TATblatt


Buchrezension:
Bianka Pietrow-Ennker (Hg.)
Präventivkrieg?
Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion
 

Präventivkrieg?

hobo

"Der Zweite Weltkrieg begann am 1.September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen. Aber wer weiß schon, dass die Deutschen gar nicht ganz Polen besetzten? (...) Die östliche Hälfte wurde 16 Tage später von der Sowjetarmee okkupiert. Die Diktatoren hatten sich die Beute brüderlich geteilt." (M. Siegert in profil 35/99)

Brüderlich - wie ja schon der Schnurrbart auf Volkschulfotos erkennen ließ (vgl. Kasten; Anm.). Nicht immer gebart sich die Mär von der Vergleichbarkeit der totalitären Systeme Nationalsozialismus und Stalinismus so unbeholfen wie in österreichs "seriösem" Nachrichtenmagazin. Die These, auf die sich der profil-Autor stützt und die hier kurz behandelt werden soll, ist jene vom Präventivschlag der deutschen Armee gegen die Sowjetunion. Vereinfacht dargestellt steht der These vom rassistischen Vernichtungskrieg der Nazis ein Konstrukt gegenüber, das behauptet, Hitler wäre mit dem "Unternehmen Barbarossa", dem Überfall auf die Sowjetunion, einem vergleichbaren Schlag Stalins gegen Deutschland nur knapp zuvor gekommen.

Diese Diskussion aufgreifend ist im Fischer Taschenbuch Verlag der Band Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion verlegt worden. Elf deutsche und russische HistorikerInnen gehen der Frage nach, was die wirklichen Gründe für den Überfall auf die Sowjetunion waren, ob es Anzeichen einer Kriegsvorbereitung auf sowjetischer Seite gegeben hat, und welche diplomatischen Ereignisse im Vorfeld des Angriffs von Bedeutung waren.

Mitunter in der Diktion von MilitärhistorikerInnen verfasst, an wenigen Stellen bis ins ermüdende Detail genau, wird der Frage nach dem eigentlichen Aggressor nachgegangen. Dabei handelt es sich nur augenscheinlich um einen Nebenschauplatz des sogenannten "Historikerstreits" aus den 80er Jahren, der durch jüngere Veröffentlichungen russischer Historiker neuen Zündstoff erfuhr. Gerade die plumpe Rezeption dieser einst akademischen Diskussion in einer Zeitschrift wie profil sollte ein deutliches Zeichen dafür sein, wie weit sich totalitaristische und revisionistische Tendenzen im Wissenschaftsbetrieb und darüber hinaus festgesetzt haben.

Der vorliegende Band entkräftet viele Argumente dieser Denkrichtung und bettet die Frage um die Kriegsschuld in eine allgemeine Diskussion der Totalitarismustheorie ein.
 

Bianka Pietrow-Ennker (Hg.)
Präventivkrieg?
Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion
Fischer Taschenbuch Verlag; 2000
218 seiten; öS 145.-


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