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Entschädigung für NS-Verfolgte:
Der Schlussstrich naht?

     
   

TATblatt.

     
Am 28. Mai endet die offizielle Antragsfrist für eine allgemeine Entschädigung seitens der Republik Österreich. Doch schon jetzt ist absehbar, dass viele NS-Opfer und vor allem deren Nachkommen leer ausgehen werden.  

Von den anfangs erwarteten 50.000 bis 200.000 Anträgen werden bis zum Ende Mai bloß um die 15.000 bei der Republik eingelangt sein. Eine skandalöse Fristsetzung, die fehlende Bekanntmachung im In- wie im Ausland und ein kompliziertes Antragsverfahren haben ihren Beitrag geleistet, möglichst effektiv die Entschädigung von NS-Opfern zu verunmöglichen.


Blick zurück.

Am 31. Januar 2001 beschloss der Nationalrat des österreichischen Parlaments einstimmig und im Einklang mit den an den Verhandlungen beteiligten Opfergruppen - lediglich unter Protest der Israelitischen Kultusgemeinde - das Gesetz über den Allgemeinen Entschädigungsfonds, um eine umfassende Bereinigung der offenen Fragen in Zusammenhang mit Entschädigung und Rückgabe für die Opfer des Nationalsozialismus in die Wege zu leiten.

Dem Gesetz vorausgegangen war ein Ende der neunziger Jahre immer stärker werdender medialer Druck. Einerseits unter dem Eindruck spektakulärer Sammelklagen gegen die Republik oder wichtige österreichische Betriebe, andererseits in Anlehnung zu den in anderen europäischen Ländern (vor allem in Deutschland und der Schweiz) parallel verhandelten Entschädigungsmaßnahmen und nicht zu letzt unter Bezugnahme auf die immer detaillierter werdende wissenschaftliche Forschung mit recht eindeutigen Ergebnissen, die es für jede Regierung verunmöglichte das Thema weiter zu ignorieren.

Gerade der neu angelobten blau-schwarzen Regierung kam das Thema Entschädigung aber auch sehr willkommen, um sich vor allem gegenüber dem FPÖ-kritischen Ausland zu profilieren und ihren KritikerInnen auf diese Weise den Wind aus dem Segel zu nehmen.


Das Gesetz.

Das erwähnte Entschädigungsfonds-Gesetz trat am 28. Mai 2001 in Kraft. Zweck des Fonds sollte sein, eine diffuse, nicht näher definierte moralische Verantwortung für Verluste und Schäden anzuerkennen, die jüdischen BürgerInnen und anderen Opfern des Nationalsozialismus zugefügt worden waren, und diese moralische Verantwortung durch eine freiwillige Leistung zu dokumentieren.
Personen, die vom nationalsozialistischen Regime verfolgt wurden, und die Verluste oder Schäden (z.B. Verlust von Betrieben, Konzessionen, Vermögen, Immobilien, Bankkonten, Versicherungspolizzen, berufs- und ausbildungsbezogene Verluste) als Ergebnis der oder in Zusammenhang mit Ereignissen erlitten haben, die sich auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich zugetragen haben, sind berechtigt Anträge an den Allgemeinen Entschädigungsfonds zu richten. Ebenso sind antragsberechtigt ErbInnen dieser Personen, sowie Vereinigungen, bzw. deren RechtsnachfolgerInnen.

Gerade in der Formulierung des Gesetzestextes wird im Kern jedoch wieder die grundsätzliche Haltung der 2. Republik gegenüber dem Nationalsozialismus deutlich, die gut in das ideologische Gerüst von ÖVP und FPÖ passt. Dadurch, dass es sich bei der Entschädigung lediglich um eine freiwillige Leistung handelt, besteht auf diese auch explizit keinerlei Rechtsanspruch. Durch diese Lösung kann auch weiterhin ganzen Opfergruppen (Homosexuelle, Wehrmachtsdeserteure) ihre Entschädigung gänzlich oder zumindest weitgehend vorenthalten werden. Durch einen fehlenden Rechtsanspruch ist andererseits auch gewährleistet, dass sich das offizielle Österreich auch juristisch weiterhin als "erstes Opfer" der NS-Politik sehen darf.


Die Abwicklung der Entschädigungszahlungen.

Abgesehen von der ideologischen Färbung des Gesetzestextes, gibt es auch wichtige Klauseln und Bestimmungen im Gesetz, die die Auszahlung der Entschädigung wesentlich beeinflussen.

