TATblatt


Im letzten TATblatt erschien ein "Thesenpapier zum österreichischen EU-Vorsitz 1998" von der Gruppe "Europa von unten 98". Mit diesem Text sollte eine Diskussion rund um den österreichsichen EU-Vorsitz ab Juli 1998 gestartet werden. In dieser Nummer folgt ein Text der Wiener Gruppe Revolutionsbräuhof (RBH).

EU-Vorsitz: Arbeit und Geld

Revolutionsbräuhof

Wenn Österreich nächstes Jahr den EU-Vorsitz übernimmt, dürfen sich Proteste nicht nur gegen die aktuellen Verschärfungen der sozialen Lage durch die EU-Politik alleine richten - von den Gewerkschaften über die Kirchen bis zu allerhand abstrusen Gruppen werden Kampagnen solcher Art zu erwarten sein. Ebenfalls werden diverse NationalistInnen die Gelegenheit beim Schopfe packen, ihre reaktionäre Propaganda auszustreuen.

Eine linksradikale Kritik wird sich nicht nur mit der Aktualität zu befassen haben, sondern die EU insgesamt - als kapitalistisches Projekt - als auch Österreich als Nationalstaat einbeziehen. Es gilt klarzustellen, daß:

einerseits Österreich als Nationalstaat keineswegs gewillt ist, "sein- Proletariat vor der Ausbeutung durch "nicht-österreichische" KapitalistInnen zu schützen, sondern allenfalls die österreichischen Kapitalisten ihren Staat Österreich gebrauchen werden, sich durch "in ihrem Sinne adäquate" Repression des österreichischen Proletariats einen Wettbewerbsvorteil zu erheischen;

andererseits aber es genau im Sinne dieser österreichischen Kapitalisten ist, die europäische Integration voranzutreiben, um sich mittels EU im Weltmarktmaßstab gegenüber den KonkurrentInnen durchzusetzen.

Und für beide Optionen braucht es genau eines: den Klassenkampf von oben zu forcieren, um die Arbeit billiger zu machen und so Profitrate und Gewinne in die Höhe zu treiben.

Daß in einer Kampagne im Rahmen des österreichischen EU-Vorsitzes der Begriff der Arbeit im Mittelpunkt stehen wird, kann aus dieser Ausrichtung der EU und ihrer kapitalistischen Politik nicht anders sein. Die EU ist nun mal nichts anderes als ein kapitalistisches Projekt zur effektiveren Ausbeutung der Arbeitskraft.

Die Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet, den Kampf gegen die Arbeit zu propagieren. Denn es gibt keine erbärmlichere Form der Existenz als die der (Lohn-)Arbeitenden. Arbeit im Kapitalismus ist immer entfremdet und niemals eine "Bereicherung" des Lebens. Sie ist immer Verausgabung als Mittel und niemals direkte Befriedigung von irgendwelchen Bedürfnissen. Arbeit ist der Mensch als Ware. Und da hilft es nichts, diesem Begriff irgendwie "auszuweiten", eine positive Besetzung zu finden suchen, in dem Sachen integriert werden, die im Kapitalismus nicht dafür gedacht sind. Die Reproduktion ist nun mal (zum Teil!) aus der Verwertung von Arbeitskraft ausgegliedert und gilt dementsprechend nicht als (gesellschaftliche) Arbeit. Dies macht für den Kapitalismus Sinn, da er gewisse Leistungen mehr oder minder gratis geliefert bekommt. Und damit diese Leistungen dann dennoch dem kapitalistischen Zwecke entspricht, bedient sich der Kapitalismus eben sogenannter "Überbau-Phänomene" wie Religion, Familie, diversen Kulturscheiß und so weiter. Und es gibt fast nichts, das sich diesem Zwecke nicht unterordnen läßt. Und je mehr es den Schein des Kritischen, des Mahnenden oder gar Revolutionären trägt, desto besser die Funktion als Integrativ in den Verwertungszusammenhang. Und wirklich tadellos, wenn die Beteiligten von dieser Funktion gar nichts wissen.

Hinter den Grabenkämpfen um EU, EURO, Globalisierung etc. steht nichts anderes als ein gefinkeltes Verschleierungssystem, den Klassenkampf der KapitalistInnen gegen die Arbeitenden zu forcieren. So sind beide Fraktionen, die VerteidigerInnen irgendwelcher nationaler Kulturen und Identitäten als auch die PropagandistInnen des "Niederreißens von Grenzen" und der europäischen Integration Teile derselben Strategie: Verschärfung der Ausbeutung durch (auch indirekte) Lohnsenkungen, Verwohlfeilerung der kapitalistischen Zirkulation durch Abbau "bürokratischer" Grenzen, Spaltung der arbeitenden Klassen durch Nationalismus und Rassismus, um regionale Unterschiede in der sozialen Struktur der Gesellschaft ausnützen zu können.

