Rassismus tötet
Kurze Zusammenfassung der Urteilsbegründung im Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten
Das Urteil eines Schöffensenates am Landesgericht Korneuburg unter Vorsitz von Richter Fiala lautet (noch nicht rechtskräftig): Schuldig nach Paragraf 81 StGB der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen, Strafmaß: 8 Monate bedingt auf drei Jahre plus Ersatz der Kosten aus dem Verfahren.
no-racism.net; TATblatt
Der Tathergang
Als erwiesen sieht das Gericht an, dass Marcus Omofuma am 1. Mai 1999 von drei Fremdenpolizisten folgende Behandlung erfuhr: Verklebung des Mundes, vertikale Fixierung des Unterkiefers, Fixierung des Kopfes an die Kopfstütze, Verklebung der Brust vom Ellbogen bis zur Schulter an die Rückenlehne, kurzzeitiges Anbinden mit Klettband im Brustbereich und weitere 2 oder 3 Schläge mit Paketklebeband wenn er stöhnte, wodurch ihm jede Möglichkeit, sich zu bewegen oder zu artikulieren, genommen wurde. Marcus Omofuma ist gesessen und hatte die Hände zwischen den Schenkeln. Darüber wurde der Beckengurt fest angezogen, was den Druck verstärkte, was auch die Zwerchfellatmung, die oft als Reserve bei Atemproblemen hilft, verunmöglichte. Die "Fixierung" wurde so fest angebracht, dass die Lunge einer Kompression unterlag.
Aufgrund dessen - hier folgt das Gericht dem Gutachten Professor Brinkmanns (siehe >>>www.8ung.at/gutachten) erfolgte ein langsamer Erstickungstod über mindestens eine halbe bis zu einer Stunde.
Damit wurde auch festgestellt, dass maßgeblich für den Tatvorgang nicht ein eventueller Herzfehler sei, sondern der durch Erstickung eingetretene Hirntod!
Die Begründung
Mit der Verklebung und "Fixierung" Marcus Omofumas wurden die "besonders gefährlichen Verhältnisse" im Urteil begründet. Die Schuld ergebe sich daraus, dass "wenn ich jemanden so herrichte und für diese Person verantwortlich bin", damit zu rechnen sei, dass was passiert und eine erhöhte Verpflichtung bestehe, dafür zu sorgen, dass kein Schaden eintrete. Die Beamten hätten zumindest Sorge tragen müssen, mit ihrem Gefangenen zu kommunizieren. Jedenfalls starteten sie zu keinem Zeitpunkt den Versuch, die "Verklebungen" abzunehmen.
Den objektiven Tatbestand der Quälung eines Gefangenen sah das Gericht zwar als gegeben, nicht jedoch den subjektiven, also den Vorsatz seitens der Beamten. Einen solchen Vorsatz habe laut Richter der Staatsanwalt in seinem Plädoyer (das auf Dolus Eventualis, also auf billigendes Inkaufnehmen des Todes, abstellte) nicht argumentiert. Weiters habe sich auch ein Vorsatz nicht im Verfahren nachweisen lassen, da die Aussage einer Zeugin, einer der Beamten habe beim Verkleben gelacht, hierfür nicht ausreiche.
Die Praxis des Verklebens sei von den Polizisten nicht zum ersten mal angewendet worden, sondern gängige Praxis gewesen. Auch das belege, dass kein Vorsatz zum Quälen bestanden habe, sondern diese Praxis für die Beamten zu ihrem Job gehört habe und "nicht um zu quälen, sondern damit er still ist und nicht beißt", eingesetzt worden sei.
Weiters stehe die Möglichkeit einer Panik, wenn Omofuma geschrieen hätte, in keinem Verhältnis zum zu befürchtenden Schaden. Außerdem führten Schreie in einer so lauten Maschine sicher nicht zu einer Panik. Richtig wäre es gewesen, die Abschiebung bei weiterem Widerstand in der Maschine vor dem Abflug abzubrechen. Es sei vorhersehbar gewesen, dass etwas passieren könnte, und diese Vorhersicht den Beamten zumutbar. Dass bisher bei ähnlichen Praktiken nichts passiert sei, exkulpiere die Beamten in keiner Weise, sondern sei auf Glück bzw. auf weniger exzessives Fesseln zurückzuführen.