So soll der Entschädigungsfonds überhaupt erst mit 210 Millionen US$ dotiert werden, wenn alle in den USA noch anhängigen Gerichtsverfahren in Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus oder dem 2. Weltkrieg gegen die Republik Österreich und österreichische Unternehmen beendet sind. Es ist zur Zeit jedoch alles andere als absehbar, wann die verbleibenden 2 Sammelklagen, eine der beiden wurde maßgeblich von der Israelitische Kultusgemeinde initiiert, in den USA eingestellt werden. Auch von einem juristischen Standpunkt ist es nicht nachvollziehbar Entschädigungszahlungen mit Klagen von Privatpersonen zu koppeln, sollte es doch im Gegenteil das Recht jeder/s StaatsbürgerIn in einem Rechtsstaat sein, ihr/sein Recht mittels eines Gerichtsbeschlusses durchzusetzen.

Eine weitere Bestimmung im Gesetz sieht die Trennung aller Anträge im Rahmen eines Billigkeits- und eines Forderungsverfahrens vor. Während im Forderungsverfahren von der/dem AntragstellerIn zu beweisen ist, dass die die Vermögenswert betreffenden Forderung niemals zuvor durch österreichische Gerichte oder Behörden endgültig entschieden oder eine derartige Entscheidung oder einvernehmliche Regelung eine extreme Ungerechtigkeit darstellte oder die den Vermögenswert betreffende Forderung aus Mangel an erforderlichen Beweisen abgelehnt wurden, steht das Billigkeitsverfahren all jenen offen, die eben dies nicht beweisen können, was nach rund 60 Jahren wohl nicht verwundern wird.

Nach Ende der Antragsfrist sollen die Anträge im Rahmen der beiden Verfahrenstypen individuell geprüft werden. Danach wird der im Fonds enthaltene Betrag nach einem fixierten Schlüssel auf Billigkeits- und Forderungsverfahren aufgeteilt. Der für das Billigkeitsverfahren vorgesehenen Betrag wird nun durch die hier eingelangten Beträge dividiert und eine fixer Betrag pro beanspruchter Kategorie ausgezahlt. Im Forderungsverfahren wird jeder Antrag individuell bewertet und je nach Schadenssumme ein prozentueller Betrag aus dem Topf zuerkannt.

Bis heute können jedoch nicht einmal die MitarbeiterInnen des Entschädigungsfonds abschätzen, ob es auf Grund des Antragsverfahrens sinnvoller ist im Forderungs- oder Billigkeitsverfahren Anspruch zu erheben.


Österreichische Behörden.

Bei diesem extrem komplizierten Antragsverfahren ist es nicht verwunderlich, dass gerade die betagten Anspruchsberechtigten kaum mit ihren Ansprüchen zurecht kommen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Dokumente die einen individuellen Anspruch dokumentieren könnten, - wenn überhaupt - meist nur in österreichischen Archiven vorhanden sind, ist es auch für die oftmals im Ausland wohnenden Nachkommen kaum möglich die Geschichte ihrer ermordeten Verwandten zu recherchieren. Andererseits dauert es - einerseits auf Grund der bevorzugten Behandlung der Mitglieder der Historikerkommission, andererseits auf Grund der schlechten personellen Situation in den meisten Archiven - oftmals Monate, um ein Dokument aus einem Archiv in Österreich ausheben und kopieren zu lassen.

Schon jetzt ist absehbar, dass für die meisten der Betroffenen angeforderte Dokumente wenn überhaupt, zu spät kommen werden. Andererseits ist es für die meisten der Betroffenen aus Unkenntnis, sprachlichen Schwierigkeiten oder des fortgeschritten Alters, unmöglich benötigte Dokumente einzubringen.

Auch eine gesetzlich geregelte Einreichfrist von 2 Jahren ist durch den Stichtag 28. Mai 2003 keinesfalls gewährleistet. Zwar trat das Entschädigungsfondsgesetz Ende Mai vor 2 Jahren in Kraft, doch dauerte es damals aus administrativen Gründen seitens des Fonds noch immerhin ein halbes Jahr, bis Anspruchsberechtigte beim Fonds einreichen konnten, geschweige denn die ersten ein entsprechendes Antragsformular in der Hand halten konnten. Eine Verlängerung der Frist wäre allein aus diesem Grund angebracht.

Verabsäumte Verständigung von Betroffenen
Der graviernste Mangel des Entschädigungsfonds ist jedoch die verabsäumte Bekanntmachung dieser Entschädigungsmöglichkeit unter den Anspruchsberechtigten, die sich in die Politik der 2. Republik bruchlos einfügt.

