypen ab und formuliert in zwei 1885 und 1889 erschienenen Artikeln "The Laws of Migration". Darin stellte er ein Thesenmodell auf, nach welchen Regeln der Arbeitskräftebedarf einer Region mit Arbeitskräften einer anderen Region mit Bevölkerungsüberfluss ausgeglichen wird(10):

* Wanderungsbewegungen verlaufen Schritt für Schritt, von Region zu Region;

* Gewandert wird über sehr kurze Distanzen, also von einer Region in eine Nachbarregion;

* Wanderungsbewegungen erzeugen Gegenbewegungen in geringerem Ausmaß, die die Abwanderungsverluste einer Region jedoch nicht ausgleichen können;

* Städte wachsen auf Kosten ländlicher Regionen;

* Kurze Distanzen bewegen Frauen eher zur Migration als Männer;

* "Wanderung ist Fortschritt - Sesshaftigkeit Stagnation."(11)
 
 

Der letzte Punkt ist in Zusammenhang mit der fortschreitenden Industrialisierung des britischen Königreichs und dem damit zusammenhängenden Arbeitskräftebedarf in den städtischen Zentren zu sehen.

Mit seiner Arbeit, die als Beginn der Migrationsforschung angesehen wird, steht Ravenstein Pate für die Entwicklung eines als "klassisch" angesehenen soziologischen Erklärungsmodells für Wanderungsbewegungen, dem:
 

push-pull-Modell
 

"Ich zweifle nicht einen Augenblick daran, dass der wichtigste, wenn auch nicht der einzige, Grund für Wanderung in der Überbevölkerung eines Landesteils zu suchen ist, während anderswo unterentwickelte Resourcen vorhanden sind, die größere Hoffnungen auf einträgliche Arbeit erwarten lassen. Es liegt auf der Hand, dass das nicht der einzige Grund ist. Schlechte oder unterdrückende Gesetze, hohe Besteuerung, unangenehmes Klima, geringe soziale Übereinstimmung oder sogar Zwang, all das verursachte und verursacht noch immer Wanderungsströme. Aber keine von diesen Strömungen kann an Bedeutung verglichen werden mit derjenigen, die dem in den meisten Menschen vorhandenen Verlangen entspringt, sich in materieller Hinsicht zu verbessern"(12).

Die von Ravenstein vorgenommene Reduktion möglicher Migrationsgründe auf rein ökonomische und demographische erscheint selbst im Lichte seiner als "Gesetze" bezeichneten Thesen über Wanderungsbewegungen fragwürdig: Warum etwa wandern mehrheitlich gerade Frauen; und warum über kurze Distanzen? Könnte nicht angenommen werden, dass sie von familiären Bindungen und Verpflichtungen (z.B. Kindern) in höherem Maße in ihren Entscheidungen beeinflusst wurden (und werden) als von potentiellen Erwerbsmöglichkeiten. Schließlich muß auch für irische Frauen angenommen werden, dass ihre Arbeitskraft in den Industrieanlagen entfernter Großstädte oder gar den USA ebenso oder gar noch mehr gefragt (und damit ein höheres Einkommen verbunden) gewesen wäre als in den Reihen des Hauspersonals der Herrschaften benachbarter Regionen?

Ravensteins Einschränkung auf ökonomische Auslöser von Wanderungsbewegungen mag sich zurückführen lassen auf die wirtschaftsliberale Ausrichtung der Zeit, in der er seine Untersuchungen durchführte, sowie auf das wissenschaftstheoretische Konzept dieser Zeit, das auf statistisch erfassbare "Fakten" großen Wert legte.

Das ausschließlich auf ökonomische und demographische Faktoren aufbauende Ravenstein'sche Erklärungsmodell des "ökonomischen Rationalismus" bestimmte aber bis in die späten Achtziger dieses Jahrhunderts in verschiedenen Abwandlungen die theoretischen Grundlagen der Migrationsforschung.

In seinem Aufsatz "Theorie der Wanderung"(13) bezeichnete Everett S. Lee im Jahr 1966 Wanderungsbewegungen als Ergebnis von demographischen sowie ökonomischen push- und pull-Faktoren. Als ausschlaggebend für die Entscheidung zu wandern bezeichnet er bestehende Unterschiede in der Arbeitsmarktlage (job-vacancy-Hypothese) sowie in der Einkommenssituation (income-differentials-Hypothese) zwischen Heimat- und Zielregion. Die Erkenntnis der einzelnen Person, dass aufgrund ökonomischer Unterschiede zwischen Heimat- und Zielregion eine persönliche ökonomische Verbesserung im Fall der Migration wahrscheinlich ist, steht nach Lee am Anfang jeder Wanderungsentscheidung.

Probleme hatte Lee jedoch mit der Frage, wie denn die Nachricht von den ökonomischen Unterschieden zwischen den Regionen an die migrierende Person gelangen. "Normale" Informationsträger wie Zeitungen und elektronische Medien konnten es nicht sein, die Menschen zum Verlassen ihrer Heimatregion veranlassen. Wäre es so, wären Afrika und Asien heute ohne Bevölkerung (was sie augenscheinlich nicht sind). Es bedurfte also einer Informationshypothese und damit einer Erweiterung rein ökonomischer Erklärungsansätze, um das push-pull-Modell zu etablieren. Lee brachte eine "migrant-stock-Variable" ins Spiel: Persönliche Beziehungen und Informationsflüsse zwischen bereits migrierten Personen und potentiellen MigrantInnen spielen den Auslöser bei der Entscheidung, zu migrieren.
 

...und die Arbeit der politischen RezipientInnen
 

In Modifikationen beherrscht das push-pull-Modell zur Erklärung von Wanderungsbewegungen die Migrationsforschung bis heute. Gegenüber noch vorzustellenden alternativen Erklärungsmodellen hat es den Vorteil, über eine einzige Variable (die Information) zu verfügen und daher in volkswirtschaftliche Theorien quasi mathematisch integrierbar zu sein.

Abseits bösartiger Seitenhiebe auf StatistikerInnen und WirtschaftswissenschafterInnen liegt die Ursache seines Erfolgs in der politischen Praktikabilität des Modells: Das "push-pull-Modell" fand im System der Arbeitsmigration geradezu sprichwörtliche Bestätigung. Länder mit Arbeitskräftemangel wie etwa Österreich und die BRD warben in großem Stil Menschen zur Arbeit an. Zuerst in Italien, Spanien und Portugal, später zunehmend in Jugoslawien und in der Türkei.

Die Menschen, die so in industrielle Zentren kamen, verhielten sich scheinbar so, wie es das push-pull-Modell von ihnen erwartet hatte: Sie kamen (zumindest auch), weil sie in Österreich oder der BRD ihre Lebenssituation verbessern konnten.

Inzwischen werben westeuropäische Staaten keine Arbeitskräfte mehr an, Menschen kommen aber noch immer.

