tatblatt.net __

 

     
     
   

Buch:

Lothar Lienicke, Franz Bludau:
Todesautomatik.

     
   

TATblatt.

     

Lothar Lienicke, Franz Bludau.
Todesautomatik.
Die Staatssicherheit und der Tod des Michael Gartenschläger.

349 Seiten.
Fischer Taschenbuchverlag.
Ca. 11 Euro
.

 

Sabotage mit Todesfolge

Beim dritten Sabotageakt an der "Staatsgrenze West" der DDR wurde Michael Gartenschläger 1976 von einem Stasi-Kommando erschossen. Damit setzte die Staatsmacht einem Querulanten ein Ende, der mehr als genug Schwierigkeiten bereitet hatte.

Kurz nach dem Mauerbau hatte Gartenschläger mit mehreren Freunden Parolen gemalt und einen Heustadel angezündet. Der Staat schlug unerbittlich zu und verurteilte Gartenschläger und einen Mittäter, beide 17 Jahre alt, zu lebenslänglicher Haft. Nach zehn Jahren Gefängnis kaufte ihn die BRD frei.
Gartenschläger schloss allerdings nie Frieden mit der DDR und verlegte sich schon bald auf Fluchthilfe, indem er Leute aus der DDR in die BRD und einen Rumänen nach Jugoslawien schmuggelte. Als die DDR selbstzündende Sprengkörper an den Grenzzäunen montierte, entschloss er sich zu Sabotage der Grenzanlagen. In einer nächtlichen Aktion gelang es ihm einen Selbstschussapparat vom Grenzzaun auf DDR-Gebiet abzumontieren. Doch die Reaktion der offiziellen Politik in der BRD war wenig begeistert, da gerade Entspannung angesagt war. Gartenschläger erlebte stattdessen eine Hausdurchsuchung wegen "illegalen Waffenbesitzes" und Sachbeschädigung. Nur kurze Zeit später demontierte er einen zweiten Sprengkörper. Während das im Westen wieder kaum Reaktionen hervorrief, obwohl bereits mehrere Leute bei Fluchtversuchen an der Grenze durch solche Anlagen zerfetzt worden waren, herrschte in der DDR Alarmstimmung. Bis hinauf zu Honecker und Stasi-Chef Mielke wurde über die weitere Vorgangsweise beraten. Durch Stasi-Informanten in Gartenschlägers Bekanntenkreis war bekannt, dass Gartenschläger weitere Versuche unternehmen würde. Deshalb wurde ein Hinterhalt gelegt, in den Gartenschläger tappte und erschossen wurde.
Die bundesdeutschen Medien weinten Gartenschläger keine Träne nach und kennzeichneten ihn als Verrückten, der seinen Tod selbst verschuldet habe. PolitikerInnen reagierten praktisch nicht, und die Stasi beseitigte Gartenschlägers Leiche in der DDR.
Nach dem Ende der DDR gab es Versuche, die Vergangenheit juristisch aufzuarbeiten. Prozesse gegen Angehörige des Tötungskommandos verliefen jedoch im Sand. Die ehemaligen Stasi-Leute hatten sich mittlerweile in die deutsche Rechtsordnung perfekt integriert.

Das Buch schildert sehr persönlich, wie aus einem 17-jährigen Fan von Ted Harold und Elvis Presley ein lebenslänglicher Widerstandskämpfer wurde. Zum persönlichen Stil trägt sehr der Mitautor Lienicke bei, der mit Gartenschläger an der Grenze war. Da er selbst an den Sabotageakten als Helfer teilnahm, sind die Aktionen beklemmend realistisch geschildert.
Zum anderen reihe ich es in die Liste von Widerstandsberichten ein, wie es sie sonst über den jüdischen Untergrund im Dritten Reich oder den irischen Widerstand gibt. Gartenschläger bezahlte seine vergleichsweise harmlosen Aktionen mit dem Leben. Der größte Fehler war, dem Gegner die Gelegenheit zu geben einen Hinterhalt zu legen. Damit wurde ein fataler Mangel an Strategie wieder einmal deutlich. Sabotage, die vorhersehbar ist, ist zum Scheitern verurteilt. Die Unverhältnismäßigkeit des strafenden Staates sprengte jeden Rahmen, aber seit wann wägen Regierende die Mittel ab, wenn sie zuschlagen wollen.

     

aus TATblatt Nr. +199 Mai 2003.

>>TATblatt-Homepage  

©TATblatt, 2003
Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!

In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum).