TATblatt    

"zero tolerance" in Wien?

 

von einem Autonomer

Die Opernballdemonstration vom 22. Februar war in mehreren Punkten bemerkenswert. Zum einen ist es in Wien seit vielen Jahren nicht mehr zu so einem überraschenden, massiven und frontalen Angriff der Polizei auf eine gesamte Demonstration gekommen, zum anderen hat die Gegenwehr von militanten DemonstrantInnen ein Ausmaß angenommen, das selbst viele Autonome und AnarchistInnen überraschte.
Zum Verständnis der Ereignisse dieses Abends ist die Kenntnis des Ablaufs notwendig. Die brennenden Barrikaden, die massiven Stein- und Flaschenwürfe sowie die Angriffe auf Banken und Multis entwickelten sich erst nach dem Sturmangriff der Polizei zu Beginn der Demonstration. Es ist nachvollziehbar, dass die Polizei und die bürgerlichen Medien das polizeiliche Eingreifen mit den brennenden Barrikaden erklären, richtig ist es deshalb noch lange nicht.
Zugegeben, auf dem Weg zur Ringstraße (Höhe Schwarzenbergplatz) sind einige wenige Steine und Farbbeutel gegen PolizistInnen geworfen worden. Diese reagierten darauf jedoch eher gelangweilt und fühlten sich davon wenig bedroht. Kurz vor Erreichen der Ringstraße wurde eine Scheibe der Trigon-Bank eingeworfen. Einige Leute aus den vorderen Reihen der Demonstration klauten dann der gut gesicherten Polizeisperre auf der Ringstraße ein Trettgitter, ein paar Leute warfen Sachen gegen die Absperrung. Diese Ereignisse sind durchaus im Rahmen einer Opernballdemonstration zu sehen. Üblicherweise wartet die Polizei noch längere Zeit ab, bis es zu einem Eingreifen kommt. Ein unmittelbarer Zugriff war für die Behörden nicht notwendig, da die Polizeisperren nicht direkt angegriffen wurden. Zum Verständnis der Situation ist anzumerken, dass bei solchen Demonstrationen nur die oberste Einsatzleitung einen Waffeneinsatz (Schlagstöcke, Wasserwerfer) anweisen kann. Der einzelne Beamte oder der lokale Kommandant kann nur bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben einen Waffeneinsatz anordnen. Es kommt durchaus öfters vor, dass bei heiklen Situation lokale Kommandanten um die Erlaubnis eines Waffeneinsatzes ansuchen und dieser von der obersten Einsatzleitung verwehrt wird. Diese berücksichtigt in ihren Entscheidungen auch die politischen Auswirkungen eines Waffeneinsatzes.
Was passierte weiter bei der Polizeisperre auf der Ringstraße?: Einige BeamtInnen versuchten das geklaute Tretgitter zurückzuerobern und es kam zu einer gröberen Rangelei. Diese spielte sich nicht unmittelbar bei der Absperrung ab, sondern etwa 10 Meter davor. Mittlerweile erhielten die BeamtInnen an der Absperrung Verstärkung und nur kurz nach der Entführung des Trettgitters startete die Polizei einen massiven Angriff auf die Demonstration. Etwa 200 BeamtInnen der paramilitärischen WEGA-Einheit stürmten auf die Demonstration zu. Die DemonstrantInnen waren völlig überrascht von diesem massiven Angriff, noch mehr überraschte, dass die BeamtInnen nicht nach 50 Metern, nach der Rückeroberung des Trettgitters, abstoppten, sondern der Angriff über einige hundert Meter erfolgte. Die gesamte Kreuzung vor der Polizeisperre wurde einfach leergefegt. All jene DemonstrantInnen, die nicht schnell genug flüchten konnten, wurden verprügelt. Viele DemonstrantInnen berichteten später, mit welcher Freude und Leidenschaft sich die WEGA-BeamtInnen an dem Sturmangriff beteiligten. Diese drückte sich nicht nur in aufmunternden Wortmeldungen aus ("... jetzt gehts los ...") sondern auch in breitem Grinsen beim Zuschlagen. Viele WEGA-BeamtInnen kannten keine Gnade bei ihrer Jagd, auch offensichtlich Nicht-ChaotInnen oder JournalistInnen bekamen den Schlagstock oder Fußtritte zu spüren. Die PolizistInnen konnten sich endlich ihre gesamten Frustrationen vom Leib prügeln, nachdem sie sich seit der Regierungsbildung zumeist zurückhalten mussten.
Es soll hier aber nicht um die Lust von PolizistInnen am Zuschlagen gehen, die zentrale Frage ist, wer diesen Einsatz anordnete und warum. Ohne in Spekulationen zu verfallen kann gesagt werden, dass der Angriff auf die Demonstration auf Anweisung von ganz oben erfolgt sein muss. Es ist anzunehmen, dass sowohl der Innenminister als auch der Wiener Bürgermeister im Vorfeld eine Strategie von "zero tolerance" vereinbart oder gebilligt hatten, d.h. das bei erstem Ansatz von gesetzwidrigem Verhalten von DemonstrantInnen die Demo mit Waffengewalt aufgelöst werden würde. Der Innenminister (ÖVP) und die Wiener SP benötigten vor der Wiener Gemeinderatswahl ein Zeichen, dass auch sie für Ruhe und Ordnung auf den Straßen sorgen können. Der Wahlkampf der FP in Wien setzte sie offenbar so unter Zugzwang, dass sie sich zu diesem Schritt entschlossen. Die Plakate der FP mit dem Slogan "Rot-Grün: Mehr Demos" taten das ihre. Die folgenden Ereignisse in der Nacht waren für die Polizeispitze und die Politik nicht vorherzusehen. Kein Mensch konnte ahnen, dass viele DemonstrantInnen nach diesem Angriff militante Aktionsformen entwickelten, die in Wien schon seit vielen Jahren nicht mehr vorkamen (es stellt sich die Frage, wann jemals in Wien brennende Barrikaden errichtet wurden).
Es sollte klar gesagt werden, dass die Ereignisse in dieser Nacht von DemonstrantInnen gemacht wurden. DemonstrantInnen errichteten Barrikaden, warfen Steine und Flaschen auf die Polizei und DemonstrantInnen griffen Banken, Multis und Yuppie-Bars an. Die Berichte und Spekulationen über vermummte Polizeiprovokateure und rechte DemoteilnehmerInnen sollen durchaus ernst genommen werden. Es fehlt bei diesen Berichten jedoch oft an Genauigkeit, bei vielen Personen spielt da der Wunsch mit, diese militanten Aktionen der "anderen Seite" anzuhängen. Manche wollen wohl auch damit den Distanzierungen entgegentreten. Es ist gesichert, dass vermummte ZivilpolizistInnen an diesem Abend auftraten. Welche Rolle sie bei den Ereignissen in dieser Nacht spielten, muss noch genauer untersucht werden und sollte nicht auf der Ebene von Spekulationen abgehandelt werden.
Der Überfall auf das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) am nächsten Morgen kann als reine Rache- und PR-Aktion gesehen werden. Nach den Ereignissen in der Nacht musste die Polizeispitze und die Politik irgendwie reagieren. Am einfachsten ist es dann, das EKH zu besuchen. Die Polizei weiß natürlich selbst, dass die Erklärungen für die Durchsuchung (Waffenlager, Vorbereitungszentrale) kompletter Schwachsinn sind. Es findet sich aber immer ein Richter, der den Durchsuchungsbefehl unterschreibt und ein beigezogener Kronen Zeitung-Fotograf sorgt für die nötige PR-Arbeit.