Das push-pull-Modell bietet hiefür eine einfache Erklärung: Wirtschaftlich läuft es in den wirtschaftlichen Zentren (industriell ist ja wohl nicht mehr ganz richtig) noch immer besser als überall anderswo in der Welt. Das push-pull-Modell bietet aber nicht nur eine einfache Erklärung für Migration an, sondern auch einfache Lösungen: Will mensch Migration in die wirtschaftlichen Zentren unterbinden, müssen einerseits Informationskanäle unterbunden werden, andererseits die Aussicht auf nachhaltige Verbesserung der sozialen Situation verschlechtert werden.

Informationskanäle unterbinden, bedeutet in der Praxis dreierlei:

* Das Entstehen neuer "InformantInnen" muss verhindert werden

* Potentielle "InformantInnen" müssen von Beginn an effektiv daran gehindert werden, Information tatsächlich weitergeben zu können

* Der Gehalt der potentiellen Information muss für den oder die RezipientInnen denkbar schlecht gehalten werden.
 
 

Die in verschiedenen nationalen und EU-weiten Papieren formulierten Vorschläge zur Veränderung MigrantInnen betreffender Regelungen sprechen die Notwendigkeit, Informationskanäle zu unterbrechen, offen an: "Praktisch führt diese Regelung des Asylgesetzes (das Refoulement-Verbot(14); Anm. TATblatt) dazu, dass jedermann aus jedem Land der Welt ungehindert nach Österreich einreisen kann, wenn er dies nur direkt aus seinem Heimatstaat per Flugzeug macht und dann in Österreich nach der Landung einen Asylantrag. ... Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Möglichkeit breit herumsprechen wird"(15).

Um das Entstehen neuer Infokanäle zu verhindern, sind unter anderem die Einführung vereinfachter Verfahren bei der Abschiebung oder die Erschwerung der Erlangung eines Aufenthaltsrechts für EhepartnerInnen österreichischer StaatsbürgerInnen in Diskussion.

Die Bedeutung des push-pull-Modells für die Politik manifestiert sich in besonders perfider wie peinlicher Weise in jenem Positionspapier des Innenministeriums, welches im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft die Marschrichtung in Sachen Migration vorgeben sollte. Unter Punkt 29 wird darin die Frage aufgeworfen, "wie groß die Push-Faktoren in den wichtigsten Auswanderungsstaaten und die sozialen und ökonomischen Pull-Faktoren in den Aufnahmeländern sind und in welchem Ausmaß es möglich scheint, diesen allein durch die traditionellen innerstaatlichen fremdenrechtlichen Migrationsstrategien von Zielländern - Grenzkontrolle, Visasystem, Quotenfestlegung, Fremdenpolizeiwesen etc. - entgegenzuwirken."

Peinlich vor allem deshalb, weil allein schon die Frage nach der Effektivität etwaiger Repressionsverschärfungen im Regime das Modell an sich in Frage stellt und eingesteht, dass es noch ganz andere Gründe geben muss, sich zur Migration zu entscheiden.
 

Mehr pull als push
 

Nicht wenige MigrationsforscherInnen erkannten die Unzulänglichkeit des von Lee formulierten Modells bereits kurz nach seiner Veröffentlichung. Sie stellten nicht das Modell generell in Frage, sondern entwickelten es an den als gleichwertig formulierten Bewertungen der Faktoren weiter. Weit mehr Bedeutung als von Lee zugedacht kommt ihnen zufolge der Wirtschaftszyklus der Zielländer zu. Eine Untersuchung der europäischen Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg stärkte diese These: nicht persönliche, soziale Schlechterstellung waren Hauptkriterium für Wanderungsentscheidungen, sondern vielmehr die Interessen der Arbeitgeber. Das pull-Potential der Aufnahmeländer sei also wesentlich höher einzuschätzen als die push-Faktoren in den Herkunftsländern. Diese Annahme lässt sich auch für Österreich statistisch belegen: Arbeitsmigration (etwa in die USA) in feststellbaren Größen entwickelte sich (abgesehen von der Flucht ehemaliger Nazis) erst in den späten Fünfzigern und Sechzigern, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die wirtschaftliche und soziale Situation in Österreich nicht nur stabilisiert hatte, sondern sogar (neben der BRD) als europäisches Vorbild(17) galt. Die Bedeutung der pull-Faktoren für die Entscheidung zu migrieren, lässt sich auch durchaus deutlich darstellen: Die mit dem sozialen Aufstieg der heimischen Arbeitskräfte verbundene Verlängerung der Ausbildungszeiten für Jugendliche (höhere Lehrlingszahlen, mehr GymnasiastInnen und schließlich - in Österreich zumindest ab Beginn der Siebziger - eine deutliche Zunahme der Studierenden) führt zu einem Mangel an ungelernten Arbeitskräften.

Damit ist die Situation, in der Österreich und die BRD begannen, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben (aber auch: wer angeworben wurde), deutlich bezeichnet.
 

Migration im Beziehungsgeflecht
 

Ein Hauptknackpunkt des push-pull-Modells in seiner "klassischen" wie auch weiterentwickelten Form stellt die Frage dar, warum manche Menschen migrieren und andere, die unter den gleichen Bedingungen leben, nicht. Mit der Informationsvariablen von Lee allein war das Problem nicht mehr zu lösen, nachdem sich herausgestellt hat, dass

* auch innerhalb von Gemeinschaften, die nicht nur den gleichen Lebensbedingungen unterworfen waren und sind, sondern auch über die selben Infokanäle verfügen, sehr unterschiedliche Entscheidungen bezüglich einer möglichen Migration getroffen werden;

* und andererseits die Zahl der Herkunftsländer von MigrantInnen je nach Zielort verschieden, aber sehr gering ist.
 
 

Allein die Existenz von Informationskanälen in die Herkunftsländer ist keine hinreichende Erklärung dafür, dass die überwiegende Mehrzahl der MigrantInnen in den USA aus lediglich zwölf Ländern kommen. Und auch auf Österreich bezogen ist schwer erklärbar, warum etwa TürkInnen, JugoslawInnen oder RumänInnen vergleichsweise zahlreich nach Österreich migrieren, nicht jedoch BulgarInnen oder WeißrussInnen, die unter ähnlichen oder zum Teil noch weit schlechteren Bedingungen in ihrer Heimat leben.

Mitte der Neunziger ging Thomas Faist(18) vor allem der Frage nach, warum eigentlich so viele Menschen nicht migrieren. Als Ergebnis konnte er feststellen, dass nicht Informationskanäle bedeutendster Motor für Migration sind, sondern intensive soziale Beziehungsgeflechte zwischen Herkunfts- und Zielland. Große Bedeutung kommt dabei den sozialen Bindungen von MigrantInnen zu ihren FreundInnen und Familien in den Herkunftsländern zu. Eine Untersuchung über bestehende soziale Bindungen von MigrantInnen in Italien ergab 1996, dass die befragten Menschen "sich bei ihrer Einreise nach Italien meist auf bereits im Land lebende Verwandte stützen konnten. War dies nicht der Fall, so standen sie von seiten des Herkunftslandes und der Lebenssituation der Familie dort unter extremen Handlungsdruck"(19).

Hier geht es also nicht mehr um Information, sondern um soziale, persönliche,... einfach menschliche Beziehungen. Und diese sind nicht unbedingt als Hort "rational-ökonomischer" Entscheidungen bekannt!