Und das ist alles nicht Neues: Es hat sich weder der Kapitalismus groß geändert, noch an der Ausbeutung etc. Sicherlich: die kapitalistische Propagandamaschinerie läuft: "Das Ende der Geschichte-, Fall der Mauer, Sieg. Und nix anderes soll's mehr geben. Und was ist daran neu? Daß der Kapitalismus den Weltmarkt beherrscht - ach, das war schon zu Lenins Zeiten ein alter Hut. Daß der Kapitalismus alle Lebensbereiche durchdringt, die Grundlage der Marxschen Kapitalkritik.

Und was neu ist: Daß der Totalitarismus der Ware zum Naturgesetz, irgendwo in den Genen oder so versteckt, erklärt wird und mit Totalitarismus nur mehr die Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus gemeint ist. Daß jegliche Benützung des Begriffs des Totalen - rekuperiert von der revanchistischen Reaktion - vor allem auch in der Linken zurückgewiesen wird und darum auch - mediengerecht und talkshow-kompatibel - die "Globalisierungsfalle" präsentiert wird. Und so rum eine anti-kapitalistische Politik nicht betrieben werden kann. Die Leugnung des Klassenkampfs durch Uminterpretierung impliziert die Unmöglichkeit der Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung.

Es ist genau so wenig Nationalismus, gegen die Bildung eines neuen "Superstaates" zu sein, dessen Gewaltmonompol durch Einführung neuer Machtmittel (siehe Schengener Abkommen) modernisiert und ausgebaut wird, als es Internationalismus ist, den freien Waren- und Kapitalverkehr zu gewähren. Denn eines bezweckt die EU sicherlich nicht: Das gemeinsame Saufen von FinnInnen mit PortugiesInnen zu fördern oder zu erschweren. Und der EURO ist nicht dafür da, uns das "lästige" Geldwechseln im Urlaub abzunehmen. Und eines haben EURO, Schilling und Geld überhaupt gleich: Wir haben nicht Brot etc., weil es Geld gibt, sondern allenfalls trotzdem.

"Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittelten Widerspruch ein. Soweit sich die Zahlungen ausgleichen, funktioniert es nur ideell als Rechengeld oder Maß der Werte. Soweit wirkliche Zahlungen zu verrichten, tritt es nicht als Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware. [...] Mit allgemeineren Störungen des Mechanismus, woher sie immer entspringen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld. Es wird unersetzlich durch profane Waren. Der Gebrauchswert der Ware wird wertlos, und ihr Wert verschwindet vor seiner eignen Wertform. Eben noch erklärte der Bürger in properitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware! grellt's jetzt über den Weltmarkt. [...] In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Ware und ihrer Wertgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform des Geldes ist hier daher auch gleichgültig." (Marx, Kapital Bd. 1, S. 151f.)

Als absolute Warenform drückt Geld eben die menschliche Existenz als totale Ware aus. Hier ist es egal, ob das Geld EURO oder Schilling heißt. Was aber nicht bedeutet, daß es egal sein kann, wenn die KapitalistInnen eine neue Leitwährung am Weltmarkt positionieren. Es schützt weder der Schilling noch Österrreich vor Ausbeutung - Kampf dem EURO kann nicht Konservierung des Schilling heißen, sondern Kampf dem Geld - als solches. Der Name ist wurscht, nicht aber die ökonomische Gewalt, die sich in der besonderen Form der Erscheinung des Geldes als EURO ausdrückt. Und der Euro wird ein tauglicheres Herrschaftsmittel sein, als es der Schilling je war.

Zur Kampagne selbst: Man kann sich ruhig einmal fragen, wen wollen wir mit unserem Protest erreichen? Wollen wir autonome Widerstandsfestspiele abführen oder tatsächlich mit den Menschen, die von EU, Lohnarbeit und Euro den Schaden haben, GegnerInnenschaft auf die Füße bringen? Wollen wir letzteres, müssen wir ihnen erst einmal ein paar Illusionen nehmen. Und das geht nur durch die Mühen der Ebene. Durch ein Die-Leute-Überzeugen, durch Agitation und Propaganda, mit einem glatteren Wort gesagt: Öffentlichkeitsarbeit in jeder Form, aber massiv. Also politisch radikale Kritik mit strikt legalen Mitteln vorgetragen. Warum das? Weil die Wirksamkeit dessen eine ungleich größere ist, ungleich mehr Leute erreicht, politisch tatsächlich etwas bewegen könnte. Es geht darum, die breiteste öffentliche Debatte über die EU anzuzetteln, darüber, daß die EU nicht einfach ein Wirtschaftsbündnis ist, sondern eine neue Staatsformation, eine neue Weltmacht, die ungleich potenter ist, als es die alten Nationalstaaten je waren, und - verkürzt gesagt - insofern auch ungleich mehr verheerenden Schaden anrichten kann. Die Chancen, eine politische Kampagne gegen die EU während des österreichischen Ratsvorsitzes zu führen, scheinen uns durchaus gegeben.


aus: TATblatt Nr. +87 (20/97) vom 20. November 1997
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