TATblatt Rezension:
Jürgen Elsässer
Kriegsverbrechen
Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovokonflikt
 
Alles Lüge?
Kriegsverbrechen im Kosovo-Konflikt

hobo

"Noch nie", klagte ein Kritiker im Frühjahr dieses Jahres, "haben so wenige so viele so gründlich belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg." "Dafür sind Menschen gestorben", fügte er noch hinzu. Der Mann war nicht etwa amtsbekannter Pazifist, Linker oder aus sonst welchen Gründen prinzipieller Kriegsgegner, er ist Abgeordneter der CDU im deutschen Bundestag. Das macht hellhörig. 

Am 27. März 1999, am dritten Tag des Krieges im Kosovo notierte der deutsche Verteidigungsminister Scharping in sein Kriegstagebuch: "Im Kosovo ist Völkermord eigentlich schon im Gange." Damit begründete er eine Rechtfertigungsstrategie für den Einsatz der Nato und insbesondere der deutschen Bundeswehr (ihren ersten Einsatz auf nicht-deutschem Boden seit 1945), die von der öffentlichen Meinung begierig aufgenommen werden sollte. "Nun wird der Alltag im Kosovo zur KZ-Wirklichkeit. Hitler und Stalin sind in Milosevic wieder auferstanden. Menschenfeinde, Menschenjäger, Menschenvernichter", hieß es bald in der Bild-Zeitung. Womit diese aber keineswegs allein auf weiter Flur stand. Von "Milosevic-KZs" war allenorts die Rede, und die Berichterstattung über Greuel als auch die Zahl der Opfer serbischer Gewaltorgien erlebte ungeahnte Höhenflüge.

Am 18. April 1999 zitierte der US-Sender ABC die Vermutung eines amerikanischen Regierungsvertreters, wonach zehntausende junge kosovo-albanische Männer exekutiert worden sein könnten. Tags darauf nannte das State Department die Zahl von 500.000 Vermissten, in der internationalen Presse pendelten die Angaben sodann zwischen 100.000 und 500.000, den Vogel abgeschossen hatte aber schon am 7. April der Wiener Standard: "In einem wahren Blutrausch" sollen von der serbischen "Soldateska" rund 800.000 Menschen "erschlagen" worden sein.

Tatsächlich gibt es Indizien dafür, dass viele der als vermisst gemeldeten Männer im wehrfähigen Alter von der kosovo-albanischen UCK (zwangs)rekrutiert wurden, und die tatsächlichen Kolonnen von Flüchtlingen haben sich wohl wegen der Kampfhandlungen an sich und des Nato-Bombardements insbesondere in Bewegung gesetzt, nicht aber wegen der angeblichen "Serben-Greuel". 

Ähnlich verhielt es sich mit den Berichten über vorgefundene "Massengräber". Entweder waren Tote in Einzelgräbern bestattet und diese entsprechend ihrer Religion nach Mekka ausgerichtet, wie es ein die Vorfälle in Istok untersuchendes spanisches Pathologenteam ("Kriegsverbrechen ja, Völkermord nein.") vorfand, oder die angeblichen Massengräber wurden nie gefunden. Etwa in der ehemaligen Mine von Trepca, wo dem Daily Mirror zufolge "nach dem Vorbild von Auschwitz in Öfen bis zu 1.000 Leichen verbrannt" worden sein sollen. Ein französisches Höhlenforschungsteam im Auftrag des Den Haager Tribunals fand - "absolut gar nichts". 

