TATblatt


Zum Geleit (Editorial)

TATblatt und die rechtschreibreform

Es ist soweit: Die leidige diskussion um die rechtschreibreform geht auch am TATblatt nicht mehr spurlos vorüber. Obwohl: eigentlich stehen bei uns schon seit einigen monaten die beiden regelsysteme gleichberechtigt nebeneinander. Ein paar artikel wurden nach den alten, ein paar nach den neuen regeln verfasst, bei dem einen rechtschreibfehler wurde gegen diese, bei dem anderen gegen jene regeln verstoßen. Nur eines einte die anwenderInnen der alten und der neuen regeln: die beistrichsetzung erfolgte mehr nach gefühl als nach den 37 bzw. 25 verworrenen bestimmungen, die ohnehin kaum ein mensch beherrscht.

Mittlerweile ist die frage der rechtschreibung in der öffentlichen diskussion längst zu einer frage der "deutsch(sprachig)en identität" geworden. Schon allein deswegen könnte dies ein thema für uns sein. Wir vertrauen aber darauf, dass ihr es selbst schafft, euch euren teil zu dieser ebene der diskussion zu denken.

Gegen eine vereinfachung der rechtschreibregeln können eigentlich nur jene sein, die sich entweder noch nie die regeln durchgelesen haben - mit all ihrer gar nicht mal so unamüsanten fülle obskurer ausnahmen und ausnahmen von den ausnahmen - oder leute, die in der schriftsprache weniger ein mittel zur kommunikation als ein instrument der disziplinierung und hierarchisierung von menschen sehen. Nichts kann besser aus tiefgehenden gedankengängen beim schreiben von aufsätzen oder artikeln reißen, als die überlegung, ob diese oder jene an und für sich grundsätzlich mit komma abzutrennende infinitivgruppe am satzanfang nun die rolle des subjekts spielt und daher keines kommas bedarf oder aber vielleicht gegenüber dem verb die rolle eines objekts einnimmt, und damit nach einem komma schreit, dessen fehlen die augen der lesenden zutiefst beleidigen würde. Oder ob irgendein substantivisch gebrauchtes adjektiv nun groß zu schreiben ist, wie es der grundsatz verlangt, oder vielleicht doch klein, weil es in bestimmten wortpaaren oder festen verbindungen mit verben steht oder gar einem demonstrativpronomen nahekommt. Zugegeben: Angehörigen gutbürgerlicher eliten, die sich lektorInnen zur korrektur ihrer texte leisten können, ermöglichen solche regeln, sich vom fehlermachenden, folglich unintelligenteren, folglich minderwertigeren "pöbel" abzusetzen. Ein vernünftiger sinn ist in solchen regeln aber nicht auszumachen.

Die rechtschreibreform hat da allerdings leider nur ein bisserl vereinfacht. Die ursprünglich geplante "gemäßigte kleinschreibung" wurde auf politischen druck hin schon vor jahren verworfen. Letztendlich wurden alte wirre regeln durch neue wirre regeln ersetzt.

Damit wurde, so schien es, der weg für sinnvolle änderungen für jahre verbaut, wenn nicht ...

ja wenn nicht zum beispiel "Die Presse" vor ein paar monaten angekündigt hätte, die neuen regeln zu boykottieren und niemals umstellen zu wollen.

Dieser anarchistische aufruf zur regelverweigerung hat uns schwer beeindruckt. Da wollen wir - mit angemessener verspätung - nicht nachstehen!

Ja, auch wir werden nicht auf die neuen regeln umstellen! Die reform war einfach nicht weitgehend genug! Wir werden aber auch nicht bei den alten regeln bleiben. Und wir werden auch nicht auf "gemäßigte kleinschreibung" umstellen.

Aber: jede dieser drei varianten wird in zukunft im TATblatt möglich sein. An den eingewickelten großbuchstaben zur verdeutlichung der geschlechtervielfalt und den drei großen anfangsbuchstaben beim TATblatt ändert das selbstverständlich nichts.

Es ist einfach schön, wenn in zukunft verschiedene, sich widersprechende regelsysteme nebeneinander stehen, und damit keines mehr absolute gültigkeit beanspruchen kann. Da kommt doch glatt leben in die sprache!

Vielleicht.
 


aus: TATblatt Nr. +90 (2/98) vom 29. Jänner 1998
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