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Pharmakonzerne und BSE

Etwa 70% aller Pharma-Produkte enthalten nach Angaben des "Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller" in Deutschland Rinder-Bestandteile. Dem "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte" gelten sie deshalb als nicht BSE-sicher. Bayer u.a. Konzerne sind nicht nur als Abnehmer von Risiko-Materialien mit der industriellen Landwirtschaft verflochten. Die Konzerne liefern den Agrar- und Tierfabriken mit Antibiotika und Pestiziden auch Stoffe, die einige WissenschaftlerInnen zumindest für die Verbreitung der Seuche mitverantwortlich machen.

Coordination gegen Bayer-Gefahren; gekürzt und bearbeitet durch TATblatt

Mit bis zu 250.000 Todesfällen durch die Creutzfeld-Jacob-Disease (CJD, d.h. CJ-Krankheit) rechnen ExpertInnen in den nächsten Jahren. Neben Fleisch stellen auch Pharma-Produkte einen Risikofaktor dar. Das geriet schon Mitte der 80er Jahre ins Bewußtsein der Öffentlichkeit, als in Frankreich 40 Kinder nach der Injektion eines Wachstumshormons starben, das mit dem CJD-Erreger infiziert war. In Wachstumshormonen und anderen Impfstoffen befinden sich Talg, Wollwachs, Klauenöl und Gelatine vom Rind. Gelatine ist zudem in jeder Arznei mit Kapsel-Umhüllung enthalten. Der Milchzucker Lactose dient in Medikamenten als Trägerstoff, und tierische Fette verwenden die Hersteller als Bindemittel.

BSE-Risiko durch Blut- und Genprodukte

Gerade Blutplasma-Präparate sind mit hohen Risiken behaftet. In der Vergangenheit hat das der Aids-Skandal gezeigt. Mit dem HI-Virus kontaminierte Plasmapräparate haben Tausende von BluterInnen das Leben gekostet. Heutzutage stellt die Übertragung des Creutzfeldt-Jacob-Erregers via Blutprodukte die größte Gefahr dar. Hat nur ein/e Blutspendern die durch BSE-verseuchtes Fleisch ausgelöste CJD, so gefährdet sein/ihr Plasma an die 10.000 PatientInnen. In der Produktion kommt nämlich das Blutplasma von bis zu 400.000 SpenderInnen in einen Pool zusammen und verteilt sich auf die Endprodukte. 1994 forderte die US-Gesundheitsbehörde "Food and Drug Administration" (FDA) die Bayer-Tochter Miles sowie die Pharma-Unternehmen Baxter und Sandoz (nunmehr Novartis) zu einem Rückruf von Blutprodukten auf, da sie mit dem CJD-Erreger kontaminiert waren. 1997 mußte Bayer mit Prolastin erneut ein Plasmapräparat vom Markt nehmen. ÄrztInnen hatten bei einem Spender CJD diagnostiziert.

Aber trotz dieser beängstigenden Entwicklung läßt sich die Industrie nicht davon abhalten, Tiere in großem Maßstab zu Produktionsmitteln herabzuwürdigen. Im Gegenteil, mit der Gentechnik erreicht diese erbarmungslose "Vernutzung" eine neue Dimension. Bayer hat Schafen in Kooperation mit der schottischen Biotech-Firma PPL Therapeutics ein Fremdgen eingeschleust. Es produziert im Euter der Tiere ein Pharma-Protein, das anschließend aus der Milch extrahiert wird. Dieses "Doing drugs the milky way", wie Bayer die Umfunktionierung von Schafen zu Arzneifabriken auf vier Beinen beschönigend umschreibt, birgt ein großes BSE-Risiko. Denn nicht nur halten einige WissenschaftlerInnen die Schafskrankheit Scrapie für die Ursache von BSE, die Schafe können auch selbst an der Rinderseuche erkranken.

