TATblatt


Wien-Augarten

"...geistige Mauern abgebaut"

Wenn Ihr dieses TATblatt in Händen hält, ist selbst der physische Grundstein bereits gelegt: Die BürgerInneninitiative "Rettet den Augarten" und die Betreiber der geplanten "Beth Chabad-Schule" haben sich geeinigt. Das Schulprojekt, das noch vor dem Sommer im Zentrum eines recht verwirrenden Konflikts stand (siehe dazu TATblatt +78), wird gebaut.

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Die aus allen Nähten platzende Schule des jüdischen Vereins Vereins "Beth Chabad" im neunten Wiener Gemeindebezirk kann sich berechtigte Hoffnungen machen, demnächst ihre Raumprobleme zu lösen: Die BürgerInneninitiative "Rettet den Augarten" hat ihren Einspruch gegen den geplanten Schulneubau am Rande bzw. -- je nach Sichtweise -- in der Parkanlage "Augarten" zurückgezogen. Dies möglich gemacht hat eine Vereinbarung, die vergangene Woche auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der BürgerInneninitiative und des Betreibervereins der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Konflikt-Stoff

Zu Beginn des Jahres hatten AnrainerInnen des Augartens erfahren, daß auf einem innerhalb der den Augarten umgebenden Mauer liegenden Grundstück der Neubau einer jüdischen Schule geplant sei. In kurzer Zeit entstand unter Mithilfe der Bezirks-Grünen (aber auch etwa der Grünen Gemeinderätin Huemer) eine BürgerInneninitiative, die mehr als 7000 Unterschriften gegen die "Verbauung des Augartens" sammeln konnte.

Daß die Beth Chabad-Schule juristisch gesehen gar nicht im Augarten liegen wird, war da noch das geringste der Mißverständnisse, die mensch heute bei den SchulbetreiberInnen als ausgeräumt ansieht. Vielfach war es der in der Agitation der BI angeschlagene Ton, der die schlechte Musik machte: Mehr als unglückliche Formulierungen, die auch als Vergleich des Holocausts mit dem Umschneiden von Bäumen interpretiert werden konnten sowie der indirekte Vorwurf an VertreterInnen der Israelitischen Kultusgemeinde, ein falsches Spiel zu betreiben, setzten BürgerInneninitiave, aber auch die mit ihr kooperierenden Grünen dem Vorwurf der antisemitischen Argumentationsweise aus. Und noch kurz vor dem Sommer stand die Möglichkeit einer Bauplatzbesetzung im Raum. Die Auseinandersetzung entwickelte sich in eine Richtung, die weder von BürgerInneninitiative noch SchulbetreiberInnen gewünscht wurde.

Aber auch von anderer Seite war das Projekt gefährdet: Die Gemeinde Wien, die für den Schulbau lediglich ein Grundstück zur Verfügung stellen mußte, da die gesamten Baukosten von der Ronald Lauder-Fondation übernommen werden, hatte sich -- schließlich steht auch für Zilk-Nachfolger Häupl wiederwahls-orientierter Populismus an oberster Stelle der Polit-Hitliste -- noch immer nicht zu einer endgültigen Entscheidung für den Schulbau durchringen können. Der Financier, eben die vom ehemaligen US-Botschafter in Österreich eingerichtete Ronald Lauder-Foundation, drohte, die bereitgestellten Geldmittel anderwärtig, etwa in Budapest oder Prag, einzusetzen, sollte nicht bis zur Budgetdebatte im Gemeinderat Ende Juni eine Entscheidung getroffen sein.

Es bedurfte massiver Öffentlichkeitsarbeit seitens des Wiener Liberalen Forums, um die Schule zum Gemeiderats-Tagesordnungspunkt werden zu lassen. Am 28.Juni schließlich, dem Tag, an dem die von der Lauder-Foundation gesetzte Frist auslief, wurde das Projekt -- unerwartet klar mit den Stimmen aller Parteien -- abgesegnet.

Diskursgeschichte

Ende Mai trafen VertreterInnen von Beth Chabad und BürgerInneninitiative im Rahmen eines Streitgesprächs im Kabelfernseheprogramm "W1" aufeinander. Dieses Gespräch habe geholfen, Frau D. (die BI-Vertreterin; Anm. TATblatt) in einem neuen Licht zu sehen, sagt heute der Sekretär von Beth Chabad. "Besonders ihre deutliche öffentliche Stellungnahme für den Bau der Schule innerhalb des zweiten Bezirks hat viel ausgelöst."

Dem Streitgespräch folgten weitere Treffen im Sommer, in denen die gemeinsame Übereinkunft erarbeitet wurde, von der Beth-Chabad heute sagt, daß sie "nicht im geringsten hart erkämpft werden mußte. Wir haben uns alle sehr stark an der Formulierung eines gemeinsamen Ziels orientiert."

Das Ergebnis selbst bezeichnen BI- und Beth-Chabad-VertreterInnen als "Zeichen, daß solche Konflikte auch durch Gespräche geklärt und gelöst werden können." Insbesondere jener Paragraph der Vereinbarung, mit dem Beth Chabad auf die Errichtung einer Mauer um die Schule verzichtet, verleitet zu Allegorien: "Damit werden nicht nur physische, sondern vor allem geistige Mauern eingerissen hin zu einer gelebten Integration" (Beth-Chabad-Sprecher). Dem Projekt selbst entstehen dadurch keine Sicherheitsprobleme: "Kinder mit Mauern und Stacheldraht zu umgeben schafft noch keine Sicherheit."

Josefinismus konsequent...!

"Unser Ziel, den Augarten vor weiterer Verbauung zu retten, haben wir nicht erreicht. Aber manchmal führt auch ein Umweg zum Erfolg", resümiert die BürgerInneninitiative. "Die intensive Beschäftigung mit unserem Park ... hat uns Erfahrungen gebracht, die vielleicht mehr Wert sind als das Stück Grün, das wir verloren haben". Die BI hat ein Programm "für eine großzügige Öffnung der verschlossenen Teile des Parks" erarbeitet, das sie "gemeinsam mit der Ronald S. Lauder-Foundation durchsetzen" will. Sie will auf diese Weise "an die Vision von Josef II. anknüpfen, der den Garten im Jahr 1775 mit den Worten `Allen Menschen gewidmeter Erlustigungsort' für die Allgemeinheit öffnete". Denn dem einzigen "aufgeklärten" Habsburger der Weltgeschichte geradezu zum Trotz sind heute noch mehr als 30% der Parkfläche für die Öffentlichkeit gesperrt.

Joseph II scheint überhaupt kein gar so schlechter Patron der Streitbeilegung zu sein: Von ihm stammt jenes Toleranzpatent, daß zur Grundlage der heute garantierten Religionsfreiheit wurde. Seinem Reformwillen (der bisweilen auch groteske Züge trug) kam das offizielle Österreich mit der Erklärung des Jahres 1764 zum "Österreichischen Normaljahr" bei. Der Rechtsbeistand wurde auf dieses Jahr, eben dem Jahr vor Josephs Amtsantritt, zurückgeführt.

Und wenn wir schon bei Allegorien sind: Von wem droht mehr Gefahr für demokratische BürgerInneninitiativen und jüdische Vereinigungen als von jenen, die am Rad der Zeit zurückdrehen...

[zur Vereinbarung
zwischen der BürgerInneninitiative "Rettet den Augarten"
und der Ronald S. Lauder-Foundation]

[zur Vorgeschichte: TATblatt Nr. +78]


aus: TATblatt Nr. +83 (,16/97) vom 25. September 1997
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