Das Beziehungsgeflecht, das Migration ermöglicht, ist jedoch nicht auf innerfamiliäre Beziehungen beschränkt. "In der Regel beeinflussen und unterstützen neben dem individuellen Willen der Migranten noch andere Faktoren die Migrationsströme, und dazu zählt meist ein geopolitisch spezifiziertes System", schreibt Saskia Sassen 1996. Egal ist dabei, ob es ein konkret existierendes System von Wirtschaftsbeziehungen ist (wie etwa die NAFTA zwischen Mexiko und den USA), ein ökonomisch bestimmtes und nur auf kurze Zeit ausgelegtes Lenkungssystem (wie etwa die Anwerbung von Arbeitskräften in den Sechzigern) oder ein rein ideelles System (etwa das Bild vom freien Westen, wie es sich für BewohnerInnen des Comecons dargestellt hat). Hieraus lassen sich Erklärungen dafür finden, wieso etwa 60% der MigrantInnen in Großbritannien aus ehemaligen Kolonien stammen, und warum 86% aller griechischen, 80% aller türkischen oder 76% aller jugoslawischen MigrantInnen in Deutschland leben.

In einer Untersuchung über die Arbeitskräftewanderung innerhalb der EU kam die Soziologin Rosemarie Feithen(20) Mitte der 80er Jahre zum Schluss, dass ökonomische Faktoren für Migrationsentscheidungen zwar bedeutend sind, andere Faktoren wie etwa die Verbesserung des sozialen Status einer Person, die Distanz zur Heimatregion und Persönlichkeitsmerkmale wandernder Personen ebenso von Relevanz sind. Alejandro Portes und Ruben Rumbaut(21) kommen überhaupt zum Ergebnis, dass "die Bedeutung der Beziehungs-Netzwerke als so groß anzusehen ist, dass die anderen Faktoren und Hypothesen daneben verblassen. Damit kommen Bereiche in Diskussion, die keine ökonomisch-rationalistische Erklärung mehr sinnvoll erscheinen lassen.
 

Was ist eigentlich Migration?
 

Es ist möglicherweise so etwas wie ein "Ordnungssinn", der Menschen im Allgemeinen und WissenschafterInnen im Speziellen dazu bringt, Kategorisierungen und Typologien zu kreieren. Diverse inhaltliche Schubladen, die so geschaffen werden, vereinfachen sowohl Forschung als auch praktische Handhabung der Ergebnisse.

Bereits Ernest Ravenstein konnte nicht umhin, sich und der Nachwelt solche Schubladen zu schaffen. Ihm folgten eine Reihe anderer WissenschafterInnen und erarbeiteten eine Liste von Aspekten, mit deren Hilfe Wanderungsbewegungen aus Perspektive der Wirtschaftszentren eingeordnet werden können.

Als Ausgangspunkt solcher Einordnungen dienen
 
räumliche Aspekte landes- bzw. regions-interne Wanderung externe kontinentale oder 
interkontinentale Wanderung
zeitliche Aspekte temporäre Wanderung  permanente Wanderung
„mengenmäßige“ Aspekte Einzelwanderung Gruppenwanderung Massenwanderung
ursachenbezogene Aspekte erzwungene Wanderung (Flucht) „freiwillige“ Migration 
(Arbeitsmigration).
Die Form der Auflistung allein sollte bereits deutlich machen, dass mit der Schaffung von Einordnungskriterien eine inhaltliche und moralische Wertung vorgenommen wurde (ebenso mit der Wahl dieser Form der Darstellung, wohlgemerkt).

Obwohl diesen Unterteilungen in der politischen Praxis große Bedeutung zukommt, sind sie wissenschaftlich nicht (mehr) aufrechtzuerhalten. Bereits Ravenstein, der lediglich "Binnenwanderungsbewegungen" untersucht hatte, konnte feststellen, dass Migration Schritt für Schritt und über mehrere vergleichsweise kurze Distanzen erfolgt. Das Abstellen auf Wanderungsdistanzen ist folglich nur dann sinnvoll, wenn es um die Beschreibung einer Momentaufnahme geht. Für längerfristige, etwa politische Entscheidungen, ist das Kriterium "Raum" unbrauchbar (weil z.B. der "Raum" mit jedem Wanderungsschritt wechselt).

Auch der zeitliche Aspekt ist nicht hinreichend, wenn es um die Beschreibung langandauernder Entwicklungen geht: Untersuchungen der europäischen Emigration in die USA (unter Ausklammerung der NS-Zeit) haben ergeben, dass die von Ravenstein beschriebene Gegenbewegung in die Herkunftsregion sehr erheblich ist; dass also ein beträchtlicher Teil der MigrantInnen nicht im Zielland bleiben, und zwar unabhängig davon, ob ihre Rückkehr von vornherein beabsichtigt war oder nicht. Sie kehren ins Ursprungsland zurück.

Mengenmäßige Aspekte wiederum sind geradezu "geschichtlich überholt": Im Blickfeld stehen dabei ja nicht tatsächliche Zahlen von Flüchtlingen/MigrantInnen, sondern deren bereits erfolgte Einordnung in das System von beschriebenen Kategorien. Die Einzelperson, die sich z.B. vor Verfolgung durch das Franco-Regime nach Frankreich rettete, konnte als politischer Flüchtling angesehen und unter Einzelwanderung eingeordnet werden. Ihr gegenüber stand die wesentlich grössere Zahl von SpanierInnen, die in anderen Staaten Westeuropas als Arbeitskräfte angeworben wurden und ebenfalls ihre Heimatregion verließen. Einzelwanderung und Gruppenwanderung, hervorgerufen durch das selbe Regime, und mit den selben Zielregionen. Eine ernstgemeinte Begründung, diese Wanderungen verschiedenen Kategorien zuzuordnen, fallen Leuten wie Minister Schlögl oder Jörg Haider ein.

Wissenschaftlich ist sie allein schon aufgrund der bereits beschriebenen großen Bedeutung der Beziehungsnetzwerke für MigrantInnen nicht aufrechtzuerhalten.

Damit ist aber auch die Unterteilung freiwillig/erzwungen hinfällig: Allein die Notwendigkeit der Flucht führt nicht zu Fluchtentscheidungen - und Kosov@ ist in einer langen Reihe der bislang letzte große Beweis für diese Annahme. Es sind die als solche wahrgenommenen Möglichkeiten, die eine Entscheidung treffen lassen. Eine Person wird in der von ihr wahrgenommenen Situation der Notwendigkeit einer Flucht jene von ihr wahrgenommene Möglichkeit der Flucht wählen, die ihr unter den gegebenen Bedingungen am praktikabelsten erscheint. Sofern auch nur eine (theoretische, nicht unbedingt realistische) Möglichkeit wahrgenommen wird, wird sie diese, egal ob unter dem Titel "politischer Flüchtling" oder "ArbeitsemigrantIn", ergreifen!

Dem entsprechend allgemein gehalten sind daher auch Definitionen, was alles unter dem Begriff "Migration" einzuordnen ist:

Migration ist

* "jede Ortsveränderung von Personen"(22).