Die Pharma-Industrie hat das Auftreten der ersten BSE-Fälle völlig kalt gelassen. 1989 antworteten die Konzerne auf eine Frage nach der Gefahr einer Übertragung durch Pharma-Produkte unisono "kann nicht sein". Die acht Jahre später als Empfehlungen vorgelegten strengeren Richtlinien des Europäischen Veterinärausschusses kanzelten sie als "unmäßige und wissenschaftlich nicht haltbare" Einschränkungen ab. Dank offensiver Lobby-Arbeit fanden sie willfährigste Unterstützung im deutschen Bundesministerium für Gesundheit. Ein hoher Beamter des Ministeriums sah in der Richtlinie "eine einseitige Maßnahme zu Lasten von Arzneimitteln" und warnte vor gesundheitsbedrohlichen Versorgungsengpässen, falls auf Rinder-Materialien in Medikamenten verzichtet würde. Die staatliche Hilfsbereitschaft führte auch dazu, Bayer & Co. selbst mit der Kontrolle in Sachen Rinderseuche zu beauftragen. Natürlich haben die Pharma-Multis bei sich bis heute nichts Besorgnis erregendes gefunden. Nicht weniger überraschend ist es, daß sie keinerlei Anstrengungen unternehmen, Therapeutika gegen CJD zu entwickeln. Da "der Markt sehr klein sei"', also nicht genug Menschen daran erkranken, als daß daran etwas zu verdienen wäre, wollen sich die im von Bayer gegründeten "Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller" organisierten Unternehmen vorerst nicht mit dieser Krankheit befassen.

Pestizide als BSE-Förderer?

In der Massentierhaltung verwendete Veterinär-Produkte spielen bei der Entstehung bzw. Ausbreitung des Rinderwahnsinns möglicherweise eine größere Rolle als bislang angenommen. Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer hält Wachstumshormone für den Auslöser der BSE-Krankheit. Der Forscher Peter Eckert verdächtigt sie in seinem Buch ebenso wie die massenhaft hergestellten Antibiotika, zumindest an der Ausbreitung der Rinderseuche beteiligt zu sein. Diese Erklärungsversuche erlangen eine zunehmende Bedeutung, da es WissenschaftlerInnen in Fütterungsversuchen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gelungen ist, Tierkadavermehl als BSE-Ursache auszumachen. Der britische Biobauer Mark Purdey gab seinen Rindern ebenfalls Kadaver-Mehl zu fressen, hatte im Gegensatz zu den LandwirtInnen der Nachbarschaft aber lange keine BSE-Fälle zu beklagen. Zugleich war er der einzige Bauer, der sich trotz einer staatlichen Vorschrift weigerte, seine Kühe mit dem gegen die Dasselfliege wirkenden Insektizid Phosmet zu behandeln. Deshalb vermutete Purdey einen Zusammenhang zwischen der Pestizid-Ausbringung und der Entstehung der Tierseuche. Auf eigene Faust verglich er das Hirngewebe BSE-infizierter Rinder mit dem Hirngewebe Pestizid-Vergifteter Labortiere und stellte übereinstimmende krankhafte Veränderungen fest.

Ganz gleich, was die Forschung in den nächsten Jahre noch über die Seuche herausfinden wird, die Produktionsbedingungen unter dem Regime der industrialisierten Landwirtschaft stehen als strukturelle Ursache längst fest. Pharmakonzerne sind in doppelter Weise an den agroindustriellen Komplex angeschlossen: als Lieferant von Pestiziden, Antibiotika und anderen Veterinär-Produkten, sowie als Bezieher von Risiko-Materialien zur pharmazeutischen Weiterverarbeitung. Und Konzerne schicken sich sogar an, als Züchter von Schafen, die als gentechnisch manipulierte Pharma-Produzenten dienen sollen, ein ganz neues Kapitel in der Horror-Show "Das Land, das Tier und der Tod" aufzuschlagen.
 

aus TATblatt Nr. +166 vom 24. Mai 2001
 
 
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