Rezension
Empire
Hardt Michael, Negri Antonio, Harvard University Press, London
2000
In ihrem Buch "Empire" analysieren Hardt / Negri die Umstrukturierung des Kapitalismus vom Imperialismus zum Empire. Dieses Buch führt in eine Diskussion, die sich weder auf das Beklagen der Schrecken des kapitalistischen Systems noch auf das Hochjubeln einer wie auch immer gearteten Zivilgesellschaft beschränkt, sondern wo auch eine antikapitalistische Umwälzung angedacht wird.
Im ersten Teil geht es darum, die neuen Herrschaftsformen zu skizzieren. Die
neue Weltordnung, die erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wirklich eine
Weltordnung ist, wird nicht mehr über Nationalstaaten definiert, sondern
ist die Weiterentwicklung der Idee der Vereinten Nationen. Es ist ein Modell
des "ewigen Friedens", was aber dauernde Kriegführung unter dem Titel von
Polizeiaktionen bedeutet. Parallel dazu gibt es eine Verschiebung von der Disziplinargesellschaft
(Fabrik, Familie, Schule, Gefängnis etc.) zu einer Kontrollgesellschaft.
Die Organisation der Macht erfolgt auf der Ebene der zivilgesellschaftlichen
Organisationen, die durch ihre Art der Selbstorganisation die (Selbst)disziplin
bis in die einzelnen Individuen durchsetzen. Eine weitere Organisierung der
Mikromacht ist die Art der Produktion, die die hierarchischen Strukturen minimiert
und sie durch Kommunikation, Kollektivität und Selbstverwertung der neuen
ArbeiterInnen (neue Selbstständigkeit, Projektarbeit) ersetzt. Revolten
und Aufstände gegen diese Art der Herrschaftsausübung, die natürlich
stattfinden (die Autoren erwähnen u.a. die Aufstände in Los Angeles
1992, die Rebellion der Zapatisten 1994, die Streiks in Frankreich 1995 und
in Südkorea 1996), haben das Problem, daß sie sich trotz der neuen
Kommunikationsmittel nicht aufeinander beziehen. Dieses Buch möchte ein
Werkzeug dafür sein, einen gemeinsamen Feind auszumachen (die Struktur
des Empire) und eine gemeinsame Sprache zu finden: die Durchsetzung berechtigter
Forderungen ist nicht durch den Erhalt der alten fordistischen Strukturen möglich,
sondern geht nur durch das Empire durch und über das Empire hinaus.
Im zweiten Teil geht es um die Entwicklung staatlicher Strukturen in der Moderne.
Der Bogen spannt sich von den ersten Staatstheoretikern der Aufklärung
über die Entstehung von Nationen und Nationalismus, dem Kolonialismus bis
zur Definition der Souveränität in der Verfassung der Vereinigten
Staaten. Sie gilt durch ihren dezentralen Charakter als Modell für die
Struktur des Empire. In der zweiten Hälfte dieses Abschnitts werden als
Symptome des Übergangs die Kritiker der modernen Staatsverfassungen behandelt,
die die nationalistischen und kolonialistischen Theorien als konstruierten Dualismus
zwischen einem Innen und einem Außen denunzieren. Im Empire gibt es kein
außen mehr, Differenzierungen (Nationalismen und Ethnizismen) werden benützt,
um die herrschenden Netzwerke nicht zu gefährden. Antiimperialmus wird
auf ein Krisenmanagementproblem reduziert.
Nach Ansicht der Autoren verkommt die berechtigte postmoderne Kritik an den
Herrschaftsstrukturen letztlich zu einer Bestätigung der neuen Herrschaftsformen,
wenn nicht die Produktion einbezogen wird. Im dritten Teil wird zuerst die Entstehung
der fordistischen Produktionsweise als Antwort auf die Kämpfe der ArbeiterInnenbewegung
beschrieben. Sozialleistungen werden nicht nur als positive Elemente gesehen,
sondern auch als Werkzeuge zur Disziplinierung und Kontrolle. Ein neuer Kampfzyklus
um 1968, der in seiner Unterschiedlichekeit und Vielfalt als Aufstand gegen
die herrschenden Disziplinarsystem zusammengefasst werden kann, zwingt den herrschenden
Strukturen die entscheidenden Veränderungen in Richtung der netzwerkartigen
Machtausübung des Empire auf. In der zweiten Hälfte dieses Abschnittes
geht es um die Organisation der Arbeit und der Macht im Empire. Dominierend
ist nicht mehr die Arbeit in der industriellen Produktion, sondern immaterelle
Arbeit: In den Betrieben dominiert die Kommunikation über die Produktion,
Produkte werden erst erzeugt, wenn sie der Markt verlangt. Die Informatisierung
schafft viele neue Jobs, die mit symbolischen und analytischen Aufgaben der
Dateneingabe zu tun haben und immer mehr Arbeit besteht aus persönlichem
Kontakt und hat mit Gefühlen und Körperlichkeit zu tun, das was früher
weibliche Arbeit war, die nur indirekt durch den Kapitalismus ausgebeutet wurde.