* "jeder Wechsel des ... de facto Wohnsitzes, einerlei ob freiwillig oder unfreiwillig, dauernd oder vorübergehend"(23).

* der Wechsel der Gruppenzugehörigkeit(24).

* das Überwechseln von "Individuen aus einem Gesellschaftssystem in ein anderes ..., wodurch direkt oder indirekt in beiden Systemen interne und externe Beziehungs- und Strukturveränderungen induziert werden"(25).

* "eine Veränderung der Position ... im psychischen und im sozialen Raum"(26).
 
 

Der von MigrationsforscherInnen angenommene Migrationsbegriff ist derart weit, dass er selbst eine Übersiedlung von Mistelbach nach Wien, möglicherweise selbst einen Umzug innerhalb Wiens vom Nobelbezirk Hietzing nach Ottakring beinhaltet. Bei der Kategorisierung von Wanderungsbewegungen geht es folglich nicht um tatsächlich bestehende Unterschiede zwischen Wandernden und ihren Motiven, sondern einzig um rassistische Kriterien...
 

Politische Bedeutung der Kategorisierung von Wanderungsbewegungen
 

Die bereits dargestellte Kategorisierung von Wanderungsbewegungen vereinfacht nicht nur (in unzulässiger Weise) die wissenschaftliche Arbeit von MigrationsforscherInnen. Mit der ihr anhaftenden moralischen Wertung verschiedener, als solche wahrgenommener (aber deshalb noch lange nicht tatsächlich bestehender) Unterschiede im Wanderungsverhalten von Menschen schafft sie auch die Grundlage für die Auffassung, Wanderungsbewegungen könnten politisch verschieden behandelt werden:

"Die ÖVP bekennt sich mit Nachdruck dazu, dass Österreich den aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgten Menschen auch in Zukunft Schutz und Hilfe gewähren soll. Gleichzeitig muss aber dafür vorgesorgt werden, dass die explosionsartig wachsende Wanderbewegung in der Welt, die durch wirtschaftliche Mißstände in den Ursprungsländern ausgelöst wird, nicht zu unlösbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konflikten in den europäischen Ländern führt."(27)

Die Formulierung "aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgten Menschen" ist ein (bereits um die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder bestimmten Nationalität reduzierter) Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und damit auf das einzige, in Westeuropa voll etablierte Rechtsinstrument zur Aufnahme von MigrantInnen.

Die Genfer Konvention stellt daher ausdrücklich auf Einzelpersonen, d.h.: konkrete individuelle Verfolgung sowie Verfolgung durch einen Staat, ab.

Hintergedanke: migrierende JüdInnen aus der Sowjetunion sollten gefälligst nach Israel gehen, um "Volksdeutsche" und ehemalige DDR-BürgerInnen kümmert sich ohnehin die BRD; regelungsbedürftig bliebe nur z.B. das Schicksal aus der Tschechoslowakei, Ungarn usw. ausgebürgerter Intellektueller.

Die Zahl der Menschen, die individueller Verfolgung unterliegen, macht heute nur noch einen Bruchteil der weltweit vom UNHCR auf 50 Mio Menschen geschätzten Zahl von Flüchtlingen aus. Bürgerkriege, Großprojekte wie das südost-anatolische Projekt (GAP) in der Türkei, ökologische Katastrophen, der Zusammenbruch gewachsener Wirtschaftssysteme in Folge "ethnischer Konflikte" im ehemaligen Kolonialraum usw. halten sich ganz offensichtlich nicht an Staatsgrenzen. Die daraus entstehenden Massenbewegungen sind daher zwangsläufig nationalstaatlich nicht regelbar.(28)

Im Zuge dieser Entwicklung verabschiedete die Organisation für Afrikanische Einheit bereits 1969 eine "Konvention über die spezifischen Aspekte von Flüchtlingsproblemen in Afrika". Mitte der Achtziger folgten verschiedene mittelamerikanische Staaten mit der "Flüchtlingsdeklaration von Cartagena". Beide überstaatliche Abkommen beinhalten eine im Vergleich mit der Genfer Konvention wesentlich weitergehende Definition des Flüchtlingsbegriffs. Sie stellen auf "schwerwiegende Störungen der öffentlichen Ordnung" ab, die Leben, Sicherheit oder Freiheit der Menschen bedrohen.

Weltweit konnte sich eine derart umfassende Definition des Flüchtlingsbegriffs nicht durchsetzen. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien und der daraus hervorgegangenen Fluchtwelle schufen aber mehrere westeuropäische Staaten, insbesondere Österreich, Instrumentarien zur "Bewältigung" derartiger Massenwanderungen: Flüchtlingen aus Bosnien wurde der Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention generell verwehrt bzw. die Antragsstellung mittels sozialen Drucks unmöglich gemacht. Für sie wurde das Instrument der "vorübergehenden Duldung" geschaffen: Sie konnten ohne Erlangung von Rechtsansprüchen (etwa auf eine (Erwerbs-) Arbeitsbewilligung, Sozialhilfe oder StaatsbürgerInnenschaft) so lange im Land bleiben, wie es der Republik passte. Willkür in der Auslegung der Rechte, die den Flüchtlingen zustanden, sich fast täglich ändernde rechtliche Grundlagen und Unsicherheit über den tatsächlichen Aufenthaltsstatus (und damit die Unfähigkeit, die eigene Zukunft in legalem Rahmen aktiv zu gestalten) bestimmten das Leben dieser Flüchtlinge.

Der Erfolg für die Republik Österreich war groß: Personen mit verwertbarer Ausbildung (etwa im medizinischen Bereich als KrankenpflegerInnen) konnten sich Chancen auf eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung machen. Wessen Arbeitskraft für die Republik nicht weiter verwertbar war, wurde nach Ende der Aktion "nach Hause" geschickt, ohne das etwa die Bestimmungen der Genfer Konvention (insbesondere das Refoulement-Verbot) beachtet werden mussten.

Der Erfolg dieses Modells für die politischen Eliten Österreichs hatte mehrere Aspekte: Österreich kann sich international als enorm hilfsbereites Land präsentieren; Beschäftigungsdefizite konnten mit (oft über-)qualifizierten Menschen aufgefüllt werden; und der "unbrauchbare Rest" war leicht wieder zu beseitigen.

Inzwischen hat Österreich die Möglichkeit der "vorübergehenden Duldung" ins Aufenthaltsgesetz (nicht ins Asylrecht) aufgenommen und im Zuge des Krieges am Balkan auf albanisch-"stämmige" Kosov@-Flüchtlinge angewandt (nicht aber auf serbische Deserteure oder kosovarische Roma). Italien und die BRD haben ähnliche Rechtsnormen geschaffen. Asylanträge von Menschen aus Kosov@ werden durchwegs abgelehnt.
 