aus TATblatt Nr. +161 vom 1. März 2001:
  Ergänzendendes:


Opernball-Donnerstagsdemo 2001

Demobericht aus der TATblatt-WiderstandsChronologie
Protokolle einer Amtshandlung AugenzeugInnen und Betroffene berichten
§274 Landfriedensbruch Das Strafgesetz als Handlungsanleitung für die Polizei
Jetzt auch in Wien: Zero Tolerance
Restauration Rot-Schwarz in Aktion
Aussendung der Rechtshilfe zur Opernball-Donnerstagsdemo vom 22.2.
Aktuelles von Gefangenen und Verfahren

Polizei stürmt EKH

Anklopfen nach WEGA-Art Bericht aus dem EKH
Offener Brief aus dem EKH An SW-General Schnabl
Stellungnahme Hausdurchsuchung in TATblatt-Redaktion

 




Anmerkungen zur Opernballdemo
LeserInnen-Kommentar (aus TATblatt Nr. +162)


Protestnote

von Eltern, Angehörigen und FreundInnen der bei der Opernball-Donnerstagsdemo vom 22. Februar Festgenommenen

 

aus TATblatt Nr. +161 vom 1. März 2001

>> TATblatt-Inhaltsverzeichnis
>> WiderstandsChronologie (Wien)

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