Anderes gibt es im Kosovo heute allerdings sehrwohl zu finden. An 78 Tagen fast ununterbrochener Einsätz haben Nato-Flugzeuge über 23.000 Bomben, Cruise Missiles und Raketen abgeworfen. Allerdings wurden damit laut einem im Mai 2000 veröffentlichten Report des Pentagon gerade einmal 14 Panzer, 18 Truppentransporter und 20 Artelleriegeschütze getroffen. Der Rest der eingesetzten Munition wirkte sich somit vor allem zum Schaden der Zivilbevölkerung und der Umwelt aus, insbesondere was die mit abgereicherten Uran (Depleted Uranium, DU-Munition) versehene Munition betrifft. Oder die Splitter- und Clusterbomben, von denen jede 202 Einzelbomben beinhaltet, die einzeln explodieren sollten. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung seien aber mehr als 20.000 dieser Einzelbomben nicht explodiert und stellen somit weiterhin eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Dies umso mehr, da die Nato erklärte, Splitterbomben und Minen würden nur dort geräumt werden, wo dies zum Schutz der Kfor-Truppen notwendig wäre.

Damit aber setzt die Nato nur eine Strategie fort, die während ihres gesamten Einsatzes zu verfolgen war, und die ihr nicht zuletzt harsche Kritik von seiten Amnesty Internationals einbringt. Die versehentlichen Angriffe auf Flüchtlingskolonnen wie bei Djakovica am 15. April (74 Tote) und Krisa am 13. Mai (81 Tote) können dafür Pate stehen. Als eine Ursache für das Versehen der Piloten darf die vorgeschriebene Mindestflughöhe von 5.000 Meter gelten. Damit wollte die Nato ihre eigenen Piloten und wohl noch viel mehr ihr milliardenschweres Gerät vor feindlichem Abwehrfeuer bewahren. Welchen Stellenwert die Zivlbevölkerung in der Planung der Nato eingenommen hat, zeigt hingegen eine Stellungnahme des Haager Tribunals zur Zerstörung der Sendezentrale von RTS-TV in Belgrad: "Von der Annahme ausgehend, daß es ein legitimiertes Ziel war, waren die zivilen Opfer unglücklicherweise hoch, aber sie scheinen nicht eindeutig unverhältnismäßig."

Zynismus solcher Art kommt im neuen Buch von Jürgen Elsässer mehrmals zu Wort. Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovokonflikt heißt der Band, der die oft schamlosen Verdrehungen und Erfindungen für die Rechtfertigung des Krieges aufzuzeigen und zu widerlegen versucht. Dafür hat Elsässer mit viel Akribie die internationale Berichterstattung zum Thema verfolgt, und zeigt ihre Widersprüche wie ihre Anhänglichkeit gegenüber den Kriegs(be)treiberInnen exemplarisch auf. Er stützt sich zudem auf die Berichte von unabhängigen NGOs und die Aussagen der wenigen JournalistInnen vor Ort, die an einer Nato-kritischen Berichterstattung festhielten und ein differenzierteres Bild der Ereignisse zu zeichnen versuchten. Allzuoft genügt es aber auch einfach, Nato- oder (deutsche) Regierungsmeldungen zu zitieren, die allerdings bis dato noch nicht, oder erst lange Zeit nach den jeweiligen Ereignissen veröffentlicht wurden. Ins Zentrum rücken dabei zunehmend der deutsche Kriegsminister Scharping (SPD) und der Außenminister Fischer (Grüne), die mit dem Einsatz der Bundeswehr etwas zu Wege brachten, vor dem konservative Regierungen über Jahrzehnte zurückgeschreckt waren. (Eine vergleichbare Untersuchung über die Rolle österreichischer Außenpolitik und der Rolle Alois Mocks in der Vorgeschichte zum Kosovo-Konflikt wäre nur wünschenswert.)

Aufgezeigt werden die diplomatischen Schachzüge im Vorfeld des Krieges, die Ausweglosigkeit der Verhandlungen von Rambouillet und die systematische Förderung der UCK als "Befreiungsarmee", die freilich keinen Titel weniger verdient als diesen.

