TATblatt


Euthanasie:

NS-Arzt Gross gutachtet weiter

Während sich die Ermittlungen gegen den Euthanasiearzt Gross und seine Beteiligung an den Morden in der NS-Klinik "Am Spiegelgrund" in Wien auch nach über 50 Jahren ohne Ergebnis dahinschleppen, gutachtet er weiterhin, wie eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Karl Öllinger ergab. In ebendieser Anfragebeantwortung durch Justizminister Michalek geht die Justiz sogar so weit, Massenmörder wie den ehemaligen Kommandanten der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, sowie alle weiteren EuthanasiemörderInnen der NS-Zeit durch Nicht-Nennung des vollen Namens in ihrer Integrität zu schützen.

Parlamentarische Anfragebeantwortungen des Justizministers (XX.GP.-NR 3599/AB zu 3658/J) und des Wissenschaftsministers (XX.GP.-NR 3760/AB zu 3799/J  ); div. Zeitungen; TATblatt
Doch vorerst zum Ermittlungsstand gegen Heinrich Gross: seit mehreren Monaten führt eine Untersuchungsrichterin des Landesgerichts für Strafsachen die Ermittlungen. Von den Medien wenig beachtet wurde im Februar bei Gross, der in Purkersdorf bei Wien lebt, eine Hausdurchsuchung angeordnet und durchgeführt. Gleichzeitig muß der zuständige Staatsanwalt Karesch, der 1995 noch eine Anzeige gegen Gross zurückgelegt hatte, auf Weisung des Justizministers ebenfalls ermitteln.

Eine Anfrage des Abgeordneten Öllinger an Minister Michalek aus dem März d.J. hat jedoch ergeben, daß während eine U-Richterin gegen Gross wegen Mordes ermittelt, gleichzeitig dieser nach wie vor von Richtern desselben Landesgerichtes Wien - wie auch schon 1997 - als Gutachter in Verfahren bestellt wird. Als Reaktion darauf erhielten die RichterInnen des Landesgerichts vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes, Erwin Felzmann, ein "kollegiales Schreiben", in dem stand, daß durch die Bestellung von Gross als Gutachter "das Ansehen der Justiz, das aber jedem Richter nicht nur ein persönliches, sondern auch ein rechtspolitisches Anliegen sein sollte", leide.

Es ist ganz offensichtlich, daß Gross, der mittlerweile 83 ist, bis zum bitteren Ende ein Schützling der Justiz bleibt. Protegiert wurde er schon immer von höchsten Kreisen. Laut Anfragebeantwortung von Wissenschaftsminister Einem bezüglich höchster Auszeichnungen der Republik an Gross stellt Einem fest, daß Gross das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1.Klasse auf Antrag des Wissenschaftsministers, Beschluß des Ministerrates und durch Entschließung des Bundespräsidenten 1975 verliehen bekam. Die Initiative war vom SP-dominierten Ludwig-Boltzmann-Institut ausgegangen, wo Gross tätig war, und schließlich war der ehemalige Justizminister Broda sein Freund. Im Antrag des Ludwig-Boltzmann-Institutes hieß es damals: "...Er begann seine Facharztausbildung an den Psychiatrischen Krankenhäusern der Stadt Wien in Ybbs a.d. Donau und auf der Baumgartner Höhe, die er wohl durch seinen Dienst bei der Deutschen Wehrmacht unterbrechen mußte". Sonst kein Wort über den grandiosen Beginn der Karriere des "Dr. Speiberl", als er in SA-Uniform durch Krankenhausgänge marschierte, Kinder niederspritzte und der Krankenschwester Katschenka den Auftrag zur Ermordung eines Kindes erteilte.
 

Daß die Begünstigung von Gross wahrlich kein Einzelfall ist, belegt die Aufzählung der in der Anfragebeantwortung des Justizministers über die Ermittlungen der Justiz in NS-Euthanasiefällen. Seit der letzten Reform des Medienrechts wurde als Schutz von Personen vor der Hetze der Boulevardzeitungen verfügt, daß auch rechtskräftig verurteilte Personen nach Verbüßung ihrer Strafe ein Recht auf Schutz der Persönlichkeit haben. Es ist fast unglaublich, daß eine Justiz, die reihenweise Kriegsverbrecher und Massenmörder unbehelligt ließ und im Fall Gross behauptet, daß es keine rechtliche Möglichkeit zur Unterbindung der Gutachtertätigkeit von Gross für Gerichte gibt, diesen Schutz auf NS-Kriegsverbrecher anwendet. In der Praxis liest sich diese größtmögliche Schonung, die Justizminister Michalek auch posthum hingerichteten Massenmördern angedeihen läßt, so:

"Nach der vom 15. bis 18.7.1946 durchgeführten Hauptverhandlung wurde Dr. E.I. im Sinne der Anklage gemäß  Par. 3 Abs. 2 KVG zum Tod durch den Strang verurteilt (...) Das gegen Dr. E.I. verhängte Todesurteil wurde am 23.11.1946 vollstreckt". Gemeint ist Ernst Illing, hingerichteter Kriegsverbrecher wegen hunderter Morde an Kindern des Spiegelgrunds und Vorgesetzter von Gross.

In dem Stil geht es seitenweise und es ist wohl die schlimmste Selbstentlarvung von Begünstigung von NS-Tätern durch die österreichische Justiz.

In bezug auf die Tötungsanstalt Hartheim sieht die Vergangenheitsaufarbeitung der Justiz auszugsweise so aus: "F.S., K.H. und L.L. wurde die Tötung von Heil- und Fürsorgepfleglingen zur Last gelegt (..) .und zwar F.S. in der Zeit vom November 1940 bis August 1941 als organisatorischer Leiter der Massenvernichtungsanstalt Hartheim (...) Dieses Verfahren war gegen einige der Verdächtigen bis zum Jahr 1972 anhängig und endete in sieben Fällen mit der Abgabe von Einstellungserklärungen (in einem Fall wegen Todes) und bezüglich eines Verdächtigen mit der Abtretung an das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verdachts seiner Tätigkeit in den Vernichtungslagern Sobibor und Treblinka (...) Der am 30.5.1948 in Linz aus der Untersuchungshaft geflüchtete F.S. wurde nach seiner Auslieferung aus Brasilien in der Bundesrepublik Deutschland mit Urteil des Schwurgerichts Düsseldorf vom 22.12.1970 wegen des gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Personen (als Lagerleiter) in Treblinka zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er verstarb am 28.6.1971 in der Haft. Das inzwischen an das Kreisgericht Wels abgetretene Inlandsverfahren wurde in der Folge gemäß Par. 224 StG (Tod, Anm. TATblatt) beendet".

Die Rede ist von Massenmörder Franz Stangl, österreichischer Staatsbürger aus Oberösterreich, schuld am Tod von etwa 900.000 Menschen. Das Landesgericht Wien, wo Gross zigtausende Gerichtsgutachten verfaßte, mußte von der deutschen Justiz dieser Aufgabe enthoben nun nicht mehr befürchten, den "der Tätigkeit in Vernichtungslagern verdächtigen" vor Gericht stellen zu müssen.

Der Umgang mit dem Fall Stangl zeigt mehr als eindeutig die Hoffnungen der Staatsanwaltschaft Wien und des Landesgerichts Wien, die leidige Geschichte Gross nach Par. 224 Strafgesetzbuch loszuwerden, nämlich wegen Todes des Beschuldigten.

[siehe dazu auch unsere Berichte in TATblatt +79, +82, +85, +87 und +92]

aus: TATblatt Nr. +99 (11/98) vom 4. Juni 1998
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