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Das Finkelstein-Alibi

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Ein Blick in die Tagesprese offenbart, Norman G. Finkelsteins Anklage einer "Holocaust-Industrie" ist auf Platz sieben der Beststellerlisten für Sachbücher abgerutscht. Angeführt hatte sie das Buch zuvor lange genug. Ob es dabei als ein Qualitätsmerkmal gelten kann, dass es sich hierfür in erster Linie gegen Sachbücher aus der Leichter leben-Sparte durchzusetzen hatte, soll hier einmal hintangestellt bleiben. Tatsächlich aber ist die Plazierung des Buches in Verkaufslisten, stellvertretend für seine Rezeption hierzulande, von größerem Interesse als sein Inhalt selbst.

Dass das Erscheinen der deutschsprachigen Ausgabe des Buches des zuvor nicht als sonderlich bedeutend in Erscheinung getretenen US-amerikanischen Historikers Norman G. Finkelstein von soviel medialem Getöse begleitet wurde, hängt mit mehreren Faktoren zusammen. GarantInnen der öffentlichen Meinung in Deutschland und Österreich lagen die Aufregungen um die Wehrmachtsausstellung sowie das Attest eines eliminatorischen Antisemitismus der Deustchen durch Daniel. J. Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker noch im Magen, da bot sich der Goldhagenkritiker Finkelstein geradezu an, als unbelasteter Kronzeuge für eine Rehabilitation der Nazi-Erben ins Gefecht geführt zu werden. Als Kronzeuge wurde Finkelstein sodann gehandelt, erstens wegen seines jüdischen Glaubens und als Sohn von Holocaustopfern, und zweitens als amerikanischer Linker, der er einmal gewesen sein soll. Darüber hinaus aber erschien sein Buch just zu einem Zeitpunkt, als die Wogen der Diskussion um Entschädigung von Holocaustopfern und NS-ZwangsarbeiterInnen hoch schlugen. Finkelsteins Angriffe gegen eine als Ersatzreligion gehuldigte Holocaust-Industrie und quasi-mafiose Machenschaften in deren Strukturen kamen gerade recht, als die deutsche Industrie wiederholt, aber nun endlich mit praktischen Auswirkungen, mit ihrer Verantwortung für die unter Nazi-Herrschaft begangenen Verbrechen konfrontiert wurde. Freudig zum Anlass genommen wurden Finkelsteins Thesen aber auch, um eine neue Runde im geschichtsphilosophischen Diskurs über die Einzigartigkeit des Holocaust und den Stellenwert einer Erinnerungskultur in den NS-Nachfolgestaaten einzuläuten. Was der Schriftsteller Martin Walser mit seiner Literaturpreisrede vom Zaun gebrochen hatte, wird inzwischen ebenso davon genährt wie die jüngst entbrannte Diskussion um die Infragestellung des Erinnerns an den Holocaust durch den Philosophen Rudolf Burger in der österreichischen Presse.

Dabei blieb die ebenso begeisterte wie fragwürdige Aufnahme des Buches nicht etwa auf rechte und rechtskonservative Kreise beschränkt. In der Volksstimme 9/2001 versuchte sich Stefan Broniowski das Mäntelchen des Tabubrechers umzuhängen, indem er erläuterte, "was wirklich in Finkelsteins Buch steht", sich eines althergebrachten Anti-Amerikanismus bediente und selbst auf antisemitische Klischees zurückgriff.

Der Schlüssel zum Verständnis ob der Aufregung über ein nicht gerade sonderlich gut geschriebenes Buch muss also nicht in den Thesen des Autors zu suchen sein, sondern in der vermeintlichen Erfüllung lang gehegter Wünsche, dem Damoklesschwert der Holocausterinnerung etwas entgegen setzen zu können, oder aber auch einen Schlussstrich ziehen zu können unter die Vergangenheit. Zudem stehen die Profilierungschancen bestimmt nicht schlecht für den oder die, der/die sich das "heiße Eisen" Kritik der Holocaustopfer zu packen traut.

KritikerInnen Norman G. Finkelsteins auf der anderen Seite haben bald mit dem Vorwurf zu kämpfen, einer tradierten und festgeschriebenen Historiographie zu folgen, die unter dem Einfluss moralisch zu Unrecht angesehener Persönlichkeiten einer jüdischen Intelligenzia steht, und zu deren ureigensten Vorteil oder aber zur Rechtfertigung israelischer Politik fortgeschrieben wird. Viele Beiträge zur Entmystifizierung Finkelsteins haben sich dabei an der Widerlegung von Finkelsteins mehr oder weniger seriösen Thesen abgearbeitet. Ein im Papy Rossa Verlag erschienener Band zu "Holocaust-Industrie" und Tätergesellschaft hingegen hält sich damit nur kurz auf, befasst sich dafür aber umso eingehender mit den Entwicklungen, die zu Finkelsteins willkommener Aufnahme geführt haben, und beleuchtet die Bedeutung des Buches für die Rechfertigungspolitik deutscher Unternehmen angesichts ihnen drohender Entschädigungszahlungen.