Die wirtschaftliche Bedeutung der Migration
 

Migration in allen ihren Formen, ob "erzwungen" oder "freiwillig", ob innerhalb eines Landes, innerkontinental oder transkontinental, war und ist immer strukturelles Merkmal des "Weltmarktes für Arbeitskraft"(29). Bereits im Recht der griechischen Antike wurde zwischen "Xenos" und "Metoikos" unterschieden. Als "Xenos" galt ein nur kurzfristig Durchreisender, dem alle Gastfreundschaft zukommen sollte(30). "Metoikos" hingegen war ein Mensch, der in der Gemeinschaft seines Lebensmittelpunktes nicht geboren worden war und daher die Bürgerrechte nicht in Anspruch nehmen konnte. Sein rechtlicher Status war prekär und konnte sich nach politischen Gegebenheiten ohne sein Zutun ändern. Der Großteil der MetökInnen war rechtlos, musste jedoch eine Art Aufenthaltssteuer entrichten und wurde somit gezwungen, jede sich ihm bietende Möglichkeit zur Erwerbsarbeit anzunehmen. Die Interpretierbarkeit des fast sklavenähnlichen MetökInnenstatus zeigt sich aber an der Tatsache, dass viele der berühmtesten griechischen PhilosophInnen und KünstlerInnen ihre Hauptwerke als MetökInnen hervorgebracht haben. Aristoteles etwa hatte es Zeit seines Lebens nicht zu athenischem Bürgerrecht gebracht und war entsprechend sauer. Dennoch waren seine Lebensbedingungen weit entfernt von jeder SklavInnenhaftigkeit. Auch mehrere der sieben Weltwunder der Antike waren von MetökInnen geschaffen worden, und können doch wohl kaum von SklavInnen hervorgebracht worden sein.

Der große Vorteil der Unterteilung in Xenos und Metoikos lag darin, dass die jeweilige BürgerInnenschaft sehr flexibel - je nach wirtschaftlicher und politischer Lage eben - die Lebenssituation der MetökInnen gestalten konnte: Zu Zeiten ökonomischer Prosperität waren zusätzliche HandwerkerInnen und Arbeitskräfte willkommen, bei Flaute und Depression waren sie entweder leicht loszuwerden oder aber immerhin sehr billig und flexibel einsetzbar.(31)

Ähnliche Muster sind auch im Zusammenhang mit der Gesellenwanderung der frühen Neuzeit zu beobachten: Zunftregelungen konnten interpretiert, umgangen oder auch übergenau eingehalten werden; je nachdem, ob es Personalmangel gab oder nicht...

Um Migration zu ermöglichen, lockerten eine Vielzahl von Verträgen der Neuzeit die Einschränkungen der Freizügigkeit, die sich aus der Bindung eines Menschen an die Herrschaft seines Geburtsortes banden. Der Landfrieden von 1548, der Westfälische Frieden und die Bundesakte des Deutschen Bundes von 1820 ermöglichten Wanderungen, sie sicherten jedoch nicht den politischen und sozialen Status von Menschen, die sich an einem neuen Ort niederzulassen gedachten.

Vom Interesse getragen, ihren nicht unbestrittenen Herrschaftsanspruch zu festigen (vor allem: um die Musterung und damit die effektive Aushebung von Soldaten zu ermöglichen) wurde in den Herrschaftsjahren Maria Theresias die erste Unterscheidung von In- und AusländerInnen in Rechtsform gegossen (Konskriptionspatent von 1779). Dieser Ansatz wurde zur Zeit der Napoleonischen Kriege und danach ausgebaut.

Das Heimatrechtsgesetz von 1863 führt uns zum Thema zurück: Neben der Feststellung der Wehrfähigkeit ermöglichte es die "Abschaffung" fremder VagabundInnen. Die städtischen Zentren der Industrialisierung, allen voran Wien, wünschten sich die Möglichkeit, Fremde, die der Armenfürsorge bedurften, nötigenfalls auch mit Gewalt auszuweisen. Als Fremde galten aber nicht in erster Linie Menschen aus anderen "Ländern", sondern die nach Wien migrierten Menschen anderer Herrschaftsbezirke. Das Reichschubgesetz von 1871 schließlich schuf die Möglichkeit, unerwünschte Personen mit Polizeieskorte in ihren Heimatbezirk zu transportieren. Abschiebungen fanden also nicht zwischen Wien und Bukarest, sondern zwischen Wien und beispielsweise Mariazell statt...

Zur Vervollständigung: Nach Ausrufung der Republik im Jahr 1918 wurde das gängige Recht weitgehend übernommen und durch Einbürgerungsregelungen betreffend Personen aus "altösterreichischem" oder "altungarischem" Gebiet ergänzt. Nach der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich wurde die von den Nazis geschaffene deutsche "Ausländerpolizeiverordnung" in Kraft gesetzt, die bis ins Jahr 1993 in Österreich (unter verändertem Namen, selbstverständlich) Geltung besaß. Das Ende der Verordnung besiegelte das Fremdengesetz von 1993, das eine deutliche Verschärfung der Nazi-Verordnung darstellte (und seither bereits zwei weitere Male verschärft wurde).
 

Flexible MigrantInnen
 

Die beschriebenen Beispiele weisen alle das gleiche Muster auf: "Migrierende Personen gibt es eben einmal. Schaffen wir also möglichst flexible Gesetze, die es uns erlauben, migrierende Menschen je nach den Verhältnissen 'menschlicheren' oder 'unmenschlicheren' Lebens- und Arbeitsbedingungen zu unterwerfen."

Pate solch für die Mehrheitsbevölkerung eines Landes "praktikabler" Regelungen sind nicht geheime Verschwörungen, sondern politisch nicht kontrollierte, ökonomische Entwicklungen(32): In der Hochkonjunktur der Sechziger und Siebziger wurde es nicht als notwendig empfunden, rechtliche Bestimmung wesentlich zu verändern. Die Leute kamen, arbeiteten, zahlten Steuern und Beiträge und machten sonst nicht allzuviel Umstände. Sie füllten einen geleerten Markt für ungelernte Arbeitskräfte auf und trugen damit ganz wesentlich zu den wirtschaftlichen Wachstumsraten von rund 10% pro Jahr bei.

Besäße die klassische "push-pull-Theorie" ernstzunehmende Gültigkeit, so hätte sich die Zahl der ausländischen Erwerbsarbeitskräfte ab Mitte der Achtziger deutlich reduzieren müssen, weil der pull-Faktor politisch mittels neuer Regelungen deutlich reduziert wurde. Mit der Reduktion des sekundären Wirtschaftssektors ging außerdem der Bedarf an ungelernten Erwerbsarbeitskräften zurück.

Die Realität verhält sich jedoch nicht der Theorie entsprechend: Nicht die Zahl der beschäftigten MigrantInnen, nicht einmal unbedingt die Art der Beschäftigung hat sich verändert, sondern lediglich der Ort...

Bildeten MigrantInnen früher vornehmlich die Erwerbsarbeitskraftreserve großer Unternehmungen, so finden sie heute in ausgelagerten Produktionen, Subunternehmungen und bei KleinstauftragsnehmerInnen Beschäftigung. Dort ist ihre rechtliche Situation in höchstem Maße prekär: ArbeitnehmerInnenschutzrechte sind so gut wie inexistent, Arbeitsbedingungen katastrophal, rechtlicher Schutz de facto null.

