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Staudamm Ilisu gescheitert

Der Großstaudamm Ilisu im türkischen Teil Kurdistans ist Dank einer internationalen Kampagne in zahlreichen Ländern gescheitert. Menschenrechts- und Umweltgruppen, hauptsächlich in Großbritannien, gelang es einen nach dem anderen Teilnehmer an dem zukünftigen Projekt zum Rückzug zu zwingen. Mit dem endgültigen Abwinken des größten Unternehmens, Balfour Beatty, dürfte trotz markiger Sprüche des türkischen Außenministeriums das endgültige Aus gekommen sein. Nur die VA Tech (Vöest Alpine), die zuletzt als einziges nichttürkisches Unternehmen übriggeblieben war, hält nach wie vor am Bau fest. Am 23. Nov. erklärte das Management des schwer defizitären Unternehmens, daß Ilisu "in der Pipeline" stecken würde.

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Am 14. November verabschiedete sich Balfour Beatty, mit einem Investitionsvolumen von 1,25 Mrd. Pfund, also etwa 27 Mrd. öS, größtes beteiligtes Unternehmen von dem Megaprojekt. Zugleich mit Balfour Beatty zog sich auch Impreglio aus Italien zurück. Das war der vorläufige Schlußpunkt einer internationalen Gegenkampagne, die zuvor auch schon Skanska aus Schweden und alle weiteren nicht-türkischen Unternehmen und Finanziers mit Ausnahme der zur VA Tech gehörenden Firma Sulzer Hydro und Alsthom aus Frankreich zum Rückzug gezwungen hatte. Umweltverträglichkeitsprüfungen der Weltbank und der an der Finanzierung beteiligten staatlichen ExportrisikoversichererInnen, ohne die kein kommerzieller Kredit zu haben ist, hatten auf die katastrophalen Folgen des geplanten Ilisu-Dammes hingewiesen.

Den Ausschlag für Balfour Beatty ergab vermutlich die Aussicht, daß die für Exportgarantien zuständige Ministerin in Großbritannien gegen das Projekt entscheiden würde, obwohl Premierminister Blair die Propagandatrommel dafür rührte, und sich auch im britischen Unterhaus Unmut breitmachte. Zudem wird das Ilisu-Projekt von Syrien vehement abgelehnt. Die Arabische Liga verfaßte einen offiziellen Protest. Diese steht auf dem Standpunkt, daß es sich bei dem Damm um einen potentiellen Kriegsgrund im Nahen Osten handelt, weil die Türkei mit dem Damm Syrien und dem Irak den Wasserhahn abdrehen kann. Im Zuge der Duldung der britischen Beteiligung im Afghanistan-Krieg durch alle arabischen Länder mit Ausnahme des Irak kam Großbritannien zusätzlich unter Druck keine Exportgarantien zu vergeben.

Ilisu wäre der erste Damm am Tigris, nachdem bereits der Euphrat mit konseqenter Federführung österreichischer Unternehmen, Banken und Exportfinanzierung mit Stauketten verbaut wurde. Konservative Schätzungen gehen davon aus, daß durch Ilisu 70.000 KurdInnen vertrieben würden. Wie auch die Euphrat-Staudämme (Keban, Atatürk, Birecik u.a.) befindet sich Ilisu mitten in einem Kriegsgebiet der türkischen Armee gegen die KurdInnen, ist Schauplatz ethnischer Säuberungen und hätte gravierende ökologische Katastrophen zur Folge, etwa die hohe Verdunstung von Wasser und die damit verbundenen Versalzung von Bewässerungsflächen. Die Überflutung historischer Stätten aus dem Altertum, die Verdrängung ansässiger BäuerInnen durch Großgrundbesitzer und die soziale Zerrüttung der Dörfer durch Absiedlungsdruck, einquartierte Kolonnen von Bauarbeitern und zusätzliches Militär wären weitere Folgen.

Die Gegenkampagne ist seit Jahren von einer internationalen Koalition von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsgruppen getragen. Eine der wichtigsten Gruppen ist Friends of the Earth UK, die das Geld für die Kampagne mit Gewinnen der Aktien von Balfour Beatty finanziert. Als bei Verkündung der Auftragsvergabe an Balfour Beatty die Kurse stiegen kaufte sich FoE einige um sie dann mit erheblichen Kursgewinnen zu verkaufen. Außerdem beteiligten sich u.a. auch das International Rivers Network (USA), medico international (D), Kurdish Human Rights Project (UK) und die Erklärung von Bern (CH) an der Kampagne.