Gemeinsam ist allen Typen der immateriellen Arbeit, daß Kooperation und
Kommunikation Teil der Arbeit selbst ist. Die internationalen Organisationen,
transnationalen Konzerne und Institutionen der Zivilgesellschaft konstituieren
das Empire, indem sie auf dem Wissen, der Kommunikation und Kollektivität,
dem Selbstbewußtsein und der Selbstverwertung einer Multitude (der Vielheit
der menschlichen Wünsche und Bedürfnisse, in Abgrenzung zu Volk und
ArbeiterInnenklasse) aufbauen. Um die Ausbeutung zu organisieren, muß
immer wieder Selbstbewußtsein und Subjektivität produziert, zugleich
aber immer wieder reguliert und kontrolliert werden. Die Vielfältigkeit
wird als Teil des Systems anerkannt, Differenzen, insbesonders ethnischer Art,
werden benutzt und durch internationales Krisenmanagement verwaltet. Rebellionen
werden domestiziert, indem sie in einer Gesellschaft des Spektakels aufgehen.
Im letzten Teil geht es darum, daß sich das Empire zwar als ewig definiert,
aber durch die Abhängigkeit von der Kreativität der Multitude in einer
permanenten Krise ist. Als Elemente einer Gegenmacht werden Vorschläge
in drei Richtungen gemacht: (A) es soll ein Recht auf Weltbürgerschaft
geben, Papiere für alle, wie es die Sans Papier in Frankreich gefordert
haben, (B) es soll das Recht auf ein soziales Einkommen mit oder ohne Arbeit
geben und (C) es soll um die Wiederaneignung der Sprache und Kommunikation,
der Beziehung zur Maschine, der Kooperation und Kollektivität des (eigenen)
Lebens, des Körpers und der Reproduktion gekämpft werden.
Auch wenn die konkreten Vorschläge am Schluß eher vage bleiben, zieht
sich durch den ganzen Text die Idee, daß das herrschende kapitalistische
System an der Kippe steht, daß die neuen Organisationsformen der Arbeit
nur darauf warten, von den lähmenden Zwängen des Kapitals befreit
zu werden. Nationalismus, auch Befreiungsnationalismus kann dabei keine emanzipatorische
Rolle spielen. Das Buch zeigt, daß eine revolutionäre Umwälzung
möglich ist und daß es sinnvoll ist, daran zu arbeiten. Kritisch
ist zu bemerken, daß die Multitude als permanenter Ausdruck der Rebellion
zu positiv erscheint, es wird zwar davon gesprochen, daß das Empire die
Widerstände integriert oder gegeneinander benutzt, geht aber nur am Rande
darauf ein, daß sich Wünsche und Bedürfnisse, die sich in Kämpfen
herauskristallisieren, auch regressiv ausdrücken können. Z.B. hat
es kaum antikapitalistische Aufstände gegeben, in denen nicht ein untergründiges
antisemitisches Element als personifiziertes Kapital mitgedacht wurde. So bleibt
Wertkritik und theoretische Diskussion über kapitalistische Strukturen
auch aus anderen Perspektive unverzichtbar. Aber dieser Text ist eine Motivation,
einen Blick auf die zur Zeit aufflammenden sozialen Bewegungen zu werfen, der
nicht der Sichtweise der fordistischen Linken beengt wird.
Hardt Michael, Negri Antonio (2000): Empire. Cambridge, Massachusetts, London,
England: Harvard University Press.
aus TATblatt Nr. +163 vom 13. April 2001
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