Die Ursache dieser Entwicklung liegt nicht allein in unternehmerischer Bösartigkeit, sondern vor allem in der Tatsache, dass staatlicherseits massive Maßnahmen gesetzt wurden, um Abhängigkeit und de facto Rechtlosigkeit zu produzieren: Gerade jene Bestimmungen des Fremdenrechts, die angeblich zum Schutz von MigrantInnen vor Miethaien und AusbeuterInnen dienen sollen (die Bindung der Aufenthaltsgenehmigung an eine Beschäftigungsbewilligung bzw. an die Mindestwohnungsgröße), schaffen ein System, in dem es sich kein Mensch ohne österreichische oder EU-StaatsbürgerInnenschaft leisten kann, die Wohnung oder die Erwerbsarbeit zu verlieren. Wer "legal" in Österreich bleiben will, muss unter allen Umständen lohnarbeiten und wird es sich zweimal überlegen, gegen den oder die ArbeitgeberIn rechtlich vorzugehen (etwa wegen überlanger Arbeitszeiten, fehlender Schutzeinrichtungen oder zu geringem Lohn). Ähnliches gilt für Wohnraum.

Mit den Bestimmungen des Fremdengesetzes wurden also erst neue Märkte geschaffen: ein jeweils eigener Erwerbsarbeitsmarkt und Wohnungsmarkt für Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft.

Ein Markt? Nein, mindestens jeweils zwei, denn zu Firmen, die Menschen ohne privilegierten Status beschäftigen bzw. ihnen Wohnungen vermieten, kommen auch noch jene, die das auch mit juristisch "Illegalisierten" tun und sich ihr Übersehen der Rechtslage über noch höhere Mieten oder noch geringere Löhne bezahlen lassen.

Bleibt die Frage, ob die fehlende Kontrolle dieser ökonomischen Entwicklungen intendiert oder zufällig ist. Es ist schwer glaubhaft, dass ein intelligenter Mensch Ursache und Zusammenhang übersehen kann. Vor allem dann nicht, wenn intelligente Menschen es geschafft haben, sich in Wien mit der Vermietung von Wohnungen an nicht-privilegierte Menschen ein Vermögen anzuhäufen, um dann für die FPÖ führende Funktionen in der jeweiligen Standesorganisation oder im Bundesrat zu übernehmen. Jenseits der ebenfalls kaum glaubhaften Verschwörungstheorien bleibt nur ein Schluss: Zumindest kommt die Segmentierung des Arbeits- und Wohnungsmarktes keiner und keinem der politischen VertreterInnen der MehrheitsösterreicherInnen ungelegen; ansonsten würden sie die Situation nämlich verändern...
 

Was bewirkt Migration?
 

Dass die Entscheidung zu migrieren vor allem im Zusammenhang mit einem gut entwickelten Beziehungsgeflecht aus persönlichen, sozialen, politischen und geopolitischen Komponenten getroffen wird, hat sich bislang zwar kaum in politischen Entscheidungsebenen herumgesprochen, ist jedoch - wie bereits ausgeführt - wissenschaftlich gut belegt. Um die Bedeutung dieses Beziehungsgeflechts zu verstehen, ist es notwendig, sich mit dem auseinanderzusetzen, was in der scientific community als Triangularität der Migration bezeichnet wird: Die Entscheidung zu migrieren verändert nicht allein das Leben eines Menschen. Sie hat spürbare Auswirkungen sowohl auf die Gesellschaft der Zielregion als auch der Region, die verlassen wird. Und sie hat diese Auswirkungen unabhängig davon, ob freiwillig oder unfreiwillig migriert wird, ob dauerhafte oder nur vorübergehende Migration beabsichtigt wird.

Dramatisch "gut" beobachtbar ist dies an der Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien. Jene Menschen, die das Land verlassen haben, haben nicht nur vertraute Menschen zurückgelassen oder Schwierigkeiten gehabt, neue vertraute Menschen zu finden. Sie haben ganz wesentlich zum österreichischen Wirtschaftswachstum beigetragen.

Was die österreichische Wirtschaft an MigrantInnen gewinnt, geht den Herkunftsregionen verloren: Arbeits- und Kaufkraft, technisches und gesellschaftliches Know-how, politische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungsfähigkeit, Wirtschaftswachstum usw.

Die Ursachen des Zerfalls Jugoslawiens haben selbstverständlich Vorlaufzeiten, die mehrere Generationen umfassen. Dennoch kann nur schwer übersehen werden, dass die militärischen Konflikte der letzten sieben Jahre nicht primär politische als vielmehr ökonomische Wurzeln hatten: Selbst jenes als Gründungsdokument des neuen serbischen Nationalismus angesehene Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften von 1985 führt vor allem ökonomische Gründe wie den drohenden Verlust von Rohstoffquellen an, um die Forderung nach Forcierung einer serbisch-nationalistischen Politik zu untermauern(33).

Nicht anders verhält es sich mit den bereits jahrelang andauernden BürgerInnenkriegen in Sierra Leone, in Nigeria, im Kongo oder auch im kurdischen Teil der Türkei, wo GroßgrundbesitzerInnen Rohstoffe industriell gewinnen wollen.
 

Migration und Psyche
 

Migration stellt Menschen vor Probleme. Unabhängig von Ursache, Entscheidungsfreiheit oder Entfernung sind MigrantInnen stets mit völlig veränderten Situationen konfrontiert, die ihr Leben stark beeinflussen. Große Erfahrungen in der Arbeit mit den psychischen Auswirkungen von Migration haben, nicht überraschend, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen insbesondere in Israel. Aber auch in anderen Ländern mit guter psychotherapeutischer Versorgung haben TherapeutInnen Migration als Auslöserin einer Vielzahl von psychischen Problemen erkannt.

Rebecca und Leon Grinberg haben sich zum Ziel gesetzt, eine Art "Pathologie der Migration" zu erarbeiten(34). Die beiden PsychoanalytikerInnen gehen dabei nicht von "Extremfällen" wie Holocaustopfern aus, sondern untersuchen anfangs mit Migration im weitesten Sinne zusammenhängende Krisen und Traumata, ausgelöst durch Krankenhausaufenthalte, Trennung von den Eltern, Internatsaufenthalten usw. und versuchen, daraus auf Extremsituationen zu schließen.

Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass Migration immer in irgendeiner Form mit persönlichen Krisensituationen und Traumata verbunden ist. Entscheidend ist dabei nicht, ob die Migration durch eine psychisch schwer verkraftbare Extremsituation ausgelöst wurde oder ob sich eine migrierende Person in der Zielregion nur schwer zurechtfindet: "Jede Migration, ihr Warum und ihr Wie, hinterlässt ihre Spuren in der Geschichte jeder Familie und jedes Individuums". Die Grinberg greifen damit jenes Beziehungsgeflecht auf, das in diesem Beitrag bereits in Zusammenhang mit der Triangularität der Migration behandelt wurde.