Hart ins Gericht geht Elsässer aber auch mit jenen KriegsgegnerInnen hierzulande, die sich allzu beflissen der Sprache und Denkweise der KriegstreiberInnen unterordneten, und die allzu bereit waren, in allgemeiner Serbenfeindlichkeit Lügen aufzusitzen und ihre Kritik ins Gegenteil zu verkehren. Einer seiner Vorwürfe lautet, dass es einer moralischen Kriegskritik nicht möglich war, ihren Blick auf die offensichtlichen Propagandalügen zu richten und diese mit Fakten zu widerlegen. Das gelte insbesondere für die Rede von Völkermord und dem Milosevic/Hitler- und Auschwitzvergleich: "Die Bellizisten verwendeten die Auschwitz-Analogie in höchstem Maße demagogisch, doch ein Gutteil der Kritiker sah die Demagogie nur in der tatsächlich schamlosen Plünderung der historischen Begrifflichkeiten. ... Die Empörung blieb geschmäcklerisch - 'Das tut man nicht!' - und konnte so die Position der Kriegsbefürworter nicht ernsthaft schwächen. Das wäre nur möglich gewesen, wenn man ihre Faktendarstellung bestritten hätte." 

Mit eigenen historischen Vergleichen zu den Lebensbedingungen von JüdInnen und Romas unter dem "albanischen Faschismus" und der langen Geschichte der Serbienfeindlichkeit leitet Elsässer zum Ende seines Buches jene Diskussion mit ein, in der Serbien und Israel als jüngste Opfer der Neuen Weltordnung gesehen oder bestritten werden (vgl. z.B. die letzten Ausgaben von KONKRET). Elsässers streitbarer Schluss: "Doch man sollte nicht vergessen, daß es sich (bei der Solidarität mit Jugoslawien) - wie bei der Solidarität mit Israel - auch um eine antifaschistische Verpflichtung handelt."

Jürgen Elsässer
Kriegsverbrechen
Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovokonflikt
konkret texte 27; 2000
190 Seiten; öS 188.-
(Auch im Infoladen X im EKH erhältlich.)
 

 aus: TATblatt +156/157 S. 17

siehe auch "Alles Lüge?", eine Reaktion auf diese Rezension in TATblatt +158
 
 
 
 
 
 
 

"Das letzte Mal, daß ich kämpfende deutsche Soldaten sah, war im April 1945, und sie kämpften nicht, sie hetzten durch die Straßen von Rostock, mit offenem Kragen, Waffen weggeworfen - die Russen standen vor der Stadt ... Nun die Bilder aus dem Kosovo, Bilder von kanonenschwenkenden Ungetümen im Gegenlicht, Panzer mit schwarzem Kreuz ... von der Bevölkerung bejubelt. Soldaten mit Stahlhelmen, die sich neuerdings ... den alten deutschen Helmen in ihrer Form annähern, rheinisch und sächsisch sprechende Männer, Bayern und Mecklenburger nebeneinander, ein einig Volk von Brüdern ..."

(Der Spiegel zum deutschen Einmarsch im Kosovo.)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

"Nur auf den ersten Blick gleichen die serbischen Trecks den albanischen", denn die Serben zeigten nur "die Fratze des absolut Verworfenen, der höhnisch grinsend und mit obszöner Triumphgeste, die Designerbrille im Haar und die Kippe im Mundwinkel, den Schauplatz seiner Verbrechen verläßt."
(Die FAZ über den Abzug serbischer Truppen.)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

"Wenn beispielsweise erzählt (sic!) wird, daß man einer getöteten Schwangeren den Fötus aus dem Leib schneidet, um ihn zu grillen und dann wieder in den aufgeschnittenen Bauch zu legen; wenn man hört (sic!), daß systematisch Gliedmaßen und Köpfe abgeschnitten werden; wenn man hört, daß manchmal mit den Köpfen Fußball gespielt wird, dann können sie sich vorstellen, daß sich da einem der Magen umdreht."
(Verteidigungsminister Scharping über angebliche serbische Greuel; am Tag zuvor hatte ein fehlgeleiteter Nato-Angriff auf einen kosovo-albanischen Flüchtlingstreck über 70 zivile Opfer gefordert.)

 

siehe auch "Alles Lüge?", eine Reaktion auf diese Rezension in TATblatt +158
 
 
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