Zu den Gründen über den britischen Rückzieher ist offiziell selbstverständlich nichts zu erfahren. Der Fernsehsender Channel 4 zitierte einen anonym bleibenden türkische Verhandler, daß Balfour Beatty "über den Aufschrei in Großbritannien angefressen gewesen sei" und ebenso besorgt über die ökonomischen Aussichten in der Türkei, die eine Rückzahlung der Kredite unwahrscheinlich erscheinen lassen. Das Export Credits Guarantee Committee (das britische Pendant zum österreichischen Exportfinanzierungskomitee, das über Exportkredite der Kontrollbank entscheidet), stellte schon am Tag vor der Verlautbarung des Rückzugs von Balfour Beatty gegenüber BBC fest, daß die Beteiligung am Projekt vorüber sei.

Als letzte Bastion des türkischen Machtstrebens bleibt die VA Tech, würdige Vertreterin der kleinen faschistischen Alpenfestung, übrig. Mit dem Kauf des Schweizer Unternehmens Sulzer Hydro übernahm die VA Tech 1998 auch den Auftrag für Ilisu. An diesem Auftrag hängt eine bereits eingeräumte Exportfinanzierung der Schweiz und eine Kreditbeteiligung der Union Bank of Switzerland (UBS, eine gemischt Schweizerische-US-Großbank). Die österreichische Kontrollbank fällte bisher keine Entscheidung über einen Exportkredit.

Die VA Tech, die auch wegen anderer Unternehmensteile in einer schweren Krise steckt und deren Aktien in einem steten Sinkflug abstürzen, gebärdet sich entsprechend rabiat, aber auch konfus. Zum einen behauptet Vorstandsmitglied Georg Antesberger in einer Aussendung vom 21. Nov., daß "die soziale, kulturelle und ökologische Akzeptanz immer eine Hauptfaktor bei den Projekten" gewesen wäre, was im Lichte der Geschichte der VA Tech-Projekte (Vöest, Elin) nur als Lüge bezeichnet werden kann, zum anderen droht Vorstandsvorsitzender Erich Becker, der sich wegen einiger Mißerfolge mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sieht, mit einer ganz anderen Vorgangsweise: "Dass wir jetzt alles hinschmeißen und davonrennen, halte ich für unklug. Ich kann mit auch Lieferanten aus anderen Kontinenten vorstellen, die sich um internationale Standards nichts scheren".

Das ist allerdings keine Drohung, sondern normale Firmenpolitik der VA Tech, und die anderen PartnerInnen, die sich nichts scheren, sind die ganz normalen GeschäftspartnerInnen etwa aus China oder eben der Türkei, mit denen die VA Tech ein Projekt nach dem andern durchzieht.

Allerdings ist diese Politik des definierten "Wir scheren uns um nichts" in Gefahr, denn außer der VA Tech ist im konkreten Fall außer der gering beteiligten Firma Alsthom aus Frankreich kein europäisches oder nordamerikanisches Unternehmen mehr übriggeblieben, denn in allen anderen Ländern ist durch eine Mischung aus Besorgnis wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei und öffentlichem Druck gegen die Unterstützung von Völkermord und Ökozid die Begeisterung auf den Nullpunkt erodiert. Wie isoliert die klägliche Koalition aus türkischer Militärdiktatur und österreichischer Kollaboration bereits geworden ist, zeigt das Auftreten des türkischen Energiestaatssekretärs Yurdakul Yigitgüden nach der britischen Entscheidung. Den großspurigen Sprüchen, daß die Türkei nun den Damm auch alleine bauen werde, schenkte in der gesamten internationalen Presse nur die Bank-Austria-Firmenzeitung "Der Standard", immer im Dienste der BA-Firmengruppe und der BA-Exportkredite für die VA Tech, überhaupt eine Zeile. Internationale Finanzexperten überlegten zwar kurz, ob die VA Tech alleine so ein Projekt durchführen könnte, waren aber pessimistisch und vergaßen die Sache unmittelbar darauf.

aus TATblatt Nr. +178 vom 29. November 2001

 
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