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Noch Ende Oktober war für Klaus Schwab, seines Zeichens Präsident des World Economic Forum, die Welt noch in Ordnung: Das WEF, als Stätte der Begegnungen und der "globalen Solidarität", könne mit seinem "Geist von Davos (...) Wegweiser für die neue Weltordnung aufstellen", so Schwab in einer Rede vor einer Runde von Jubel-SchweizerInnen.

Gut zwei Wochen später schaut die Sache schon wieder ganz anders aus: von einem Treffen in Davos ist heute jedenfalls keine Rede mehr. Nach jahrelangen, zum Teil militanten, Demos gegen den WEF-Gipfel in Davos, die die Kosten für den Sicherheitsaufwand zur Gewährleistung des Treffens ins Horrende getrieben hatten, wurde das Jahrestreffen 2002 in der Schweiz nun zumindest kurzfristig für heuer gestrichen und wird stattdessen vom 31. Jänner bis zum 5. Februar in New York stattfinden. Das nächste Treffen auf europäischem Boden ist somit in Salzburg für Ende September 2002 angesetzt. Für New York, wie auch Salzburg haben jedoch schon zahlreiche GegnerInnen der Wirtschaftseliten Proteste angekündigt.

Vielleicht war WEF-Gründer Schwab aber auch nur ein Abendessen Anfang des Monats auf den Magen geschlagen. Ca. 100-150 Menschen hatten sich am 5. November vor dem schweizerischen Hotel Bellevue-Palace vorgefunden, um das Propaganda-Nachtessen von Herrn Schwab mit ParlamentarierInnen zu stören. Vor dem Eingang des Luxus Hotels wurden die AktivistInnen von einer handvoll PolizistInnen erwartet. Mitgebrachte Transparente riefen dabei u.a. zur "Auflösung von Klaus Schwab" auf.

In den letzten Tagen ging auch in russischen Zeitungen erstmals das Schreckensgespenst "GlobalisierungsgegnerIn" um. Anlass für den befürchteten Ansturm unzähliger "randalierender Polithooligans" sollte ein weiteres Treffens des World Economic Forum, diesmal eben in Moskau, sein. Aber schließlich sollte alles ganz anders kommen als von den Medien halluziniert. Während sich die Spitzen der Regierung mit russischen und ausländischen Wirtschaftsbossen im schwerbewachten Moskauer Grand Marriott Hotel trafen, nutzten hunderte von Skins im Süden der Stadt die Gelegenheit sich einmal mehr auszutoben.

Die rund 300 Angreifer hatten bei Nacht, mit Tarnanzügen bekleidet, drei verschiedene Märkte gestürmt, heißt es laut AugenzeugInnenberichten. Ihre Gewalt richtete sich dabei vor allem gegen HändlerInnen aus dem Kaukasus. Die Polizei konnte schließlich 20 Mitglieder der rechtsextremen Organisation "Russische Nationale Einheit" festnehmen. Nach Angaben der Polizei starben bei dem Naziüberfall jedoch zwei Menschen, mindestens weitere 15 wurden verletzt.

Überfälle von Skinheads auf Moskauer Märkte sind keine Seltenheit. In diesem Jahr wurden bereits mehrmals Orte in der Nähe von U-Bahn-Stationen angegriffen. Die meisten VerkäuferInnen dort stammen aus dem Kaukasus. Den rechtsradikalen Hintergrund der Gewalttaten hatte die Polizei bisher in der Regel jedoch verschwiegen.

Zwei Jahre nach dem herben Rückschlag in Seattle hielt die Welthandelsorganisation (WTO) ihr nächstes großes Treffen vom 9. bis 13. November in Qatar ab. In Seattle hatten Blockaden und Protestaktionen von zehntausenden Menschen sowie der Widerstand der Regierungen vieler südlicher Staaten gegen die Pläne des Nordens einen ergebnislosen Abbruch der Konferenz bewirkt. Obwohl sie sich mit der Wahl einer abgelegenen feudalen Diktatur am Persischen Golf einen Konferenzort ausgesucht hat, der Proteste und Blockaden im herkömmlichen Stil unmöglich machen sollte, haben überall auf der Welt Menschen gegen die WTO und das System, für das sie steht, protestiert.

Doch nicht nur die Proteste und die steigende mediale Fokusierung auf die Kehrseiten neoliberaler Wirtschaftspolitik bereiten den WelthändlerInnen immer größere Sorgen. Da es bei der letzten großen Runde in Seattle sowieso keine nennenswerten Ergebnisse gab, war die Tagesordnung auf Grund mangelnder Entscheidungsfreude bzw. konträren Interessen dieses Mal umso dichter gedrängt. Im Mittelpunkt der Diskussion standen zum Beispiel das GATS, ein Abkommen über Handel mit Dienstleistungen. Ziel dieses Abkommens ist die Privatisierung der Bereiche Gesundheit, Bildung und Wasserversorgung. Weiters sollte das berüchtigte Investitionsschutzabkommen MAI (siehe dazu auch TATblätter +92, 94 + 97) wiederbelebt werden.

Die globalen Proteste gegen Kapitalismus fanden zum Teil in Verbindung mit Anti-Kriegsprotesten statt und nahmen schon Anfang November mit einer Demonstration in London ihren Auftakt. Am Dienstag dem 6.11. befanden sich 50.000 Menschen in Neu Dehli auf der Straße. Am 8.11. begannen die Aktionstage gegen Kapitalismus in Frankfurt mit mehreren tausend TeilnehmerInnen. Freitag und Samstag folgten dann unzählige Demonstrationen in zahlreichen Ländern der Welt mit hunderttausenden TeilnehmerInnen statt (näheres dazu bei >>>http://austria.indymedia.org).

Ihren traurigen Höhepunkt erreichten die Proteste jedoch schon am 7. November. In Bogota, Kolumbien, erschoss die Polizei in Bogota den Studenten Carlos G. Blanco während einer Demonstration. Carlos ist somit mindestens der sechste Tote im Zuge antikapitalistischer Proteste in diesem Jahr. (näheres dazu siehe TATblatt +175)

aus TATblatt Nr. +177 vom 15. November 2001

 
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