Zum Strafrahmen
Der Strafrahmen für Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge beträgt 10 Jahre, für fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen 3 Jahre. Nach Ansicht des Gerichts wurde der Tod durch "Fahrlässigkeit" herbeigeführt. Das Urteil kann mit 8 Monaten auf Bewährung als mild angesehen werden.
Begründet wird dies damit, dass keine erschwerenden Umstände für das Gericht erkennbar waren; der langen Dauer des Zustandes sei durch die gefährlichen Umstände Rechnung getragen.
Mildernde Umstände seien der Lebenswandel der Angeklagten, die bisherige Unbescholtenheit, der Beitrag zur Wahrheitsfindung, die lange Verfahrensdauer, der Umstand, dass die Angeklagten nicht alleinschuldig seien sondern auch "Leute, die dahinterstehen" und eine gewisse Mitschuld Marcus Omofumas.
Kein System auf der Anklagebank ...
Immer wieder wurde betont, dass nicht die Alleinschuldigen auf der Anklagebank säßen, und die direkten Vorgesetzten "und weiter rauf die Etagen" eine Mitverantwortung trügen: "Das System kann nie schuldig sein, sondern immer nur die Leute, die dahinter stehen." Dieser Aussage des Richters kann allerdings keineswegs als Kritik an der gängigen Abschiebepraxis verstanden werden. Denn interessanterweise erwähnte der Richter nur jene Leute kritisch, die Kritik an der Abschiebepraxis geübt hatten (wenngleich sie Abschiebungen nicht per se in Frage stellen). Den ehemaligen Leiter der Fremdenpolizei beispielsweise, der vor Gericht angab, dass er in Dienstbesprechungen auf die Problematik des "Verklebens" hingewiesen hat und auch eine Stellungnahme dazu an seine Vorgesetzten weiterleitete. Er sei nicht voll hinter seinen Leuten gestanden. Wenn er Bedenken gehabt hätte, hätte er was machen müssen.
Ebenfalls vom Richter kritisiert wurde die Grüne Abgeordnete Theresia Stoisits, die bereits 1993 in einer parlamentarischen Anfrage auf die Problematik des Verklebens hinwies, damals jedoch nach eigenen Angaben nicht davon ausging, dass es sich um eine gängige Praxis handelte. Trotz parlamentarischer Anfrage hätte sie sich nicht wirklich darum gekümmert - und dies, obwohl sie sich für Menschenrechte einsetze.
Schließlich trage auch Marcus Omofuma eine Mitschuld durch den Widerstand gegen die Staatsgewalt, den er sich zuschulden habe kommen lassen.
... und kein Fehler im System
Das System selbst könne jedenfalls nicht für schuldig erklärt werden. Diese Aussage und die Feststellung in der Urteilsbegründung, die auch schon im Plädoyer des Staatsanwaltes vorkam, dass die Amtshandlung bis zum Erreichen des Sitzes, auf dem Marcus Omofuma "fixiert" wurde, als rechtens erklärt wurde, zeigen deutlich, dass eine tatsächliche Änderung der Abschiebepraxis vom Gericht nicht in Erwägung gezogen wurde. Nicht vergessen werden darf: Knebeln und Fesseln von abzuschiebende Personen an Händen und Füssen, wird ebenso toleriert, wie der Umstand, dass Leute gegen ihren Willen in ein Flugzeug getragen werden.
Einziger Streitpunkt zwischen Justiz und Exekutive dürfte die Zuständigkeit bei sogenannten Problemabschiebungen sein. So erwähnte der Richter im Laufe des Verfahrens mehrmals, dass ein Abbrechen der Abschiebung der einfachste Weg gewesen sei. Marcus Omofuma wäre dann zu ihm gekommen, und er hätte ihn wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verurteilt. Die Abschiebung wäre dann eben zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.
Weitere Informationen:
www.no-racism.net/racismkills
aus TATblatt Nr. +186 vom 2. Mai 2002