Die sogenannte "Finkelstein-Debatte (...) ist letztlich kaum mehr als eine kleine, kurze Episode im Kontext der Entschädigungsdebatte und insbesondere im größeren Zusammenhang jener gesellschaftlichen Normalisierungs- und Enttabuisierungstendenzen, die auch dem Antisemitismus neue Weihen verleihen. Bedeutung hat sie als Teil eines politisch-kulturellen Erosionsprozesses, dessen Grenzen derzeit unabsehbar sind, umreißt Lars Rensmann in einem Beitrag, worauf AutorInnen des Bandes jeweils eingehen. In letzterem Sinne hervorzuheben wären insbesondere die Beiträge Rolf Surmanns und Lars Rensmanns. Rolf Surmann untersucht die Reaktionen auf Finkelsteins Pamphlet als Ausdruck eines zeitgeschichtlichen Paradigmenwechsels und zeichnet dazu durch den Bundeskanzler Adenauer geprägte Besonderheiten der deutschen Entwicklung nach 1945 nach, die in des neuen Kanzlers Schröder Worten vom "Schutz der deutschen Wirtschaft" im Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen gipfelten. Lars Rensmann befasst sich darüber hinaus mit Fragen von Entschädigungspolitik, Erinnerungsabwehr und Motiven des sekundären Antisemitismus. Die von Theodor W.Adorno entworfene Theorie eines sekundären Antisemitimus geht davon aus, dass der Antisemitismus nach und wegen Auschwitz eine neue Dimension gewonnen hätte. Juden repräsentieren hiernach im gesellschaftlichen Unbewußten nun selbst noch die Erinnerung an die verdrängte Tat, an die Geschichte des Holocaust. (...) Juden fungieren dergestalt als externalisierte Gewissensinstanzen, als quasi verkörperter Schuldvorwurf, der den nach Auschwitz zumindest an der politischen Oberfläche beschädigten kollektiven Narzißmus nationaler Größe nachhaltig beeinträchtigt, welcher potentiell auf Restauration lauert. Zu Grunde liegt solcher antijüdisch gewendeter Abwehr neben tradierten Stereotypen zumeist das schwelende Bedürfnis, nach einer restaurierten, positiven, ungebrochenen Identifikation mit der Nation der Täter, für deren vermeintlichen Niedergang schon früher Juden verantwortlich gemacht wurden. Oder, wie es ein Abgeordneter der CSU formulierte: "Über ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges muß es auch für Deutsche eine historische Gerechtigkeit geben."

Ganz ähnliche Klänge waren nach Abschluss der Entschädigungsverhandlungen auch in Österreich von VertreterInnen der FPÖVP-Regierung zu vernehmen, die sich zwar den Verdienst einer historischen Einigung einerseits an die Brust heftet, diesen aber auf der anderen Seite sogleich mit dem Gerede von Gutmachung für "alle" Opfer des Weltkrieges verbindet.

Allerdings bleibt die österreichische Situation im Band ausgespart. Zwar wird dem FP-Europaabgeordneten Peter Sichrowsky in Andreas Speits Beitrag Jargon der Tabubrecher. Norman G. Finkelsteins Rezeption in der Jungen Freiheit noch die Ehre erwiesen, darüber hinaus bleibt die Herstellung von Österreichbezügen aber den LeserInnen vorbehalten. Angesichts mannigfaltiger Parallelen gestaltet sich dies jedoch nicht zu schwierig. Durch die inhaltliche Streuung bietet der Band neben Detailkritik an Finklsteins Buch und einen Abriss des langen Weges zu Entschädigungszahlungen in Deutschland handhabbare Argumentationsgrundlagen zum geschichtsphilosophischen Diskurs und den Umgang mit der Vergangenheit, unabhängig von den Auf und Abs von Publikationen wie der Finkelsteins in den hiesigen Verkaufscharts.
 
 
Rolf Surmann (Hg.)
Das Finkelstein-Alibi
"Holocaust-Industrie" und Tätergesellschaft
Papy Rossa Verlag; 2001
172 Seiten; öS 196.-
 

aus TATblatt Nr. +169 vom 29. Juni 2001
 
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