Laut einer Schätzung der Leiterin des Entschädigungsfonds, Hannah Lessing, nach in Kraft treten des Gesetzes, wurde seitens des Fonds mit 50.000 Anträgen gerechnet. Andere MitarbeiterInnen des Fonds, sowie MitarbeiterInnen der Israelitischen Kultusgemeinde schätzten die potentiell einlaufenden Anträge auf bis zu 150.000.

Bis zum Ende der Frist werden gerade einmal zwischen 10.000 und 20.000 Anträge eingetroffen sein. Die meisten davon stammen von noch lebenden NS-Opfern. Ebenfalls anspruchsberechtigte Nachkommen und ErbInnen haben sich jedoch kaum beim Fonds gemeldet.

Auf Grund der extrem schlechten Öffentlichkeitsarbeit dürften die meisten der rund 200.000 ehemals in Österreich lebenden Juden und Jüdinnen drei Wochen vor Ablauf der Frist noch nicht einmal etwas von dem Fonds gehört haben. Um die anderen Opfergruppen dürfte es nicht viel besser stehen.


Resümee.

Ob Forderungs- oder Billigkeitsverfahren, Geld fließt am Schluss jedoch wenn überhaupt immer nur an Personen, die eine Verzichtserklärung für jegliche weitere Ansprüche gegenüber der Republik und österreichischen Betrieben unterschreiben. Ohne Übertreibung kann daher heute schon festgestellt werden, dass der Fonds in erster Linie eben dazu dient möglichst billig zu dieser für die Republik so wichtigen Unterschrift zu gelangen.

Doch genau damit sind die nächsten Sammelklagen schon vorprogrammiert. Einen Schlussstrich im Sinne der Republik, sowie der österreichischen Wirtschaft wird es damit wohl nicht geben.

Auf der Strecke bleiben nur die wenigen verblieben Oper der Shoah, denen für eine lächerliche Summe eine Unterschrift abgepresst wird.

HOSI Wien fordert Entschädigung für homosexuelle NS-Opfer.
Offener Brief an Bundesparteiobmänner von ÖVP und FPÖ.

Anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 5. Mai 2003 fordert die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien ÖVP und FPÖ auf, endlich für die Anerkennung der wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten NS-Opfer nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) zu sorgen. Seit 1995 - zuletzt im Vorjahr - scheitert diese Anerkennung am kategorischen Nein von ÖVP und FPÖ im Nationalrat.

Da Homosexualität vor 1938 und nach 1945 verboten war sind ÖVP und FPÖ offenbar bis heute der Meinung, dass Lesben und Schwule ihre Inhaftierung und Ermordung im KZ rechtmäßig verdient hätte. Im Widerspruch zu dieser Auffassung hat die Historikerkommission in ihrem Schlussbericht vom Jänner 2003 kritisiert, dass nach Aufhebung des Verbots der Homosexualität 1971 keine rückwirkende Einbeziehung dieser Gruppe ins OFG erfolgte und "dass auf Grund formalrechtlicher Erwägungen sogar die Anhaltung im Konzentrationslager, die keinesfalls als rechtsstaatliche Maßnahme betrachtet werden kann, im Sinne einer Bestrafung nach österreichischem Recht interpretiert wurde".

"Mit ihrer Haltung sorgen ÖVP und FPÖ nicht nur für Kontinuität der NS-Verfolgung bis heute", laut HOSI-Wien, "sondern damit bagatellisieren sie auch die NS-Verbrechen insgesamt. Es ist ein fatales Signal an die Jugend, bestimmten Gruppen von NS-Opfern den Rechtsanspruch auf Entschädigung zu verweigern und damit zum Ausdruck zu bringen, diese Gruppen seien zu Recht verfolgt und umgebracht worden. Es ist höchste Zeit, dass ÖVP und FPÖ diesen Resten nationalsozialistischen Gedankenguts abschwören. Solange sie dazu nicht bereit sind, sind ihre VertreterInnen auch völlig unglaubwürdig, wenn sie an Gedenkveranstaltungen teilnehmen."

Die Offenen Briefe an Schüssel, Haupt und Pühringer sind unter www.hosiwien.at abrufbar, Hintergrundinformation über die österreichische Chronik der verhinderten Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer findet sich unter www.ausdemleben.at.

     

aus TATblatt Nr. +199 Mai 2003.

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