Traumatische Erfahrungen, die Ausgangspunkte von Migrationsentscheidungen werden, sind - der Krieg im Kosov@ dauert de facto noch an - leicht vorstellbar. Weniger leicht fällt es oft, psychische Extremsituationen nach erfolgter Migration zu verstehen: "Es kommt oft vor, dass der Immigrant in Mechanismen der Spaltung Zuflucht sucht, in dem er beispielsweise all die neuen Erfahrungen und Aspekte der aufnehmenden Umwelt idealisiert und gleichzeitig all das Verfolgerische und Wertlose dem Ort und den Personen zuschreibt, die er verlassen hat. Dies ... dient der Vermeidung von Trauer, Schuldgefühlen und depressiven Ängsten, die sich durch die Migration zuspitzen."

Die Prädisposition migrierender Menschen ist lediglich deshalb von Bedeutung, weil Menschen mit tendenziell positiver Einstellung zu neuen Erfahrungen und Ortwechsel es leichter haben, mit den auftretenden Krisensituationen fertig zu werden.

PsychotherapeutInnen dürften also bereits Jahre vor den SoziologInnen erkannt haben, dass sich MigrantInnen nicht in qualifizierbare Untergruppen teilen lassen: In der Arbeit Grinbergs geht es jedenfalls um DiplomatInnenkinder (die ja, ähnlich Flüchtlingen, keine Möglichkeit haben, Migrationsentscheidungen aktiv zu treffen, dennoch aber mit dem ständigen Verlust ihrer sozialen Umgebung konfrontiert sind) wie um Holocaust-Überlebende oder "ArbeitsmigrantInnen".

Nach Ansicht der Grinberg sind es mehrere Faktoren, die Migration stets im Zusammenhang mit psychischen Krisen erscheinen lassen:

* Die Ursache der Migrationsentscheidung: Kein Mensch verlässt eine liebgewonnene Umgebung gerne. Eine "freiwillige" Migration, selbst dann, wenn sie mit deutlicher sozialer Besserstellung verbunden ist, hat daher stets eine Vorgeschichte, die Teil der Migration ist. Ravenstein und Lee hätten wohl auf wirtschaftliche Themen getippt. Die Grinbergs denken, abgesehen von katastrophenartigen Gegebenheiten, auf familiäre bzw. Beziehungsprobleme, die Migrationen vorangehen.

* Der Wechsel des sozialen Umfelds: Migration bedeutet immer einen Wechsel des sozialen Umfelds. Jedes Umfeld besitzt Verhaltens- und Sprachcodes, die für Neulinge, selbst wenn sie die Sprache gut beherrschen, nur schwer durchschaubar sind. Obwohl sich diese im Alltag angewandten Codes vielleicht schnell erlernen lassen, treffen sie den oder die MigrantIn zu einem Zeitpunkt großer Verunsicherung und Isolation (das soziale Umfeld der Herkunftsregion oder -Gesellschaft ist bereits verlassen, ein neues bestenfalls rudimentär aufgebaut).

* Die Wahrung der eigenen Identität: Selbst in Situationen, in den eine migrierende Person mit Begeisterung ihr Herkunftsland verlässt, nimmt sie eine Menge sozialer Verhaltensweisen in die Zielgesellschaft mit, die ihr, ohne es vielleicht zu wissen, viel bedeuten bzw. ihre persönliche Identität ausmachen.

* Die Sprache: Vergleichbar dem Wechsel des sozialen Umfelds.

* Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Rückkehr: Rückkehrmöglichkeit vereinfacht die psychische Situation von MigrantInnen erheblich. Dennoch bringt auch die Rückkehrmöglichkeit Probleme mit sich: Schuldgefühle den Zurückgebliebenen gegenüber, Unsicherheit bezüglich der Dauer des Aufenthalts und der Intensität der Integrationsbemühungen. Je größer diese Bemühungen, desto schwerer fällt die neuerliche Migration, also die Rückkehr.
 
 

Bedeutung können diese Denkansätze für alle Menschen haben: Migrationsprobleme ergeben sich aus katastrophalen Fluchtsituationen ebenso wie aus der Entscheidung, etwa vom Land nach Wien auf die Uni zu gehen. Migration, wie bereits in der Einleitung gesagt, verfolgt die Menschheit durch ihre Geschichte.
 

Resumee
 

* 1. Migration ist immer nur für einen geringen Teil der Bevölkerung eine Option. Dies gilt insbesondere für transkontinentale Migration. 95% aller Flüchtlinge, wechseln lediglich von ihrer Herkunftsregion in eine Nachbarregion. Der größte Teil aller Flüchtlinge weltweit befindet sich daher in der sogenannten "Dritten Welt".

* 2. MigrantInnen sind immer in einer Minderheitsposition.

* 3. Ein großer Teil der MigrantInnen kehrt in ihr Herkunftsland zurück.

* 4. Migration wird durch einen hochdifferenzierten Prozess, in dem persönliche Beziehungen, soziale Gegebenheiten aber auch politische Strukturen eine Rolle spielen, ausgelöst und gesteuert.

* 5. Migration ist nicht verhinderbar und auch nicht verhinderungswürdig. Es gilt, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Migration unter den für alle Beteiligten und Betroffenen vorteilhaftesten Bedingungen abläuft.

* 6. Dazu gehört zu allererst die Abschaffung diskriminierender Regelungen.

* 7. "Migration ist Fortschritt - Sesshaftigkeit Stillstand"!
 
 

Fußnoten:

1 Kronenzeitung vom 24. Juli 1999.
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2 "verspricht" im Doppelsinn des Wortes, wie der Tod des nigerianischen Migranten Markus Omofuma und anderer belegen.
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3 Die Eroberungen der Osmanischen Herrscher folgten ökonomischen Überlegungen: Der niedrige Grad kapitalistischer Entwicklung im Osmanischen Herrschaftsbereich erzwang geradezu Eroberungen, um Konsumgewohnheiten der Herrscherschicht aufrechterhalten zu können. Aus dieser Perspektive gesehen ist es nicht verwunderlich, dass die Osmanische Herrschaft in ihrer Blütezeit (bis etwa 1700) besondere Liberalität sowohl bei der Aufnahme von Fremden als auch der Übernahme gesellschaftlicher Entwicklungen und Traditionen der besetzten Regionen entwickelte.
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4 Columbus hat aufgrund seiner Herkunft gute Gründe gehabt, viel Raum zwischen sich und Spanien zu bringen, da nach der Vertreibung der JüdInnen Kinder konvertierter JüdInnen in Spanien massivstem Terror ausgesetzt waren.
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5 Die "Pilgrimfathers" hatten England aus religiösen Gründen verlassen und waren, absichtlich oder nicht ist ungeklärt, nicht nach Virginia gekommen, wo sie sich ursprünglich hätten ansiedeln sollen. In der Folge errichteten die Nachfahren der "Pilgrims" übrigens ein wahres Terrorregime in New England.
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6 Ödipus muss seine Heimat verlassen und wächst bei Zieheltern auf, um den Eintritt des Orakelspruchs, wonach er Vater ermordet und Mutter heiratet, abzuwenden. Genutzt hat's aber nix...
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7 Die EinwohnerInnen Babels wollen einen Turm bauen, um zu größerer Kenntnis der Welt über ihnen zu gelangen. Als Strafe für ihre Neugier wird ihnen die Fähigkeit genommen, sich gegenseitig zu verstehen (die Sprachen wurden eingeführt). Sie müssen die Heimat verlassen und zerstreuen sich in alle Himmelsrichtungen.
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8 Mohammed wurde von den Kaufleuten Mekkas als Gefahr für den inneren Frieden angesehen und verbannt.
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9 Kartoffelfäule hatte mehrere Jahre hintereinander fast die gesamte Ernte vernichtet.
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10 ausgeglichen wird, wohlgemerkt; nicht "werden kann". Ravenstein stellt zwar ausdrücklich fest, dass die von ihm untersuchte Binnenmigration im Zuge der Industrialisierung weiter zunehmen werde, entwarf aber kein Lenkungskonzept. Seine "Gesetze der Wanderung" beinhalten Thesen über den Verlauf von Wanderungsbewegungen, die er beobachtet hatte. Bezüglich des im Zusammenhang mit der irischen Hungerkatastrophe reichlich zynisch erscheinenden Begriffs "Bevölkerungsüberfluss" mag es sich um ein Übersetzungsproblem handeln...
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11 Ravenstein, Ernest George, Die Gesetze der Wanderung I und II, in: Szell, György (Hg.), Regionale Mobilität, 11 Aufsätze, S. 86, München 1972
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12 Ravenstein, S. 82-83, 1972
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13 Lee, Everett S., Eine Theorie der Wanderung, in: Szell, S. 115-129
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14 Refoulement-Verbot: Das in der Genfer Konvention verankerte Verbot, Menschen in Länder zurückzuschicken, in denen ihr Leben, körperliche Integrität oder politischen Rechte in Gefahr sind.
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15 Aus: Arbeitspapier der Sektion III des Bundesministeriums für Inneres im Zusammenhang mit der Bewertung der Auswirkungen des Asylgesetzes 1997 und des Fremdengesetzes 1997; verfasst von Manfred Matzka (siehe dazu "ausgewählte Quältexte").
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17 Ein Defizit an ungelernten Arbeitskräften kennt die USA als traditionelles Einwanderungsland nicht. Zu dieser Zeit hatte sich aber ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften bemerkbar gemacht, die zur Schaffung von Migrationsanreizen für eben diese Personengruppe geführt hat. Große US-Unternehmungen heuerten eigene Keiler an, die in ihren Herkunftsländern Personal anwerben sollten.
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18 Faist, Thomas, Migration und der Transfer sozialen Kapitals oder: Warum gibt es relativ wenig internationale Migration?, in: Pries, Ludger (Hg.), Transnationale Migration, Baden-Baden 1997, S. 63-83
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19 Hillmann, Felicitas, Jenseits der Kontinente - Migrationsstrategien von Frauen nach Europa, Pfaffenweiler 1996, S.253
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20 Feithen, Rosemarie, Arbeitskräftewanderungen in der Europäischen Gemeinschaft. Bestimmungsgründe und regionalpolitische Implikationen, Frankfurt am Main 1985
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21 Portes, Alejandro/Rumbaut Ruben, Immigrant America: A Portrait, Berkeley 1990
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22 Hoffmann-Nowotny, Hans Joachim, Migration - Ein Beitrag zur soziologischen Erklärung, Stuttgart 1970, S. 107
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23 Heberle, Rudolf, Theorie der Wanderungen, Soziologische Betrachtungen, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 75, 1. Halbband, 1955, S.2
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24 Elias, Norbert/Scotson, John L., Etablierte und Außenseiter, Frankfurt am Main 1990, S. 229
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25 Ronzani, Silvio, Arbeitskräftewanderung und gesellschaftliche Entwicklung. Erfahrungen in Italien, in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland, Königstein/Ts. 1980, S. 17
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26 Albrecht, Günther, Soziologie der geographischen Mobilität, Stuttgart 1972, S. 23
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27 aus: ÖVP - Unsere Position: 4. Sicherheitspolitk, 3. Innere Sicherheit; ohne Datumsangabe
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28 Einmal davon abgesehen, dass staatliche Regelungsmuster deutlich Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen zum Ziel haben; etwa der Tutsi-Bevölkerung in Ruanda, wechselweise der AlbanerInnen, SerbInnen oder Roma im Kosov@ oder der KurdInnen und ArmenierInnen in der Türkei...
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29 Sassen, Saskia, Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa, Frankfurt am Main 1996
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30 Angesichts der Situation, der MigrantInnen vielfach ausgesetzt sind, ist es geradezu ein euphemistischer Hohn, dass Xenos, der Gast, den Beitrag zum Wort Xenophobie liefert.
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31 Metöken hatten eine Steuer zu bezahlen, mussten also unter allen Umständen arbeiten.
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32 Es stellt sich die Frage, ob die politische Kontrolle über diese, vorhersehbaren ökonomischen Entwicklungen zufällig, quasi unglückseligerweise, oder beabsichtigterweise fehlt.
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33 Siehe dazu Libal, Wolgang, Das Ende Jugoslawiens. Chronik einer Selbstzerstörung, Wien 1991, S. 122-126
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34 Rebecca und Leon Grinberg, Psychoanalyse der Migration und des Exils, Wien 1990
Nur für Menschen zu empfehlen, die sich wirklich etwas antun wollen! Dementsprechend kurz und inhaltlich flach, möglicherweise auch unzulässig verkürzt, daher auch dieser Abschnitt des Beitrags.
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weitere Literatur

Folgende Literatur zum Thema Migration fand ihren Weg nicht in die Anmerkungen, wurde aber dennoch zur Erstellung des Beitrags verwendet:

Ashkenasi, Abraham (Hg.), Das weltweite Flüchtlingsproblem. Sozialwissenschaftliche Versuche der Annäherung, Bremen 1988
Kommentar: Enthält neben zweier kurzer inhaltlicher Darstellungen der Denkansätze in der Migrationsforschung mehrere Beiträge zur Verdeutlichung der Praxis

Fassmann, Heinz/Münz, Rainer (Hg.), Migration in Europa. Historische Entwicklung, aktuelle Trends, politische Reaktionen, Frankfurt am Main 1996
Kommentar: Gähn! Inhaltlich Steinzeit!

Knapp, Anny/Langthaler Herbert, Menschenjagd. Schengenland in Österreich, Wien 1998
Kommentar: Ausführliche Darstellung der österreichischen Praxis im Umgang mit MigrantInnen

Parnreiter, Christoph, Migration und Arbeitsteilung. AusländerInnenbeschäftigung in der Weltwirtschaftskrise, Wien 1994
Kommentar: ökonomistisch, aber ausführlich und genau

Staatsarchitektur, "Vor der Information" 7/8, Wien 1998
Kommentar: Diskussionsrunde zu verschiedenen Aspekten der Migration; viele Fragen, viele Gedanken, keine Antworten! absolut empfehlenswert

Treibel, Anette, Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, München 1999
Kommentar: völlig überarbeitete Neuauflage, inhaltlich neuester Stand; ausführliche und verständliche inhaltliche Abrisse; absolut empfehlenswert
 
 


aus: TATblatt nr. +120/121/122/123 (12/13/14/15 1999) vom oktober 1999
(c)TATblatt
alle rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen medien ohne weiteres gestattet (belegexemplar erbeten)!
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